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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Erkenntniß überhaupt.
Tiefe, gab sehr natürlich Anlaß, sich die Notenlinien
als Stufen vorzustellen, und auf diese Art gebraucht
die Tonkunst zwo Dimensionen, um figürlich vorge-
stellet zu werden.

§. 53. Bey dem Zahlengebäude hatte man ebenfalls
auf die Rangordnung zu sehen. Denn, nachdem man
längst schon gewöhnet war, nach der Abzählung an den
Fingern, von 1 zu 10, 100, 1000 etc. zu zählen, und da-
bey immer wieder zu den 1, 2, 3 etc. zurück zu kehren, so
kam die Erfindung des wissenschaftlichen Zahlengebäu-
des darauf an, daß man die 1, 10, 100, 1000 etc. vor
einander setzete, und daher ihre Würde durch die Stel-
le
anzeigte. Man kann hieraus sehen, wie viel es dar-
auf ankömmt, daß uns die Vordersätze zu einem nütz-
lichen Schlußsatze zugleich beyfallen. Denn diese Er-
findung hätte ungleich älter seyn können, als sie wirklich
ist, und man hat sich zu verwundern, daß sie nicht schon
dem Pythagoras in Sinn gekommen.

§. 54. Die Algeber hat in ihren Zeichen viel will-
kührliches, und in so ferne sind sie in der That nur Ab-
kürzungen, welche machen, daß man die ganze Rech-
nung leichter übersehen kann, als wenn man Worte da-
zu gebrauchen wollte. Die Deutlichkeit dabey fordert,
daß man die Zeichen der Größen von den Zeichen
der Operationen verschieden annahm, und da man
für die erstern mehrentheils Buchstaben gebraucht, so
hat man für die letztern die Zeichen + -- · : sqrt ange-
nommen, welche mit der bedeuteten Sache wenig Aehn-
lichkeit haben. Da also diese Zeichen weder Bilder
der algebraischen Operationen noch ihrer Verhältnisse
sind, so geben sie auch die damit vorzunehmende Ver-
wandelung einer Gleichung in eine andere nicht an, son-
dern es wird eine Theorie dazu erfordert, welche zeigt,
wie man diese Zeichen der Sache gemäß verwechseln
solle, und welche zugleich auch den Erfolg jeder Verwech-

selung
Lamb. Organon II B. C

Erkenntniß uͤberhaupt.
Tiefe, gab ſehr natuͤrlich Anlaß, ſich die Notenlinien
als Stufen vorzuſtellen, und auf dieſe Art gebraucht
die Tonkunſt zwo Dimenſionen, um figuͤrlich vorge-
ſtellet zu werden.

§. 53. Bey dem Zahlengebaͤude hatte man ebenfalls
auf die Rangordnung zu ſehen. Denn, nachdem man
laͤngſt ſchon gewoͤhnet war, nach der Abzaͤhlung an den
Fingern, von 1 zu 10, 100, 1000 ꝛc. zu zaͤhlen, und da-
bey immer wieder zu den 1, 2, 3 ꝛc. zuruͤck zu kehren, ſo
kam die Erfindung des wiſſenſchaftlichen Zahlengebaͤu-
des darauf an, daß man die 1, 10, 100, 1000 ꝛc. vor
einander ſetzete, und daher ihre Wuͤrde durch die Stel-
le
anzeigte. Man kann hieraus ſehen, wie viel es dar-
auf ankoͤmmt, daß uns die Vorderſaͤtze zu einem nuͤtz-
lichen Schlußſatze zugleich beyfallen. Denn dieſe Er-
findung haͤtte ungleich aͤlter ſeyn koͤnnen, als ſie wirklich
iſt, und man hat ſich zu verwundern, daß ſie nicht ſchon
dem Pythagoras in Sinn gekommen.

§. 54. Die Algeber hat in ihren Zeichen viel will-
kuͤhrliches, und in ſo ferne ſind ſie in der That nur Ab-
kuͤrzungen, welche machen, daß man die ganze Rech-
nung leichter uͤberſehen kann, als wenn man Worte da-
zu gebrauchen wollte. Die Deutlichkeit dabey fordert,
daß man die Zeichen der Groͤßen von den Zeichen
der Operationen verſchieden annahm, und da man
fuͤr die erſtern mehrentheils Buchſtaben gebraucht, ſo
hat man fuͤr die letztern die Zeichen + — · : √ ange-
nommen, welche mit der bedeuteten Sache wenig Aehn-
lichkeit haben. Da alſo dieſe Zeichen weder Bilder
der algebraiſchen Operationen noch ihrer Verhaͤltniſſe
ſind, ſo geben ſie auch die damit vorzunehmende Ver-
wandelung einer Gleichung in eine andere nicht an, ſon-
dern es wird eine Theorie dazu erfordert, welche zeigt,
wie man dieſe Zeichen der Sache gemaͤß verwechſeln
ſolle, und welche zugleich auch den Erfolg jeder Verwech-

ſelung
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[33/0039] Erkenntniß uͤberhaupt. Tiefe, gab ſehr natuͤrlich Anlaß, ſich die Notenlinien als Stufen vorzuſtellen, und auf dieſe Art gebraucht die Tonkunſt zwo Dimenſionen, um figuͤrlich vorge- ſtellet zu werden. §. 53. Bey dem Zahlengebaͤude hatte man ebenfalls auf die Rangordnung zu ſehen. Denn, nachdem man laͤngſt ſchon gewoͤhnet war, nach der Abzaͤhlung an den Fingern, von 1 zu 10, 100, 1000 ꝛc. zu zaͤhlen, und da- bey immer wieder zu den 1, 2, 3 ꝛc. zuruͤck zu kehren, ſo kam die Erfindung des wiſſenſchaftlichen Zahlengebaͤu- des darauf an, daß man die 1, 10, 100, 1000 ꝛc. vor einander ſetzete, und daher ihre Wuͤrde durch die Stel- le anzeigte. Man kann hieraus ſehen, wie viel es dar- auf ankoͤmmt, daß uns die Vorderſaͤtze zu einem nuͤtz- lichen Schlußſatze zugleich beyfallen. Denn dieſe Er- findung haͤtte ungleich aͤlter ſeyn koͤnnen, als ſie wirklich iſt, und man hat ſich zu verwundern, daß ſie nicht ſchon dem Pythagoras in Sinn gekommen. §. 54. Die Algeber hat in ihren Zeichen viel will- kuͤhrliches, und in ſo ferne ſind ſie in der That nur Ab- kuͤrzungen, welche machen, daß man die ganze Rech- nung leichter uͤberſehen kann, als wenn man Worte da- zu gebrauchen wollte. Die Deutlichkeit dabey fordert, daß man die Zeichen der Groͤßen von den Zeichen der Operationen verſchieden annahm, und da man fuͤr die erſtern mehrentheils Buchſtaben gebraucht, ſo hat man fuͤr die letztern die Zeichen + — · : √ ange- nommen, welche mit der bedeuteten Sache wenig Aehn- lichkeit haben. Da alſo dieſe Zeichen weder Bilder der algebraiſchen Operationen noch ihrer Verhaͤltniſſe ſind, ſo geben ſie auch die damit vorzunehmende Ver- wandelung einer Gleichung in eine andere nicht an, ſon- dern es wird eine Theorie dazu erfordert, welche zeigt, wie man dieſe Zeichen der Sache gemaͤß verwechſeln ſolle, und welche zugleich auch den Erfolg jeder Verwech- ſelung Lamb. Organon II B. C

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/39>, abgerufen am 28.04.2024.