§. 229. Die letzte Classe der unveränderlichen Re- detheile begreift die Conjunctionen oder Bindwörter. Ohne diese würde eine Rede aus lauter einzeln Sätzen bestehen, und ohne allen Zusammenhang seyn, oder wenigstens zu seyn scheinen. Und wenn auch solche Sätze in behöriger Ordnung auf einander folgten, so wäre es immer der Einsicht des Lesers oder Zuhörers überlassen, ob er denselben finden würde, oder auch fin- den könnte, weil in der That Vieldeutigkeiten dabey vorkommen können. Z. E. Man nehme die zween Sätze: Jch bin nicht bey Cajo gewesen. Ti- tius ist bey mir gewesen; so seheint einer von dem andern unabhängig, und jeder ein Stück von zwo ganz verschiedenen Erzählungen zu seyn. Jndessen können sie auf vielfache Art zusammenhängen. Der erste kann ein Anlaß zum andern, der andere ein Grund des er- sten, oder eine Folge davon seyn etc. Die Conjunctio- nen: denn, weil, aber, so etc. geben solche Unterschie- de an, und breiten den Zusammenhang auf das vor- und nachgebende der Rede aus. Z. E. Jch war nicht bey Cajo, denn Titius war bey mir, will sagen: Titius hat mich verhindert, oder hat es unnöthig ge- macht. Eben so: Jch war nicht bey Cajo, aber Titius war bey mir, kann anzeigen, daß Titius er- setzt habe, was bey Cajo zu thun gewesen wäre, und hier können sehr speciale Verhältnisse zum Grunde lie- gen, die sich jedesmal aus den Umständen und der gan- zen Rede vermittelst solcher Conjunctionen gleichsam von selbst angeben.
§. 230. Man sieht aus diesem Beyspiele, daß die Bindwörter nicht Kleinigkeiten, sondern Meisterstücke der Sprache sind, weil sie auf eine sehr kurze Art einer Rede Verstand, Bestimmung und Zusammenhang ge- ben. Wir haben in der Dianoiologie (§. 300.) in ei- nem ausführlichern Beyspiele gewiesen, wie durch die
Bind-
VI. Hauptſtuͤck.
§. 229. Die letzte Claſſe der unveraͤnderlichen Re- detheile begreift die Conjunctionen oder Bindwoͤrter. Ohne dieſe wuͤrde eine Rede aus lauter einzeln Saͤtzen beſtehen, und ohne allen Zuſammenhang ſeyn, oder wenigſtens zu ſeyn ſcheinen. Und wenn auch ſolche Saͤtze in behoͤriger Ordnung auf einander folgten, ſo waͤre es immer der Einſicht des Leſers oder Zuhoͤrers uͤberlaſſen, ob er denſelben finden wuͤrde, oder auch fin- den koͤnnte, weil in der That Vieldeutigkeiten dabey vorkommen koͤnnen. Z. E. Man nehme die zween Saͤtze: Jch bin nicht bey Cajo geweſen. Ti- tius iſt bey mir geweſen; ſo ſeheint einer von dem andern unabhaͤngig, und jeder ein Stuͤck von zwo ganz verſchiedenen Erzaͤhlungen zu ſeyn. Jndeſſen koͤnnen ſie auf vielfache Art zuſammenhaͤngen. Der erſte kann ein Anlaß zum andern, der andere ein Grund des er- ſten, oder eine Folge davon ſeyn ꝛc. Die Conjunctio- nen: denn, weil, aber, ſo ꝛc. geben ſolche Unterſchie- de an, und breiten den Zuſammenhang auf das vor- und nachgebende der Rede aus. Z. E. Jch war nicht bey Cajo, denn Titius war bey mir, will ſagen: Titius hat mich verhindert, oder hat es unnoͤthig ge- macht. Eben ſo: Jch war nicht bey Cajo, aber Titius war bey mir, kann anzeigen, daß Titius er- ſetzt habe, was bey Cajo zu thun geweſen waͤre, und hier koͤnnen ſehr ſpeciale Verhaͤltniſſe zum Grunde lie- gen, die ſich jedesmal aus den Umſtaͤnden und der gan- zen Rede vermittelſt ſolcher Conjunctionen gleichſam von ſelbſt angeben.
§. 230. Man ſieht aus dieſem Beyſpiele, daß die Bindwoͤrter nicht Kleinigkeiten, ſondern Meiſterſtuͤcke der Sprache ſind, weil ſie auf eine ſehr kurze Art einer Rede Verſtand, Beſtimmung und Zuſammenhang ge- ben. Wir haben in der Dianoiologie (§. 300.) in ei- nem ausfuͤhrlichern Beyſpiele gewieſen, wie durch die
Bind-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0142"n="136"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">VI.</hi> Hauptſtuͤck.</hi></fw><lb/><p>§. 229. Die letzte Claſſe der unveraͤnderlichen Re-<lb/>
detheile begreift die Conjunctionen oder <hirendition="#fr">Bindwoͤrter.</hi><lb/>
Ohne dieſe wuͤrde eine Rede aus lauter einzeln Saͤtzen<lb/>
beſtehen, und ohne allen Zuſammenhang ſeyn, oder<lb/>
wenigſtens zu ſeyn ſcheinen. Und wenn auch ſolche<lb/>
Saͤtze in behoͤriger Ordnung auf einander folgten, ſo<lb/>
waͤre es immer der Einſicht des Leſers oder Zuhoͤrers<lb/>
uͤberlaſſen, ob er denſelben finden wuͤrde, oder auch fin-<lb/>
den koͤnnte, weil in der That Vieldeutigkeiten dabey<lb/>
vorkommen koͤnnen. Z. E. Man nehme die zween<lb/>
Saͤtze: <hirendition="#fr">Jch bin nicht bey Cajo geweſen. Ti-<lb/>
tius iſt bey mir geweſen;</hi>ſo ſeheint einer von dem<lb/>
andern unabhaͤngig, und jeder ein Stuͤck von zwo ganz<lb/>
verſchiedenen Erzaͤhlungen zu ſeyn. Jndeſſen koͤnnen<lb/>ſie auf vielfache Art zuſammenhaͤngen. Der erſte kann<lb/>
ein <hirendition="#fr">Anlaß</hi> zum andern, der andere ein <hirendition="#fr">Grund</hi> des er-<lb/>ſten, oder eine <hirendition="#fr">Folge</hi> davon ſeyn ꝛc. Die Conjunctio-<lb/>
nen: <hirendition="#fr">denn, weil, aber, ſo</hi>ꝛc. geben ſolche Unterſchie-<lb/>
de an, und breiten den Zuſammenhang auf das vor- und<lb/>
nachgebende der Rede aus. Z. E. <hirendition="#fr">Jch war nicht<lb/>
bey Cajo, denn Titius war bey mir,</hi> will ſagen:<lb/>
Titius hat mich verhindert, oder hat es unnoͤthig ge-<lb/>
macht. Eben ſo: <hirendition="#fr">Jch war nicht bey Cajo, aber<lb/>
Titius war bey mir,</hi> kann anzeigen, daß Titius er-<lb/>ſetzt habe, was bey Cajo zu thun geweſen waͤre, und<lb/>
hier koͤnnen ſehr ſpeciale Verhaͤltniſſe zum Grunde lie-<lb/>
gen, die ſich jedesmal aus den Umſtaͤnden und der gan-<lb/>
zen Rede vermittelſt ſolcher Conjunctionen gleichſam<lb/>
von ſelbſt angeben.</p><lb/><p>§. 230. Man ſieht aus dieſem Beyſpiele, daß die<lb/>
Bindwoͤrter nicht Kleinigkeiten, ſondern Meiſterſtuͤcke<lb/>
der Sprache ſind, weil ſie auf eine ſehr kurze Art einer<lb/>
Rede Verſtand, Beſtimmung und Zuſammenhang ge-<lb/>
ben. Wir haben in der Dianoiologie (§. 300.) in ei-<lb/>
nem ausfuͤhrlichern Beyſpiele gewieſen, wie durch die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Bind-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[136/0142]
VI. Hauptſtuͤck.
§. 229. Die letzte Claſſe der unveraͤnderlichen Re-
detheile begreift die Conjunctionen oder Bindwoͤrter.
Ohne dieſe wuͤrde eine Rede aus lauter einzeln Saͤtzen
beſtehen, und ohne allen Zuſammenhang ſeyn, oder
wenigſtens zu ſeyn ſcheinen. Und wenn auch ſolche
Saͤtze in behoͤriger Ordnung auf einander folgten, ſo
waͤre es immer der Einſicht des Leſers oder Zuhoͤrers
uͤberlaſſen, ob er denſelben finden wuͤrde, oder auch fin-
den koͤnnte, weil in der That Vieldeutigkeiten dabey
vorkommen koͤnnen. Z. E. Man nehme die zween
Saͤtze: Jch bin nicht bey Cajo geweſen. Ti-
tius iſt bey mir geweſen; ſo ſeheint einer von dem
andern unabhaͤngig, und jeder ein Stuͤck von zwo ganz
verſchiedenen Erzaͤhlungen zu ſeyn. Jndeſſen koͤnnen
ſie auf vielfache Art zuſammenhaͤngen. Der erſte kann
ein Anlaß zum andern, der andere ein Grund des er-
ſten, oder eine Folge davon ſeyn ꝛc. Die Conjunctio-
nen: denn, weil, aber, ſo ꝛc. geben ſolche Unterſchie-
de an, und breiten den Zuſammenhang auf das vor- und
nachgebende der Rede aus. Z. E. Jch war nicht
bey Cajo, denn Titius war bey mir, will ſagen:
Titius hat mich verhindert, oder hat es unnoͤthig ge-
macht. Eben ſo: Jch war nicht bey Cajo, aber
Titius war bey mir, kann anzeigen, daß Titius er-
ſetzt habe, was bey Cajo zu thun geweſen waͤre, und
hier koͤnnen ſehr ſpeciale Verhaͤltniſſe zum Grunde lie-
gen, die ſich jedesmal aus den Umſtaͤnden und der gan-
zen Rede vermittelſt ſolcher Conjunctionen gleichſam
von ſelbſt angeben.
§. 230. Man ſieht aus dieſem Beyſpiele, daß die
Bindwoͤrter nicht Kleinigkeiten, ſondern Meiſterſtuͤcke
der Sprache ſind, weil ſie auf eine ſehr kurze Art einer
Rede Verſtand, Beſtimmung und Zuſammenhang ge-
ben. Wir haben in der Dianoiologie (§. 300.) in ei-
nem ausfuͤhrlichern Beyſpiele gewieſen, wie durch die
Bind-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/142>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.