Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Wahrscheinlichen.
meisterlich thun. Denn mit Zuziehung richtiger Ober-
sätze werden jede Folgen wahr seyn. Man wird jede
in dem Prädicat gefundene Merkmale, wenn es beja-
hend ist, auch in dem Subject finden, und wenn der
Satz allgemein bejahend ist, so wird man auch das
Subject von jeden Nebenarten des Prädicats aus-
schließen können etc. Allein da bey allem diesem die
Vollständigkeit solcher Jnductionen sehlt, oder
versäumt wird, und da man die dem Prädicat eigene
Merkmale unter den gemeinsamen vermengt oder gar
wegläßt, so wird zwar der Leser oder Zuhörer wider den
Satz keine gegründete Einwendungen machen können,
dagegen aber etwan bemerken, daß auf eine solche Art
auch irrige Sätze glaublich gemacht werden könnten.

§. 175. Jndessen muß man allerdings sagen, daß
man, um irrige Sätze glaublich zu machen, mit der
Aufhäufung der Argumente ehender zurücke bleibt, und
nothwendig nicht so weit reichen kann, als wenn man
einen an sich wahren Satz durch Argumente zu bestäti-
gen vornimmt, weil das Vollständige in der Harmonie
mit wahren Sätzen der Wahrheit eigen ist, und weil
es immer möglich bleibt, aus irrigen Sätzen Wider-
sprüche herzuleiten, und Lücken darinn zu entdecken, die
nicht anders als mit leeren Einbildungen ausgefüllt
werden können (Alethiol. §. 185. 171. 205.). Solche
Dissonanzen können, auch wenn man sie nicht sogleich
deutlich anzeigen kann, dennoch öfters leicht empfunden
werden (Dianoiol. §. 620. seqq.).

§. 176. Die Hauptfrage aber, die hier gemacht wer-
den kann, und die uns wiederum von dem Wahrschein-
lichen zur Gewißheit lenkt, ist diese: ob es bey dem
Gebrauche einzelner Theile von verschiedenen
Arten von Jnductionen, nicht Mittel giebt,
den Beweis daraus vollständig zu machen,
auch ohne daß man die Jnductionen vollstän-

dig
Y 5

Von dem Wahrſcheinlichen.
meiſterlich thun. Denn mit Zuziehung richtiger Ober-
ſaͤtze werden jede Folgen wahr ſeyn. Man wird jede
in dem Praͤdicat gefundene Merkmale, wenn es beja-
hend iſt, auch in dem Subject finden, und wenn der
Satz allgemein bejahend iſt, ſo wird man auch das
Subject von jeden Nebenarten des Praͤdicats aus-
ſchließen koͤnnen ꝛc. Allein da bey allem dieſem die
Vollſtaͤndigkeit ſolcher Jnductionen ſehlt, oder
verſaͤumt wird, und da man die dem Praͤdicat eigene
Merkmale unter den gemeinſamen vermengt oder gar
weglaͤßt, ſo wird zwar der Leſer oder Zuhoͤrer wider den
Satz keine gegruͤndete Einwendungen machen koͤnnen,
dagegen aber etwan bemerken, daß auf eine ſolche Art
auch irrige Saͤtze glaublich gemacht werden koͤnnten.

§. 175. Jndeſſen muß man allerdings ſagen, daß
man, um irrige Saͤtze glaublich zu machen, mit der
Aufhaͤufung der Argumente ehender zuruͤcke bleibt, und
nothwendig nicht ſo weit reichen kann, als wenn man
einen an ſich wahren Satz durch Argumente zu beſtaͤti-
gen vornimmt, weil das Vollſtaͤndige in der Harmonie
mit wahren Saͤtzen der Wahrheit eigen iſt, und weil
es immer moͤglich bleibt, aus irrigen Saͤtzen Wider-
ſpruͤche herzuleiten, und Luͤcken darinn zu entdecken, die
nicht anders als mit leeren Einbildungen ausgefuͤllt
werden koͤnnen (Alethiol. §. 185. 171. 205.). Solche
Diſſonanzen koͤnnen, auch wenn man ſie nicht ſogleich
deutlich anzeigen kann, dennoch oͤfters leicht empfunden
werden (Dianoiol. §. 620. ſeqq.).

§. 176. Die Hauptfrage aber, die hier gemacht wer-
den kann, und die uns wiederum von dem Wahrſchein-
lichen zur Gewißheit lenkt, iſt dieſe: ob es bey dem
Gebrauche einzelner Theile von verſchiedenen
Arten von Jnductionen, nicht Mittel giebt,
den Beweis daraus vollſtaͤndig zu machen,
auch ohne daß man die Jnductionen vollſtaͤn-

dig
Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0351" n="345"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Wahr&#x017F;cheinlichen.</hi></fw><lb/>
mei&#x017F;terlich thun. Denn mit Zuziehung richtiger Ober-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tze werden jede Folgen wahr &#x017F;eyn. Man wird jede<lb/>
in dem Pra&#x0364;dicat gefundene Merkmale, wenn es beja-<lb/>
hend i&#x017F;t, auch in dem Subject finden, und wenn der<lb/>
Satz allgemein bejahend i&#x017F;t, &#x017F;o wird man auch das<lb/>
Subject von jeden Nebenarten des Pra&#x0364;dicats aus-<lb/>
&#x017F;chließen ko&#x0364;nnen &#xA75B;c. Allein da bey allem die&#x017F;em die<lb/><hi rendition="#fr">Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit &#x017F;olcher Jnductionen</hi> &#x017F;ehlt, oder<lb/>
ver&#x017F;a&#x0364;umt wird, und da man die dem Pra&#x0364;dicat eigene<lb/>
Merkmale unter den gemein&#x017F;amen vermengt oder gar<lb/>
wegla&#x0364;ßt, &#x017F;o wird zwar der Le&#x017F;er oder Zuho&#x0364;rer wider den<lb/>
Satz keine gegru&#x0364;ndete Einwendungen machen ko&#x0364;nnen,<lb/>
dagegen aber etwan bemerken, daß auf eine &#x017F;olche Art<lb/>
auch irrige Sa&#x0364;tze glaublich gemacht werden ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
          <p>§. 175. Jnde&#x017F;&#x017F;en muß man allerdings &#x017F;agen, daß<lb/>
man, um <hi rendition="#fr">irrige</hi> Sa&#x0364;tze glaublich zu machen, mit der<lb/>
Aufha&#x0364;ufung der Argumente ehender zuru&#x0364;cke bleibt, und<lb/>
nothwendig nicht &#x017F;o weit reichen kann, als wenn man<lb/>
einen an &#x017F;ich wahren Satz durch Argumente zu be&#x017F;ta&#x0364;ti-<lb/>
gen vornimmt, weil das Voll&#x017F;ta&#x0364;ndige in der Harmonie<lb/>
mit wahren Sa&#x0364;tzen der Wahrheit eigen i&#x017F;t, und weil<lb/>
es immer mo&#x0364;glich bleibt, aus irrigen Sa&#x0364;tzen Wider-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;che herzuleiten, und Lu&#x0364;cken darinn zu entdecken, die<lb/>
nicht anders als mit leeren Einbildungen ausgefu&#x0364;llt<lb/>
werden ko&#x0364;nnen (Alethiol. §. 185. 171. 205.). Solche<lb/>
Di&#x017F;&#x017F;onanzen ko&#x0364;nnen, auch wenn man &#x017F;ie nicht &#x017F;ogleich<lb/>
deutlich anzeigen kann, dennoch o&#x0364;fters leicht empfunden<lb/>
werden (Dianoiol. §. 620. <hi rendition="#aq">&#x017F;eqq.</hi>).</p><lb/>
          <p>§. 176. Die Hauptfrage aber, die hier gemacht wer-<lb/>
den kann, und die uns wiederum von dem Wahr&#x017F;chein-<lb/>
lichen zur Gewißheit lenkt, i&#x017F;t die&#x017F;e: <hi rendition="#fr">ob es bey dem<lb/>
Gebrauche einzelner Theile von ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Arten von Jnductionen, nicht Mittel giebt,<lb/>
den Beweis daraus voll&#x017F;ta&#x0364;ndig zu machen,<lb/>
auch ohne daß man die Jnductionen voll&#x017F;ta&#x0364;n-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">dig</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0351] Von dem Wahrſcheinlichen. meiſterlich thun. Denn mit Zuziehung richtiger Ober- ſaͤtze werden jede Folgen wahr ſeyn. Man wird jede in dem Praͤdicat gefundene Merkmale, wenn es beja- hend iſt, auch in dem Subject finden, und wenn der Satz allgemein bejahend iſt, ſo wird man auch das Subject von jeden Nebenarten des Praͤdicats aus- ſchließen koͤnnen ꝛc. Allein da bey allem dieſem die Vollſtaͤndigkeit ſolcher Jnductionen ſehlt, oder verſaͤumt wird, und da man die dem Praͤdicat eigene Merkmale unter den gemeinſamen vermengt oder gar weglaͤßt, ſo wird zwar der Leſer oder Zuhoͤrer wider den Satz keine gegruͤndete Einwendungen machen koͤnnen, dagegen aber etwan bemerken, daß auf eine ſolche Art auch irrige Saͤtze glaublich gemacht werden koͤnnten. §. 175. Jndeſſen muß man allerdings ſagen, daß man, um irrige Saͤtze glaublich zu machen, mit der Aufhaͤufung der Argumente ehender zuruͤcke bleibt, und nothwendig nicht ſo weit reichen kann, als wenn man einen an ſich wahren Satz durch Argumente zu beſtaͤti- gen vornimmt, weil das Vollſtaͤndige in der Harmonie mit wahren Saͤtzen der Wahrheit eigen iſt, und weil es immer moͤglich bleibt, aus irrigen Saͤtzen Wider- ſpruͤche herzuleiten, und Luͤcken darinn zu entdecken, die nicht anders als mit leeren Einbildungen ausgefuͤllt werden koͤnnen (Alethiol. §. 185. 171. 205.). Solche Diſſonanzen koͤnnen, auch wenn man ſie nicht ſogleich deutlich anzeigen kann, dennoch oͤfters leicht empfunden werden (Dianoiol. §. 620. ſeqq.). §. 176. Die Hauptfrage aber, die hier gemacht wer- den kann, und die uns wiederum von dem Wahrſchein- lichen zur Gewißheit lenkt, iſt dieſe: ob es bey dem Gebrauche einzelner Theile von verſchiedenen Arten von Jnductionen, nicht Mittel giebt, den Beweis daraus vollſtaͤndig zu machen, auch ohne daß man die Jnductionen vollſtaͤn- dig Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/351
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/351>, abgerufen am 21.11.2024.