Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554.sein: "Der leidige Individualismus führt das Scepter, und der Es ist der Gedanke Camille Sees: "Von den Frauen hängt Nicht als ob die Frauen den Himmel auf Erden schaffen sein: „Der leidige Individualismus führt das Scepter, und der Es ist der Gedanke Camille Sées: „Von den Frauen hängt Nicht als ob die Frauen den Himmel auf Erden schaffen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="547"/> sein: „Der leidige Individualismus führt das Scepter, und der<lb/> krasse Egoismus nimmt die Stelle ein, welche der intelligenteste<lb/> Altruismus haben sollte. Daher kommt es denn, dass<lb/> auch die Politik in keinem Kulturstaat mehr in den Händen<lb/> der Gebildetsten ist, wie es fast vor 50 Jahren zu werden schien,<lb/> sondern in der Gewalt der Geldleute, Fabrikanten, der Streber<lb/> und Macher, von kirchlichem Einfluss garnicht zu reden.<lb/> Sehen Sie sich die Zusammensetzung der Repräsentanten-<lb/> häuser aller sogenannten Kulturstaaten an und würdigen Sie<lb/> mit mir die Tatsache, dass der geistige und sittliche Stand-<lb/> punkt der modernen Parlamente der Durchschnittsbildung<lb/> des Volkes nicht mehr entspricht. Vielleicht wäre es ganz gut,<lb/> durch massenhafte Ausbildung der Weiber, einerlei in was, das<lb/> Durchschnittsniveau der Volksbildung zu erhöhen, um unser<lb/> aller Zukunft erspriesslicher zu machen.“ (<hi rendition="#i">Deutsche medicinische<lb/> Wochenschrift</hi>, No. 25, 18. Juni.)</p><lb/> <p>Es ist der Gedanke Camille Sées: „Von den Frauen hängt<lb/> die Grösse und der Verfall der Nationen ab,“ und in der Tat ist<lb/> hier das erlösende Wort gesprochen. Denn der rein männliche<lb/> Staat in seiner starren Einseitigkeit hat sich eben <hi rendition="#i">nicht</hi> bewährt.<lb/> In dieser Ueberzeugung kann uns Frauen keine „Belehrung“<lb/> erschüttern, und sei sie noch so sehr von oben herab, im<lb/> deutschen Professorenton gehalten. Wir stehen an einem<lb/> geschichtlichen Abschnitt. Dem Gemeinschaftsleben strömen<lb/> neue, bisher anderweitig nötige, durch den gewaltigen<lb/> Umschwung innerhalb unseres Jahrhunderts aber frei gewordene<lb/> Kräfte zu: Die Frau will ihren Anteil an der Kulturarbeit<lb/> leisten. Und der Weg muss ihr geebnet werden eben um des<lb/> Wols der Gesamtheit willen.</p><lb/> <p>Nicht als ob die Frauen den Himmel auf Erden schaffen<lb/> werden. Sie sind, als Gesamtheit genommen, nicht vollkommener<lb/> als die Männer. Sie sind nur anders; sie ergänzen<lb/> den Mann. Sie haben den Instinkt der Mutterschaft und die<lb/> unmittelbarere Fühlung mit der Natur, und das ist es, was die<lb/> Welt im Augenblick braucht. Und der Unterschied zwischen<lb/> einem Gemeinschaftsleben auf das nur Männer einwirken und<lb/> einem solchen, in dem Männer und Frauen — vielleicht in einer<lb/> später zu vereinbarenden Art von Arbeitsteilung — zusammenwirken,<lb/> ist derselbe, wie der zwischen einem Hause, in dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [547/0010]
sein: „Der leidige Individualismus führt das Scepter, und der
krasse Egoismus nimmt die Stelle ein, welche der intelligenteste
Altruismus haben sollte. Daher kommt es denn, dass
auch die Politik in keinem Kulturstaat mehr in den Händen
der Gebildetsten ist, wie es fast vor 50 Jahren zu werden schien,
sondern in der Gewalt der Geldleute, Fabrikanten, der Streber
und Macher, von kirchlichem Einfluss garnicht zu reden.
Sehen Sie sich die Zusammensetzung der Repräsentanten-
häuser aller sogenannten Kulturstaaten an und würdigen Sie
mit mir die Tatsache, dass der geistige und sittliche Stand-
punkt der modernen Parlamente der Durchschnittsbildung
des Volkes nicht mehr entspricht. Vielleicht wäre es ganz gut,
durch massenhafte Ausbildung der Weiber, einerlei in was, das
Durchschnittsniveau der Volksbildung zu erhöhen, um unser
aller Zukunft erspriesslicher zu machen.“ (Deutsche medicinische
Wochenschrift, No. 25, 18. Juni.)
Es ist der Gedanke Camille Sées: „Von den Frauen hängt
die Grösse und der Verfall der Nationen ab,“ und in der Tat ist
hier das erlösende Wort gesprochen. Denn der rein männliche
Staat in seiner starren Einseitigkeit hat sich eben nicht bewährt.
In dieser Ueberzeugung kann uns Frauen keine „Belehrung“
erschüttern, und sei sie noch so sehr von oben herab, im
deutschen Professorenton gehalten. Wir stehen an einem
geschichtlichen Abschnitt. Dem Gemeinschaftsleben strömen
neue, bisher anderweitig nötige, durch den gewaltigen
Umschwung innerhalb unseres Jahrhunderts aber frei gewordene
Kräfte zu: Die Frau will ihren Anteil an der Kulturarbeit
leisten. Und der Weg muss ihr geebnet werden eben um des
Wols der Gesamtheit willen.
Nicht als ob die Frauen den Himmel auf Erden schaffen
werden. Sie sind, als Gesamtheit genommen, nicht vollkommener
als die Männer. Sie sind nur anders; sie ergänzen
den Mann. Sie haben den Instinkt der Mutterschaft und die
unmittelbarere Fühlung mit der Natur, und das ist es, was die
Welt im Augenblick braucht. Und der Unterschied zwischen
einem Gemeinschaftsleben auf das nur Männer einwirken und
einem solchen, in dem Männer und Frauen — vielleicht in einer
später zu vereinbarenden Art von Arbeitsteilung — zusammenwirken,
ist derselbe, wie der zwischen einem Hause, in dem
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