Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.I. Hauptstück. zu seyn scheinen, für das nehmen, was sie wirklichsind, oder hinwiederum dieses mit jenem verwechseln. Die Mittel, dieses Täuschwerk zu vermeiden, und durch den Schein zu dem Wahren durchzudringen, sind dem- nach einem Weltweisen, der durchaus das Wahre an sich zu erkennen sucht, um desto unentbehrlicher, je man- nigfaltiger die Quellen sind, woraus die Blendungen des Scheins fließen. Die Theorie des Scheins und seines Einflusses in die Richtigkeit und Unrichtigkeit der menschlichen Erkenntniß, macht demnach den Theil der Grundwissenschaft aus, den wir die Phänomenologie nennen, und in diesem ersten Hauptstücke den Begriff davon entwickeln werden. §. 2. Der Begriff des Scheins ist sowohl dem und
I. Hauptſtuͤck. zu ſeyn ſcheinen, fuͤr das nehmen, was ſie wirklichſind, oder hinwiederum dieſes mit jenem verwechſeln. Die Mittel, dieſes Taͤuſchwerk zu vermeiden, und durch den Schein zu dem Wahren durchzudringen, ſind dem- nach einem Weltweiſen, der durchaus das Wahre an ſich zu erkennen ſucht, um deſto unentbehrlicher, je man- nigfaltiger die Quellen ſind, woraus die Blendungen des Scheins fließen. Die Theorie des Scheins und ſeines Einfluſſes in die Richtigkeit und Unrichtigkeit der menſchlichen Erkenntniß, macht demnach den Theil der Grundwiſſenſchaft aus, den wir die Phaͤnomenologie nennen, und in dieſem erſten Hauptſtuͤcke den Begriff davon entwickeln werden. §. 2. Der Begriff des Scheins iſt ſowohl dem und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Hauptſtuͤck.</hi></fw><lb/> zu ſeyn <hi rendition="#fr">ſcheinen,</hi> fuͤr das nehmen, was ſie <hi rendition="#fr">wirklich<lb/> ſind,</hi> oder hinwiederum dieſes mit jenem verwechſeln.<lb/> Die Mittel, dieſes Taͤuſchwerk zu vermeiden, und durch<lb/> den Schein zu dem Wahren durchzudringen, ſind dem-<lb/> nach einem Weltweiſen, der durchaus das Wahre an<lb/> ſich zu erkennen ſucht, um deſto unentbehrlicher, je man-<lb/> nigfaltiger die Quellen ſind, woraus die Blendungen<lb/> des Scheins fließen. Die Theorie des Scheins und<lb/> ſeines Einfluſſes in die Richtigkeit und Unrichtigkeit der<lb/> menſchlichen Erkenntniß, macht demnach den Theil der<lb/> Grundwiſſenſchaft aus, den wir die Phaͤnomenologie<lb/> nennen, und in dieſem erſten Hauptſtuͤcke den Begriff<lb/> davon entwickeln werden.</p><lb/> <p>§. 2. Der Begriff des <hi rendition="#fr">Scheins</hi> iſt ſowohl dem<lb/> Wort als ſeinem erſten Urſprunge nach, von dem Auge<lb/> oder von dem Sehen hergenommen, und ſtuffenweiſe<lb/> auf die uͤbrigen Sinnen und auf die Einbildungskraft<lb/> ausgedehnt, und dadurch zugleich allgemeiner, und theils<lb/> auch vielfach geworden. Hingegen iſt die Theorie des<lb/> Scheins, ſo fern man naͤmlich etwas vollſtaͤndiges ver-<lb/> langt, bisher faſt ganz bey dem <hi rendition="#fr">Auge</hi> zuruͤcke geblie-<lb/> ben. Jn der That beut auch das Auge vielſachern<lb/> Stoff zum Schein an, ſeine Structur iſt einfacher, und<lb/> die Wege des Lichtes bekannter, und ſo war eine naͤhere<lb/> Moͤglichkeit da, die Theorie des <hi rendition="#fr">Sehens</hi> auf richtige<lb/> und brauchbare Gruͤnde zu bringen, und damit die ma-<lb/> thematiſchen Wiſſenſchaften zu bereichern. Ueberdieß<lb/> war die <hi rendition="#fr">Optik</hi> oder <hi rendition="#fr">Sehekunſt</hi> den Aſtronomen,<lb/> welche aus der ſcheinbaren Geſtalt des Himmels auf<lb/> die wahre Einrichtung des Weltbaues zu ſchließen hat-<lb/> ten, viel zu unentbehrlich, als daß ſie nicht die ſchwe-<lb/> rern optiſchen Lehrſaͤtze laͤngſt ſchon haͤtten aufſuchen<lb/> und anwenden ſollen. Jn den neuern Zeiten haben<lb/> die Fernroͤhren und Vergroͤßerungsglaͤſer neuen Stoff<lb/> zur Erweiterung der optiſchen Wiſſenſchaften gegeben,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0224]
I. Hauptſtuͤck.
zu ſeyn ſcheinen, fuͤr das nehmen, was ſie wirklich
ſind, oder hinwiederum dieſes mit jenem verwechſeln.
Die Mittel, dieſes Taͤuſchwerk zu vermeiden, und durch
den Schein zu dem Wahren durchzudringen, ſind dem-
nach einem Weltweiſen, der durchaus das Wahre an
ſich zu erkennen ſucht, um deſto unentbehrlicher, je man-
nigfaltiger die Quellen ſind, woraus die Blendungen
des Scheins fließen. Die Theorie des Scheins und
ſeines Einfluſſes in die Richtigkeit und Unrichtigkeit der
menſchlichen Erkenntniß, macht demnach den Theil der
Grundwiſſenſchaft aus, den wir die Phaͤnomenologie
nennen, und in dieſem erſten Hauptſtuͤcke den Begriff
davon entwickeln werden.
§. 2. Der Begriff des Scheins iſt ſowohl dem
Wort als ſeinem erſten Urſprunge nach, von dem Auge
oder von dem Sehen hergenommen, und ſtuffenweiſe
auf die uͤbrigen Sinnen und auf die Einbildungskraft
ausgedehnt, und dadurch zugleich allgemeiner, und theils
auch vielfach geworden. Hingegen iſt die Theorie des
Scheins, ſo fern man naͤmlich etwas vollſtaͤndiges ver-
langt, bisher faſt ganz bey dem Auge zuruͤcke geblie-
ben. Jn der That beut auch das Auge vielſachern
Stoff zum Schein an, ſeine Structur iſt einfacher, und
die Wege des Lichtes bekannter, und ſo war eine naͤhere
Moͤglichkeit da, die Theorie des Sehens auf richtige
und brauchbare Gruͤnde zu bringen, und damit die ma-
thematiſchen Wiſſenſchaften zu bereichern. Ueberdieß
war die Optik oder Sehekunſt den Aſtronomen,
welche aus der ſcheinbaren Geſtalt des Himmels auf
die wahre Einrichtung des Weltbaues zu ſchließen hat-
ten, viel zu unentbehrlich, als daß ſie nicht die ſchwe-
rern optiſchen Lehrſaͤtze laͤngſt ſchon haͤtten aufſuchen
und anwenden ſollen. Jn den neuern Zeiten haben
die Fernroͤhren und Vergroͤßerungsglaͤſer neuen Stoff
zur Erweiterung der optiſchen Wiſſenſchaften gegeben,
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |