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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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I. Hauptstück. Von der symbolischen
dienet. Es ist eine auch für Kenner des Alterthums
schwere Arbeit, unsere dermaligen Sprachen in ihrem
ersten Ursprunge aufzusuchen. Was uns aber theils
die Natur der Sache, theils auch die Geschichte lehret,
ist, daß es damit sehr gelegentlich zugegangen, daß die
Sprachen jeder wissenschaftlichen Erkenntniß Jahrhun-
derte vorgehen, und ihren Ursprung Unstudierten zu
danken haben. Jn jeder Sprachlehre wird der Ge-
brauch zu reden
als ein Tyrann vorgestellet, der
tausend Anomalien und Abweichungen von allgemeinen
Regeln eingeführet hat, und dessen Eigensinn sich
Sprachlehrer und Weltweise bald unbedingt unterwer-
fen müssen. Man stellet daher die Sprache als eine
Democratie vor, wo jeder dazu beytragen kann, wo aber
auch alles, gleichsam wie durch die Mehrheit der Stim-
men, angenommen oder verworfen wird, ohne daß man
sich immer um das Wahre oder Falsche, Richtige oder
Unrichtige, Schickliche oder Ungereimte viel umsieht.

§. 2. Es sieht demnach mit den Sprachen, von
dieser Seite betrachtet, sehr mißlich aus. Sie sind al-
lerdings nicht systematische Lehrgebäude, wobey alles
nach allgemeinen und einförmigen Regeln wäre aufge-
führet worden. Man kann sich wohl etwan einen Be-
griff einer einfachen und durchaus regelmäßigen Spra-
che machen. Große Gelehrte haben daran gedacht, sie
aber noch nicht gefunden. Man würde sie auch schwer-
lich Unstudierten oder dem gemeinen Volke anvertrauen
können, weil man früher, als man es gedenken sollte,
den Gebrauch zu reden wiederum zum Tyrannen
haben würde. Um desto weniger wird man sich ver-
wundern, wenn die wirklichen Sprachen, welche Unstu-
dierte zum Urheber haben, von einer solchen einfachen
Sprache abweichen, und vielmehr ein Cahos, als etwas
Regelmäßiges, vorstellen.

§. 3.

I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen
dienet. Es iſt eine auch fuͤr Kenner des Alterthums
ſchwere Arbeit, unſere dermaligen Sprachen in ihrem
erſten Urſprunge aufzuſuchen. Was uns aber theils
die Natur der Sache, theils auch die Geſchichte lehret,
iſt, daß es damit ſehr gelegentlich zugegangen, daß die
Sprachen jeder wiſſenſchaftlichen Erkenntniß Jahrhun-
derte vorgehen, und ihren Urſprung Unſtudierten zu
danken haben. Jn jeder Sprachlehre wird der Ge-
brauch zu reden
als ein Tyrann vorgeſtellet, der
tauſend Anomalien und Abweichungen von allgemeinen
Regeln eingefuͤhret hat, und deſſen Eigenſinn ſich
Sprachlehrer und Weltweiſe bald unbedingt unterwer-
fen muͤſſen. Man ſtellet daher die Sprache als eine
Democratie vor, wo jeder dazu beytragen kann, wo aber
auch alles, gleichſam wie durch die Mehrheit der Stim-
men, angenommen oder verworfen wird, ohne daß man
ſich immer um das Wahre oder Falſche, Richtige oder
Unrichtige, Schickliche oder Ungereimte viel umſieht.

§. 2. Es ſieht demnach mit den Sprachen, von
dieſer Seite betrachtet, ſehr mißlich aus. Sie ſind al-
lerdings nicht ſyſtematiſche Lehrgebaͤude, wobey alles
nach allgemeinen und einfoͤrmigen Regeln waͤre aufge-
fuͤhret worden. Man kann ſich wohl etwan einen Be-
griff einer einfachen und durchaus regelmaͤßigen Spra-
che machen. Große Gelehrte haben daran gedacht, ſie
aber noch nicht gefunden. Man wuͤrde ſie auch ſchwer-
lich Unſtudierten oder dem gemeinen Volke anvertrauen
koͤnnen, weil man fruͤher, als man es gedenken ſollte,
den Gebrauch zu reden wiederum zum Tyrannen
haben wuͤrde. Um deſto weniger wird man ſich ver-
wundern, wenn die wirklichen Sprachen, welche Unſtu-
dierte zum Urheber haben, von einer ſolchen einfachen
Sprache abweichen, und vielmehr ein Cahos, als etwas
Regelmaͤßiges, vorſtellen.

§. 3.
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[6/0012] I. Hauptſtuͤck. Von der ſymboliſchen dienet. Es iſt eine auch fuͤr Kenner des Alterthums ſchwere Arbeit, unſere dermaligen Sprachen in ihrem erſten Urſprunge aufzuſuchen. Was uns aber theils die Natur der Sache, theils auch die Geſchichte lehret, iſt, daß es damit ſehr gelegentlich zugegangen, daß die Sprachen jeder wiſſenſchaftlichen Erkenntniß Jahrhun- derte vorgehen, und ihren Urſprung Unſtudierten zu danken haben. Jn jeder Sprachlehre wird der Ge- brauch zu reden als ein Tyrann vorgeſtellet, der tauſend Anomalien und Abweichungen von allgemeinen Regeln eingefuͤhret hat, und deſſen Eigenſinn ſich Sprachlehrer und Weltweiſe bald unbedingt unterwer- fen muͤſſen. Man ſtellet daher die Sprache als eine Democratie vor, wo jeder dazu beytragen kann, wo aber auch alles, gleichſam wie durch die Mehrheit der Stim- men, angenommen oder verworfen wird, ohne daß man ſich immer um das Wahre oder Falſche, Richtige oder Unrichtige, Schickliche oder Ungereimte viel umſieht. §. 2. Es ſieht demnach mit den Sprachen, von dieſer Seite betrachtet, ſehr mißlich aus. Sie ſind al- lerdings nicht ſyſtematiſche Lehrgebaͤude, wobey alles nach allgemeinen und einfoͤrmigen Regeln waͤre aufge- fuͤhret worden. Man kann ſich wohl etwan einen Be- griff einer einfachen und durchaus regelmaͤßigen Spra- che machen. Große Gelehrte haben daran gedacht, ſie aber noch nicht gefunden. Man wuͤrde ſie auch ſchwer- lich Unſtudierten oder dem gemeinen Volke anvertrauen koͤnnen, weil man fruͤher, als man es gedenken ſollte, den Gebrauch zu reden wiederum zum Tyrannen haben wuͤrde. Um deſto weniger wird man ſich ver- wundern, wenn die wirklichen Sprachen, welche Unſtu- dierte zum Urheber haben, von einer ſolchen einfachen Sprache abweichen, und vielmehr ein Cahos, als etwas Regelmaͤßiges, vorſtellen. §. 3.

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/12>, abgerufen am 27.04.2024.