Eben so bin ich durch Ihre Betrachtungen über die Bewegung der Knotenlinien der Planetenbahnen ausser allen Zweifel, zumal da Sie mehrere Arten an- zeigen, wie die vorgelegte Frage erörtert werden kön- ne, und Sie verschieben es bis auf eine schärfere Un- tersuchung, zu bestimmen, welche von diesen Möglich- keiten wirklich statt hat. Inzwischen ist es genug, daß mehrere Fälle möglich sind, um die Schwierigkeit, die mir einfiele, aufzuheben, und es dient mir zum neuen Beweise, daß wir auch hierinn noch nicht genug Copernicanisch dächten, wenn wir die Fläche der Erd- bahn zur Grundlage von der Neigung der übrigen Planetenbahnen machen wollten, weil dieses ungefehr eben so wegen der Bequemlichkeit der Rechnung ge- schieht, wie wir in der sphärischen Astronomie anneh- men, das ganze Firmament drehe sich in 24. Stun- den um die Axe der Erde. Ich sehe nun vollkommen ein, daß, so bald die Knotenlinien sich verrücken, die Erdbahn von der vermeynten Unbeweglichkeit eben so gut ausgeschlossen ist, als die Bahnen der übrigen Planeten.
Da Sie die genauere Bestimmung dieser Ver- rückung nochmals als einen Anlaß ansehen, wodurch die Einrichtung unseres Sonnensystems, und beson- ders der Kreyßlauf unserer Sonne, welchen ich aus den allgemeinen Betrachtungen, so Sie darüber an- gestellt, als zureichend erwiesen ansehen würde, zugleich auch a posteriori dargethan werden könnte: so ist es mir ein wahres Vergnügen, da ich Ihnen hierüber ei-
ne
Coſmologiſche Briefe
Eben ſo bin ich durch Ihre Betrachtungen uͤber die Bewegung der Knotenlinien der Planetenbahnen auſſer allen Zweifel, zumal da Sie mehrere Arten an- zeigen, wie die vorgelegte Frage eroͤrtert werden koͤn- ne, und Sie verſchieben es bis auf eine ſchaͤrfere Un- terſuchung, zu beſtimmen, welche von dieſen Moͤglich- keiten wirklich ſtatt hat. Inzwiſchen iſt es genug, daß mehrere Faͤlle moͤglich ſind, um die Schwierigkeit, die mir einfiele, aufzuheben, und es dient mir zum neuen Beweiſe, daß wir auch hierinn noch nicht genug Copernicaniſch daͤchten, wenn wir die Flaͤche der Erd- bahn zur Grundlage von der Neigung der uͤbrigen Planetenbahnen machen wollten, weil dieſes ungefehr eben ſo wegen der Bequemlichkeit der Rechnung ge- ſchieht, wie wir in der ſphaͤriſchen Aſtronomie anneh- men, das ganze Firmament drehe ſich in 24. Stun- den um die Axe der Erde. Ich ſehe nun vollkommen ein, daß, ſo bald die Knotenlinien ſich verruͤcken, die Erdbahn von der vermeynten Unbeweglichkeit eben ſo gut ausgeſchloſſen iſt, als die Bahnen der uͤbrigen Planeten.
Da Sie die genauere Beſtimmung dieſer Ver- ruͤckung nochmals als einen Anlaß anſehen, wodurch die Einrichtung unſeres Sonnenſyſtems, und beſon- ders der Kreyßlauf unſerer Sonne, welchen ich aus den allgemeinen Betrachtungen, ſo Sie daruͤber an- geſtellt, als zureichend erwieſen anſehen wuͤrde, zugleich auch a poſteriori dargethan werden koͤnnte: ſo iſt es mir ein wahres Vergnuͤgen, da ich Ihnen hieruͤber ei-
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Coſmologiſche Briefe
Eben ſo bin ich durch Ihre Betrachtungen uͤber
die Bewegung der Knotenlinien der Planetenbahnen
auſſer allen Zweifel, zumal da Sie mehrere Arten an-
zeigen, wie die vorgelegte Frage eroͤrtert werden koͤn-
ne, und Sie verſchieben es bis auf eine ſchaͤrfere Un-
terſuchung, zu beſtimmen, welche von dieſen Moͤglich-
keiten wirklich ſtatt hat. Inzwiſchen iſt es genug,
daß mehrere Faͤlle moͤglich ſind, um die Schwierigkeit,
die mir einfiele, aufzuheben, und es dient mir zum
neuen Beweiſe, daß wir auch hierinn noch nicht genug
Copernicaniſch daͤchten, wenn wir die Flaͤche der Erd-
bahn zur Grundlage von der Neigung der uͤbrigen
Planetenbahnen machen wollten, weil dieſes ungefehr
eben ſo wegen der Bequemlichkeit der Rechnung ge-
ſchieht, wie wir in der ſphaͤriſchen Aſtronomie anneh-
men, das ganze Firmament drehe ſich in 24. Stun-
den um die Axe der Erde. Ich ſehe nun vollkommen
ein, daß, ſo bald die Knotenlinien ſich verruͤcken, die
Erdbahn von der vermeynten Unbeweglichkeit eben
ſo gut ausgeſchloſſen iſt, als die Bahnen der uͤbrigen
Planeten.
Da Sie die genauere Beſtimmung dieſer Ver-
ruͤckung nochmals als einen Anlaß anſehen, wodurch
die Einrichtung unſeres Sonnenſyſtems, und beſon-
ders der Kreyßlauf unſerer Sonne, welchen ich aus
den allgemeinen Betrachtungen, ſo Sie daruͤber an-
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auch a poſteriori dargethan werden koͤnnte: ſo iſt es
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Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/229>, abgerufen am 16.02.2025.
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