Wir können ferner noch anmerken, daß es Be- griffe giebt, deren Vorstellung immer mit der Er- fahrung zu Paaren geht, und dieses sind die, so von dem Senfu interno herrühren, wenn wir nämlich an unsre Gedanken denken. So z. E. wenn wir einen Schluß machen, mit dem Bewußtseyn, daß es ein Schluß ist, so ist auch die Empfindung der Folge des Schlußsatzes aus den Prämissen zugleich mit da. Man kann hierinn den Grund finden, warum unter den philosophischen Wissenschaften die Vernunftlehre, welche uns dieses Zurückdenken auf unsre Begriffe, Sätze, Schlüsse etc. angiebt, der geometrischen Ge- wißheit nichts nachgiebt. Denn wenn ja zu beyden sollten Erfahrungen erfordert werden, so würden die für die Vernunftlehre noch viel unmittelbarer seyn, als die für die Geometrie. Nun kann bey den Be- griffen und Sätzen der Vernunftlehre, sofern darinn nur die Gesetze des Denkens betrachtet werden, die innere Empfindung allezeit mit dabey seyn, wenn wir behörig darauf Achtung haben wollen. Da aber diese Empfindung nur ein denkendes Wesen voraussetzt, so hindert dieses nicht, daß wir nicht auch die Vernunft- lehre in so fern sollten unter die Wissenschaften rech- nen, die im engsten Verstande a priori sind.
§. 663.
Der Begriff der logischen Wahrheit, welche in Absicht auf uns in der Uebereinstimmung unsrer Vor- stellung mit den Sachen, in Absicht auf die Sache selbst aber darinn besteht, daß sich das Prädicat durch den Begriff des Subjectes bestimmen lasse, ist eben- falls ein Begriff, den wir als a priori ansehen kön- nen, (§. 662.) da er weiter nichts als ein denkendes Wesen voraussetzt, und die Vorstellung mit der
Empfin-
IX. Hauptſtuͤck,
§. 662.
Wir koͤnnen ferner noch anmerken, daß es Be- griffe giebt, deren Vorſtellung immer mit der Er- fahrung zu Paaren geht, und dieſes ſind die, ſo von dem Senfu interno herruͤhren, wenn wir naͤmlich an unſre Gedanken denken. So z. E. wenn wir einen Schluß machen, mit dem Bewußtſeyn, daß es ein Schluß iſt, ſo iſt auch die Empfindung der Folge des Schlußſatzes aus den Praͤmiſſen zugleich mit da. Man kann hierinn den Grund finden, warum unter den philoſophiſchen Wiſſenſchaften die Vernunftlehre, welche uns dieſes Zuruͤckdenken auf unſre Begriffe, Saͤtze, Schluͤſſe ꝛc. angiebt, der geometriſchen Ge- wißheit nichts nachgiebt. Denn wenn ja zu beyden ſollten Erfahrungen erfordert werden, ſo wuͤrden die fuͤr die Vernunftlehre noch viel unmittelbarer ſeyn, als die fuͤr die Geometrie. Nun kann bey den Be- griffen und Saͤtzen der Vernunftlehre, ſofern darinn nur die Geſetze des Denkens betrachtet werden, die innere Empfindung allezeit mit dabey ſeyn, wenn wir behoͤrig darauf Achtung haben wollen. Da aber dieſe Empfindung nur ein denkendes Weſen vorausſetzt, ſo hindert dieſes nicht, daß wir nicht auch die Vernunft- lehre in ſo fern ſollten unter die Wiſſenſchaften rech- nen, die im engſten Verſtande a priori ſind.
§. 663.
Der Begriff der logiſchen Wahrheit, welche in Abſicht auf uns in der Uebereinſtimmung unſrer Vor- ſtellung mit den Sachen, in Abſicht auf die Sache ſelbſt aber darinn beſteht, daß ſich das Praͤdicat durch den Begriff des Subjectes beſtimmen laſſe, iſt eben- falls ein Begriff, den wir als a priori anſehen koͤn- nen, (§. 662.) da er weiter nichts als ein denkendes Weſen vorausſetzt, und die Vorſtellung mit der
Empfin-
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IX. Hauptſtuͤck,
§. 662.
Wir koͤnnen ferner noch anmerken, daß es Be-
griffe giebt, deren Vorſtellung immer mit der Er-
fahrung zu Paaren geht, und dieſes ſind die, ſo von
dem Senfu interno herruͤhren, wenn wir naͤmlich an
unſre Gedanken denken. So z. E. wenn wir einen
Schluß machen, mit dem Bewußtſeyn, daß es ein
Schluß iſt, ſo iſt auch die Empfindung der Folge
des Schlußſatzes aus den Praͤmiſſen zugleich mit da.
Man kann hierinn den Grund finden, warum unter
den philoſophiſchen Wiſſenſchaften die Vernunftlehre,
welche uns dieſes Zuruͤckdenken auf unſre Begriffe,
Saͤtze, Schluͤſſe ꝛc. angiebt, der geometriſchen Ge-
wißheit nichts nachgiebt. Denn wenn ja zu beyden
ſollten Erfahrungen erfordert werden, ſo wuͤrden die
fuͤr die Vernunftlehre noch viel unmittelbarer ſeyn,
als die fuͤr die Geometrie. Nun kann bey den Be-
griffen und Saͤtzen der Vernunftlehre, ſofern darinn
nur die Geſetze des Denkens betrachtet werden, die
innere Empfindung allezeit mit dabey ſeyn, wenn wir
behoͤrig darauf Achtung haben wollen. Da aber dieſe
Empfindung nur ein denkendes Weſen vorausſetzt, ſo
hindert dieſes nicht, daß wir nicht auch die Vernunft-
lehre in ſo fern ſollten unter die Wiſſenſchaften rech-
nen, die im engſten Verſtande a priori ſind.
§. 663.
Der Begriff der logiſchen Wahrheit, welche in
Abſicht auf uns in der Uebereinſtimmung unſrer Vor-
ſtellung mit den Sachen, in Abſicht auf die Sache
ſelbſt aber darinn beſteht, daß ſich das Praͤdicat durch
den Begriff des Subjectes beſtimmen laſſe, iſt eben-
falls ein Begriff, den wir als a priori anſehen koͤn-
nen, (§. 662.) da er weiter nichts als ein denkendes
Weſen vorausſetzt, und die Vorſtellung mit der
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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