Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
VI. Hauptstück.

§. 217. Wie es unter den Beywörtern mehrere
giebt, die der Natur der Sache nach keine Stuffen oder
Grade haben (§. 190.), so ist sich nicht zu verwundern,
wenn man auch Vorwörter findet, die keine zulassen.
Aber auch hierinn sind die wirklichen Sprachen nicht
zum Muster zu nehmen, weil sie durch andere Mittel
ersetzen, was sie in den Vorwörtern selbst nicht anzei-
gen. Jm Lateinischen findet sich das einige prope, aus
welchem man propius und proxime bildet, und z. E.
propius urbem, proxime Italiam, etc. sagt, indessen aber
dennoch die Präposition ad darunter verstehen kann.
Warum man aber z. E. an statt potius propter, potis-
simum propter,
oder vel maxime propter, nicht kürzer,
propterius, propterrime, sagt, läßt sich nur daher lei-
ten, weil die Urheber der lateinischen Sprache derselben
diesen Schwung nicht gegeben haben. Solche Mög-
lichkeiten wird man in den Sprachen bald für jede Vor-
wörter finden, weil die Verhältnisse, die sie vorstellen,
unstreitig Grade haben, und dadurch näher bestimmt
oder angezeigt werden könnten.

§. 218. Die Zwischenwörter oder Jnterjectionen
machen die andere Classe der unveränderlichen Rede-
theilchen der Sprachen aus. Sie haben etwas Meta-
physisches, wodurch sie sich von den übrigen Wörtern
unterscheiden, weil sie den Affect oder überhaupt den
Gemüthszustand des Redenden ausdrücken. Man kann
auch sagen, daß sie der Natur der Sache nach etwas
Physisches haben, oder in der That Wirkungen der Af-
fecten seyn sollten, und es in den wirklichen Sprachen
zum Theil sind. Denn da bey heftigen Affecten der
ganze Leib in Bewegung ist, so ist nicht zu zweifeln, daß
nicht auch die Gliedmaßen der Sprache an dieser Be-
wegung Antheil haben, und nach dem individualen Un-
terschiede des Affectes auch individuale Unterschiede der
Bewegung haben sollten. Die genauere Untersuchung

dieses
VI. Hauptſtuͤck.

§. 217. Wie es unter den Beywoͤrtern mehrere
giebt, die der Natur der Sache nach keine Stuffen oder
Grade haben (§. 190.), ſo iſt ſich nicht zu verwundern,
wenn man auch Vorwoͤrter findet, die keine zulaſſen.
Aber auch hierinn ſind die wirklichen Sprachen nicht
zum Muſter zu nehmen, weil ſie durch andere Mittel
erſetzen, was ſie in den Vorwoͤrtern ſelbſt nicht anzei-
gen. Jm Lateiniſchen findet ſich das einige prope, aus
welchem man propius und proxime bildet, und z. E.
propius urbem, proxime Italiam, ꝛc. ſagt, indeſſen aber
dennoch die Praͤpoſition ad darunter verſtehen kann.
Warum man aber z. E. an ſtatt potius propter, potis-
ſimum propter,
oder vel maxime propter, nicht kuͤrzer,
propterius, propterrime, ſagt, laͤßt ſich nur daher lei-
ten, weil die Urheber der lateiniſchen Sprache derſelben
dieſen Schwung nicht gegeben haben. Solche Moͤg-
lichkeiten wird man in den Sprachen bald fuͤr jede Vor-
woͤrter finden, weil die Verhaͤltniſſe, die ſie vorſtellen,
unſtreitig Grade haben, und dadurch naͤher beſtimmt
oder angezeigt werden koͤnnten.

§. 218. Die Zwiſchenwoͤrter oder Jnterjectionen
machen die andere Claſſe der unveraͤnderlichen Rede-
theilchen der Sprachen aus. Sie haben etwas Meta-
phyſiſches, wodurch ſie ſich von den uͤbrigen Woͤrtern
unterſcheiden, weil ſie den Affect oder uͤberhaupt den
Gemuͤthszuſtand des Redenden ausdruͤcken. Man kann
auch ſagen, daß ſie der Natur der Sache nach etwas
Phyſiſches haben, oder in der That Wirkungen der Af-
fecten ſeyn ſollten, und es in den wirklichen Sprachen
zum Theil ſind. Denn da bey heftigen Affecten der
ganze Leib in Bewegung iſt, ſo iſt nicht zu zweifeln, daß
nicht auch die Gliedmaßen der Sprache an dieſer Be-
wegung Antheil haben, und nach dem individualen Un-
terſchiede des Affectes auch individuale Unterſchiede der
Bewegung haben ſollten. Die genauere Unterſuchung

dieſes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0134" n="128"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi> </fw><lb/>
          <p>§. 217. Wie es unter den Beywo&#x0364;rtern mehrere<lb/>
giebt, die der Natur der Sache nach keine Stuffen oder<lb/>
Grade haben (§. 190.), &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ich nicht zu verwundern,<lb/>
wenn man auch Vorwo&#x0364;rter findet, die keine zula&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Aber auch hierinn &#x017F;ind die wirklichen Sprachen nicht<lb/>
zum Mu&#x017F;ter zu nehmen, weil &#x017F;ie durch andere Mittel<lb/>
er&#x017F;etzen, was &#x017F;ie in den Vorwo&#x0364;rtern &#x017F;elb&#x017F;t nicht anzei-<lb/>
gen. Jm Lateini&#x017F;chen findet &#x017F;ich das einige <hi rendition="#aq">prope,</hi> aus<lb/>
welchem man <hi rendition="#aq">propius</hi> und <hi rendition="#aq">proxime</hi> bildet, und z. E.<lb/><hi rendition="#aq">propius urbem, proxime Italiam,</hi> &#xA75B;c. &#x017F;agt, inde&#x017F;&#x017F;en aber<lb/>
dennoch die Pra&#x0364;po&#x017F;ition <hi rendition="#aq">ad</hi> darunter ver&#x017F;tehen kann.<lb/>
Warum man aber z. E. an &#x017F;tatt <hi rendition="#aq">potius propter, potis-<lb/>
&#x017F;imum propter,</hi> oder <hi rendition="#aq">vel maxime propter,</hi> nicht ku&#x0364;rzer,<lb/><hi rendition="#aq">propterius, propterrime,</hi> &#x017F;agt, la&#x0364;ßt &#x017F;ich nur daher lei-<lb/>
ten, weil die Urheber der lateini&#x017F;chen Sprache der&#x017F;elben<lb/>
die&#x017F;en Schwung nicht gegeben haben. Solche Mo&#x0364;g-<lb/>
lichkeiten wird man in den Sprachen bald fu&#x0364;r jede Vor-<lb/>
wo&#x0364;rter finden, weil die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ie vor&#x017F;tellen,<lb/>
un&#x017F;treitig Grade haben, und dadurch na&#x0364;her be&#x017F;timmt<lb/>
oder angezeigt werden ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
          <p>§. 218. Die Zwi&#x017F;chenwo&#x0364;rter oder Jnterjectionen<lb/>
machen die andere Cla&#x017F;&#x017F;e der unvera&#x0364;nderlichen Rede-<lb/>
theilchen der Sprachen aus. Sie haben etwas Meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;ches, wodurch &#x017F;ie &#x017F;ich von den u&#x0364;brigen Wo&#x0364;rtern<lb/>
unter&#x017F;cheiden, weil &#x017F;ie den Affect oder u&#x0364;berhaupt den<lb/>
Gemu&#x0364;thszu&#x017F;tand des Redenden ausdru&#x0364;cken. Man kann<lb/>
auch &#x017F;agen, daß &#x017F;ie der Natur der Sache nach etwas<lb/>
Phy&#x017F;i&#x017F;ches haben, oder in der That Wirkungen der Af-<lb/>
fecten &#x017F;eyn &#x017F;ollten, und es in den wirklichen Sprachen<lb/>
zum Theil &#x017F;ind. Denn da bey heftigen Affecten der<lb/>
ganze Leib in Bewegung i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t nicht zu zweifeln, daß<lb/>
nicht auch die Gliedmaßen der Sprache an die&#x017F;er Be-<lb/>
wegung Antheil haben, und nach dem individualen Un-<lb/>
ter&#x017F;chiede des Affectes auch individuale Unter&#x017F;chiede der<lb/>
Bewegung haben &#x017F;ollten. Die genauere Unter&#x017F;uchung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] VI. Hauptſtuͤck. §. 217. Wie es unter den Beywoͤrtern mehrere giebt, die der Natur der Sache nach keine Stuffen oder Grade haben (§. 190.), ſo iſt ſich nicht zu verwundern, wenn man auch Vorwoͤrter findet, die keine zulaſſen. Aber auch hierinn ſind die wirklichen Sprachen nicht zum Muſter zu nehmen, weil ſie durch andere Mittel erſetzen, was ſie in den Vorwoͤrtern ſelbſt nicht anzei- gen. Jm Lateiniſchen findet ſich das einige prope, aus welchem man propius und proxime bildet, und z. E. propius urbem, proxime Italiam, ꝛc. ſagt, indeſſen aber dennoch die Praͤpoſition ad darunter verſtehen kann. Warum man aber z. E. an ſtatt potius propter, potis- ſimum propter, oder vel maxime propter, nicht kuͤrzer, propterius, propterrime, ſagt, laͤßt ſich nur daher lei- ten, weil die Urheber der lateiniſchen Sprache derſelben dieſen Schwung nicht gegeben haben. Solche Moͤg- lichkeiten wird man in den Sprachen bald fuͤr jede Vor- woͤrter finden, weil die Verhaͤltniſſe, die ſie vorſtellen, unſtreitig Grade haben, und dadurch naͤher beſtimmt oder angezeigt werden koͤnnten. §. 218. Die Zwiſchenwoͤrter oder Jnterjectionen machen die andere Claſſe der unveraͤnderlichen Rede- theilchen der Sprachen aus. Sie haben etwas Meta- phyſiſches, wodurch ſie ſich von den uͤbrigen Woͤrtern unterſcheiden, weil ſie den Affect oder uͤberhaupt den Gemuͤthszuſtand des Redenden ausdruͤcken. Man kann auch ſagen, daß ſie der Natur der Sache nach etwas Phyſiſches haben, oder in der That Wirkungen der Af- fecten ſeyn ſollten, und es in den wirklichen Sprachen zum Theil ſind. Denn da bey heftigen Affecten der ganze Leib in Bewegung iſt, ſo iſt nicht zu zweifeln, daß nicht auch die Gliedmaßen der Sprache an dieſer Be- wegung Antheil haben, und nach dem individualen Un- terſchiede des Affectes auch individuale Unterſchiede der Bewegung haben ſollten. Die genauere Unterſuchung dieſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/134
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/134>, abgerufen am 10.05.2024.