Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 6-8. [Spaltenumbruch]
Menschwerdung in der Vereinigung beyder Na-turen nach der menschlichen betrachtet wird. Da denn von ihm dreyerley gesaget wird, erstlich was er Vermöge der Vereinigung beyder Natu- ren in seiner Person an sich gehabt habe: zum andern, wie er sich des völligen Gebrauchs da- bey begeben und erniedriget habe: und denn drittens, wie weit der Grad der Erniedrigung gegangen sey. 2. Was CHristus vermöge der Vereini- gung beyder Naturen in seiner Person gehabt hat, ist morphe Theou, die Gestalt GOttes, das ist, die göttliche Majestät und Herrlichkeit, welche die wahre und ewige Gottheit selbst zum Grun- de hatte. Morphe aber ist, wie leichtlich zu er- achten, alhier nicht so viel als morphosis, der Schein, einige Aehnlichkeit Rom. 2, 17. 2 Tim. 3, 5. sondern das wahre Bild, die wahre wesentliche Gestalt eines Dinges, welche ihr Wesen mit sich bringet. Und wird die göttli- che Majestät und Herrlichkeit deßwegen morphe, eine Gestalt, oder wesentliche Form (welches Wort von dem Griechischen herkömmt) genen- net, weil die wahre Gottheit CHristi daran, wie ein Mensch an seiner menschlichen Gestalt, oder Form erkant wird, ist erkant worden. 3. Jn dieser göttlichen Gestalt war er, uparkhon, nemlich vermöge der persönlichen Vereinigung beyder Naturen. Denn nachdem die göttliche Natur die menschliche in ihre hypo- stasin, in ihr persönliches, oder selbstständiges We- sen hatte aufgenommen, so blieb und bleibet die- se mit ihr in Ewigkeit unzertrennlich vereiniget. Und ob man gleich an CHristo nach der Mensch- werdung eigentlich nur die menschliche Natur sa- he, so wohnete in dieser doch nach Leib und Seele die gantze Fülle der Gottheit, und war sie davon gantz durchdrungen. Und also truge er die wah- re göttliche Gestalt in und an sich. 4. Nun hätte er diese zwar allezeit dergestalt ja noch auf eine herrlichere Art können an sich zei- gen, wie er theils in der Verklärung auf dem Berge Matth. 17, 1. u. f. theils in den grossen Wunder-Wercken that: allein dieses war seiner Weisheit und dem Rathe GOttes von unserer Erlösung nicht gemäß. Darum traf er ein sol- ches Mittel, daß er sie weder gantz völlig zeige- te, noch gäntzlich verborgen hielte. Denn hätte er sie gantz völlig und dazu beständig sehen las- sen, so hätte kein Leiden und kein Versöhnungs- Tod, und keine Erlösung statt gefunden. Es hätte sich auch ein Meßias von lauterer Majestät für den Stoltz der Juden nicht geschicket; als welches sie ohne Bekehrung nur noch zu mehrerm Stoltz würden gemißbrauchet haben. Hätte er aber gar nichts von solcher göttlichen Gestalt sehen lassen, so hätte der Glaube keine genugsame Stütze gehabt, woran er sich hätte halten kön- nen. Dannenhero hat unser Heiland das aller- weiseste temperament getroffen, und seine göttli- che Gestalt weder zu viel noch zu wenig geoffen- baret. 5. Die Redens-Art, etwas nicht für ei- nen Raub halten, kan man alhier wol in dem gemeinen Verstande behalten, daß es so viel sey, als mit etwas nicht groß thun, prangen und tri- [Spaltenumbruch] umphiren, wie es die Sieger zu machen pflegten, wenn sie mit den geraubeten, oder im Kriege er- oberten kostbarsten und herrlichsten Sachen ih- rer überwundenen Feinde triumphirend einzo- gen. Und also heißt, er hielte es nicht für einen Raub GOTT gleich seyn, so viel, als er prangete und triumphirete vor der Zeit der Er- höhung mit seiner göttlichen Herrlichkeit nicht, er führete sie nicht im völligen und beständigen Gebrauch. Und weil denn die göttliche Gestalt vielerley Herrlichkeit nach allen göttlichen Eigen- schaften in sich hielte, so gebrauchet der Apostel das Wort isos davon im plurali, und spricht, to einai isa Theo: welcher numerus pluralis in neutro genere auch nach dem Graecismo kan als das adverbium isos genommen werden. Es heißt aber eben so viel als isos Joh. 5, 18. da die Redens-Art stehet, sich GOtt gleich ma- chen; welches unser Heiland auch nach der Wahrheit that, von den blinden Juden aber nicht für recht erkant wurde. 6. Was nun den andern Punct betrifft, daß und wie sich unser Heiland der Fülle seiner mitge- theilten göttlichen Herrlichkeit begeben habe, so drucket das der Apostel zuvörderst aus mit den Worten ekenosen eauton; welche nicht deutlich genug gegeben werden mit dem Worte äussern, er äusserte sich selbst, sondern eigentlich heis- sen: er leerete sich selbst aus. Welches der Fülle entgegen gesetzet wird. Da nun aber die- ses Ausleeren nicht kan verstanden werden von ei- ner der Besitzung entgegen stehenden gäntzlichen Ablegung; sintemal dieses nach einmal geschehe- ner Vereinigung beyder Naturen weder konte, noch solte, geschehen; so kan es nicht anders, als von dem völligen Gebrauche verstanden werden: daß er nemlich die Fülle der einwohnenden göttli- chen Herrlichkeit gehabt, als hätte er sie nicht; wie es der Stand der Erniedrigung mit sich brachte. 7. Da denn nun diese Ausleerung, oder die Begebung des völligen Gedrauchs der mitge- theileten göttlichen Majestät und Herrlichkeit, dem Stande der Erniedrigung gemäß seyn muste, so gedencket der Apostel dabey dieses Standes, in so fern er von jenem unterschieden ist, und vor Menschen sichtbar wurde, mit folgenden Wor- ten: er nahm Knechtes Gestalt an sich u. f. welches auch gegeben werden kan: nachdem er Knechtes Gestalt an sich genommen hatte, und wie ein anderer Mensch, oder den Menschen gleich worden war; das ist, da er nicht allein menschliche Natur an sich genommen, sondern auch in derselben sich nicht als ein majestätischer HErr, sondern als ein gehorsamer Knecht in nie- driger Gestalt dargestellet hatte, so wolte es sich nicht schicken, daß er in solcher geringen Gestalt die göttliche Majestät mit vollem Glantze hervor treten liesse; als welches contradictorisch gewe- sen wäre. Es zeiget demnach der Apostel an, daß die geringe Knechts-Gestalt, welche zur Erlösung nöthig war, die Entäusserung oder Begebung des völligen Gebrauchs der göttlichen Herrlich- keit erfordert habe. 8. Gleichwie nun die Gestalt GOttes zwar die göttliche Natur zum Grunde hat, aber nicht
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 6-8. [Spaltenumbruch]
Menſchwerdung in der Vereinigung beyder Na-turen nach der menſchlichen betrachtet wird. Da denn von ihm dreyerley geſaget wird, erſtlich was er Vermoͤge der Vereinigung beyder Natu- ren in ſeiner Perſon an ſich gehabt habe: zum andern, wie er ſich des voͤlligen Gebrauchs da- bey begeben und erniedriget habe: und denn drittens, wie weit der Grad der Erniedrigung gegangen ſey. 2. Was CHriſtus vermoͤge der Vereini- gung beyder Naturen in ſeiner Perſon gehabt hat, iſt μορφὴ Θεοῦ, die Geſtalt GOttes, das iſt, die goͤttliche Majeſtaͤt und Herrlichkeit, welche die wahre und ewige Gottheit ſelbſt zum Grun- de hatte. Μορφὴ aber iſt, wie leichtlich zu er- achten, alhier nicht ſo viel als μόρφωσις, der Schein, einige Aehnlichkeit Rom. 2, 17. 2 Tim. 3, 5. ſondern das wahre Bild, die wahre weſentliche Geſtalt eines Dinges, welche ihr Weſen mit ſich bringet. Und wird die goͤttli- che Majeſtaͤt und Herrlichkeit deßwegen μορφὴ, eine Geſtalt, oder weſentliche Form (welches Wort von dem Griechiſchen herkoͤmmt) genen- net, weil die wahre Gottheit CHriſti daran, wie ein Menſch an ſeiner menſchlichen Geſtalt, oder Form erkant wird, iſt erkant worden. 3. Jn dieſer goͤttlichen Geſtalt war er, ὑπάρχων, nemlich vermoͤge der perſoͤnlichen Vereinigung beyder Naturen. Denn nachdem die goͤttliche Natur die menſchliche in ihre hypo- ſtaſin, in ihr perſoͤnliches, oder ſelbſtſtaͤndiges We- ſen hatte aufgenommen, ſo blieb und bleibet die- ſe mit ihr in Ewigkeit unzertrennlich vereiniget. Und ob man gleich an CHriſto nach der Menſch- werdung eigentlich nur die menſchliche Natur ſa- he, ſo wohnete in dieſer doch nach Leib und Seele die gantze Fuͤlle der Gottheit, und war ſie davon gantz durchdrungen. Und alſo truge er die wah- re goͤttliche Geſtalt in und an ſich. 4. Nun haͤtte er dieſe zwar allezeit dergeſtalt ja noch auf eine herrlichere Art koͤnnen an ſich zei- gen, wie er theils in der Verklaͤrung auf dem Berge Matth. 17, 1. u. f. theils in den groſſen Wunder-Wercken that: allein dieſes war ſeiner Weisheit und dem Rathe GOttes von unſerer Erloͤſung nicht gemaͤß. Darum traf er ein ſol- ches Mittel, daß er ſie weder gantz voͤllig zeige- te, noch gaͤntzlich verborgen hielte. Denn haͤtte er ſie gantz voͤllig und dazu beſtaͤndig ſehen laſ- ſen, ſo haͤtte kein Leiden und kein Verſoͤhnungs- Tod, und keine Erloͤſung ſtatt gefunden. Es haͤtte ſich auch ein Meßias von lauterer Majeſtaͤt fuͤr den Stoltz der Juden nicht geſchicket; als welches ſie ohne Bekehrung nur noch zu mehrerm Stoltz wuͤrden gemißbrauchet haben. Haͤtte er aber gar nichts von ſolcheꝛ goͤttlichen Geſtalt ſehen laſſen, ſo haͤtte der Glaube keine genugſame Stuͤtze gehabt, woran er ſich haͤtte halten koͤn- nen. Dannenhero hat unſer Heiland das aller- weiſeſte temperament getroffen, und ſeine goͤttli- che Geſtalt weder zu viel noch zu wenig geoffen- baret. 5. Die Redens-Art, etwas nicht fuͤr ei- nen Raub halten, kan man alhier wol in dem gemeinen Verſtande behalten, daß es ſo viel ſey, als mit etwas nicht groß thun, prangen und tri- [Spaltenumbruch] umphiren, wie es die Sieger zu machen pflegten, wenn ſie mit den geraubeten, oder im Kriege er- oberten koſtbarſten und herrlichſten Sachen ih- rer uͤberwundenen Feinde triumphirend einzo- gen. Und alſo heißt, er hielte es nicht fuͤr einen Raub GOTT gleich ſeyn, ſo viel, als er prangete und triumphirete vor der Zeit der Er- hoͤhung mit ſeiner goͤttlichen Herrlichkeit nicht, er fuͤhrete ſie nicht im voͤlligen und beſtaͤndigen Gebrauch. Und weil denn die goͤttliche Geſtalt vielerley Herrlichkeit nach allen goͤttlichen Eigen- ſchaften in ſich hielte, ſo gebrauchet der Apoſtel das Wort ἶσος davon im plurali, und ſpricht, τὸ εἶναι ἶσα Θεῷ: welcher numerus pluralis in neutro genere auch nach dem Græciſmo kan als das adverbium ἵσως genommen werden. Es heißt aber eben ſo viel als ἶσος Joh. 5, 18. da die Redens-Art ſtehet, ſich GOtt gleich ma- chen; welches unſer Heiland auch nach der Wahrheit that, von den blinden Juden aber nicht fuͤr recht erkant wurde. 6. Was nun den andern Punct betrifft, daß und wie ſich unſer Heiland der Fuͤlle ſeiner mitge- theilten goͤttlichen Herrlichkeit begeben habe, ſo drucket das der Apoſtel zuvoͤrderſt aus mit den Worten ἐκένωσεν ἑαυτὸν; welche nicht deutlich genug gegeben werden mit dem Worte aͤuſſern, er aͤuſſerte ſich ſelbſt, ſondern eigentlich heiſ- ſen: er leerete ſich ſelbſt aus. Welches der Fuͤlle entgegen geſetzet wird. Da nun aber die- ſes Ausleeren nicht kan verſtanden werden von ei- ner der Beſitzung entgegen ſtehenden gaͤntzlichen Ablegung; ſintemal dieſes nach einmal geſchehe- ner Vereinigung beyder Naturen weder konte, noch ſolte, geſchehen; ſo kan es nicht anders, als von dem voͤlligen Gebrauche verſtanden werden: daß er nemlich die Fuͤlle der einwohnenden goͤttli- chen Herrlichkeit gehabt, als haͤtte er ſie nicht; wie es der Stand der Erniedrigung mit ſich brachte. 7. Da denn nun dieſe Ausleerung, oder die Begebung des voͤlligen Gedrauchs der mitge- theileten goͤttlichen Majeſtaͤt und Herrlichkeit, dem Stande der Erniedrigung gemaͤß ſeyn muſte, ſo gedencket der Apoſtel dabey dieſes Standes, in ſo fern er von jenem unterſchieden iſt, und vor Menſchen ſichtbar wurde, mit folgenden Wor- ten: er nahm Knechtes Geſtalt an ſich u. f. welches auch gegeben werden kan: nachdem er Knechtes Geſtalt an ſich genommen hatte, und wie ein anderer Menſch, oder den Menſchen gleich worden war; das iſt, da er nicht allein menſchliche Natur an ſich genommen, ſondern auch in derſelben ſich nicht als ein majeſtaͤtiſcher HErr, ſondern als ein gehorſamer Knecht in nie- driger Geſtalt dargeſtellet hatte, ſo wolte es ſich nicht ſchicken, daß er in ſolcher geringen Geſtalt die goͤttliche Majeſtaͤt mit vollem Glantze hervor treten lieſſe; als welches contradictoriſch gewe- ſen waͤre. Es zeiget demnach der Apoſtel an, daß die geringe Knechts-Geſtalt, welche zur Erloͤſung noͤthig war, die Entaͤuſſerung oder Begebung des voͤlligen Gebrauchs der goͤttlichen Herrlich- keit erfordert habe. 8. Gleichwie nun die Geſtalt GOttes zwar die goͤttliche Natur zum Grunde hat, aber nicht
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 2, v. 6-8.
Menſchwerdung in der Vereinigung beyder Na-
turen nach der menſchlichen betrachtet wird. Da
denn von ihm dreyerley geſaget wird, erſtlich
was er Vermoͤge der Vereinigung beyder Natu-
ren in ſeiner Perſon an ſich gehabt habe: zum
andern, wie er ſich des voͤlligen Gebrauchs da-
bey begeben und erniedriget habe: und denn
drittens, wie weit der Grad der Erniedrigung
gegangen ſey.
2. Was CHriſtus vermoͤge der Vereini-
gung beyder Naturen in ſeiner Perſon gehabt hat,
iſt μορφὴ Θεοῦ, die Geſtalt GOttes, das iſt,
die goͤttliche Majeſtaͤt und Herrlichkeit, welche
die wahre und ewige Gottheit ſelbſt zum Grun-
de hatte. Μορφὴ aber iſt, wie leichtlich zu er-
achten, alhier nicht ſo viel als μόρφωσις, der
Schein, einige Aehnlichkeit Rom. 2, 17.
2 Tim. 3, 5. ſondern das wahre Bild, die wahre
weſentliche Geſtalt eines Dinges, welche ihr
Weſen mit ſich bringet. Und wird die goͤttli-
che Majeſtaͤt und Herrlichkeit deßwegen μορφὴ,
eine Geſtalt, oder weſentliche Form (welches
Wort von dem Griechiſchen herkoͤmmt) genen-
net, weil die wahre Gottheit CHriſti daran, wie
ein Menſch an ſeiner menſchlichen Geſtalt, oder
Form erkant wird, iſt erkant worden.
3. Jn dieſer goͤttlichen Geſtalt war er,
ὑπάρχων, nemlich vermoͤge der perſoͤnlichen
Vereinigung beyder Naturen. Denn nachdem
die goͤttliche Natur die menſchliche in ihre hypo-
ſtaſin, in ihr perſoͤnliches, oder ſelbſtſtaͤndiges We-
ſen hatte aufgenommen, ſo blieb und bleibet die-
ſe mit ihr in Ewigkeit unzertrennlich vereiniget.
Und ob man gleich an CHriſto nach der Menſch-
werdung eigentlich nur die menſchliche Natur ſa-
he, ſo wohnete in dieſer doch nach Leib und Seele
die gantze Fuͤlle der Gottheit, und war ſie davon
gantz durchdrungen. Und alſo truge er die wah-
re goͤttliche Geſtalt in und an ſich.
4. Nun haͤtte er dieſe zwar allezeit dergeſtalt
ja noch auf eine herrlichere Art koͤnnen an ſich zei-
gen, wie er theils in der Verklaͤrung auf dem
Berge Matth. 17, 1. u. f. theils in den groſſen
Wunder-Wercken that: allein dieſes war ſeiner
Weisheit und dem Rathe GOttes von unſerer
Erloͤſung nicht gemaͤß. Darum traf er ein ſol-
ches Mittel, daß er ſie weder gantz voͤllig zeige-
te, noch gaͤntzlich verborgen hielte. Denn haͤtte
er ſie gantz voͤllig und dazu beſtaͤndig ſehen laſ-
ſen, ſo haͤtte kein Leiden und kein Verſoͤhnungs-
Tod, und keine Erloͤſung ſtatt gefunden. Es
haͤtte ſich auch ein Meßias von lauterer Majeſtaͤt
fuͤr den Stoltz der Juden nicht geſchicket; als
welches ſie ohne Bekehrung nur noch zu mehrerm
Stoltz wuͤrden gemißbrauchet haben. Haͤtte er
aber gar nichts von ſolcheꝛ goͤttlichen Geſtalt ſehen
laſſen, ſo haͤtte der Glaube keine genugſame
Stuͤtze gehabt, woran er ſich haͤtte halten koͤn-
nen. Dannenhero hat unſer Heiland das aller-
weiſeſte temperament getroffen, und ſeine goͤttli-
che Geſtalt weder zu viel noch zu wenig geoffen-
baret.
5. Die Redens-Art, etwas nicht fuͤr ei-
nen Raub halten, kan man alhier wol in dem
gemeinen Verſtande behalten, daß es ſo viel ſey,
als mit etwas nicht groß thun, prangen und tri-
umphiren, wie es die Sieger zu machen pflegten,
wenn ſie mit den geraubeten, oder im Kriege er-
oberten koſtbarſten und herrlichſten Sachen ih-
rer uͤberwundenen Feinde triumphirend einzo-
gen. Und alſo heißt, er hielte es nicht fuͤr
einen Raub GOTT gleich ſeyn, ſo viel, als
er prangete und triumphirete vor der Zeit der Er-
hoͤhung mit ſeiner goͤttlichen Herrlichkeit nicht,
er fuͤhrete ſie nicht im voͤlligen und beſtaͤndigen
Gebrauch. Und weil denn die goͤttliche Geſtalt
vielerley Herrlichkeit nach allen goͤttlichen Eigen-
ſchaften in ſich hielte, ſo gebrauchet der Apoſtel
das Wort ἶσος davon im plurali, und ſpricht,
τὸ εἶναι ἶσα Θεῷ: welcher numerus pluralis in
neutro genere auch nach dem Græciſmo kan als
das adverbium ἵσως genommen werden. Es
heißt aber eben ſo viel als ἶσος Joh. 5, 18. da
die Redens-Art ſtehet, ſich GOtt gleich ma-
chen; welches unſer Heiland auch nach der
Wahrheit that, von den blinden Juden aber
nicht fuͤr recht erkant wurde.
6. Was nun den andern Punct betrifft, daß
und wie ſich unſer Heiland der Fuͤlle ſeiner mitge-
theilten goͤttlichen Herrlichkeit begeben habe, ſo
drucket das der Apoſtel zuvoͤrderſt aus mit den
Worten ἐκένωσεν ἑαυτὸν; welche nicht deutlich
genug gegeben werden mit dem Worte aͤuſſern,
er aͤuſſerte ſich ſelbſt, ſondern eigentlich heiſ-
ſen: er leerete ſich ſelbſt aus. Welches der
Fuͤlle entgegen geſetzet wird. Da nun aber die-
ſes Ausleeren nicht kan verſtanden werden von ei-
ner der Beſitzung entgegen ſtehenden gaͤntzlichen
Ablegung; ſintemal dieſes nach einmal geſchehe-
ner Vereinigung beyder Naturen weder konte,
noch ſolte, geſchehen; ſo kan es nicht anders, als
von dem voͤlligen Gebrauche verſtanden werden:
daß er nemlich die Fuͤlle der einwohnenden goͤttli-
chen Herrlichkeit gehabt, als haͤtte er ſie nicht;
wie es der Stand der Erniedrigung mit ſich
brachte.
7. Da denn nun dieſe Ausleerung, oder die
Begebung des voͤlligen Gedrauchs der mitge-
theileten goͤttlichen Majeſtaͤt und Herrlichkeit,
dem Stande der Erniedrigung gemaͤß ſeyn muſte,
ſo gedencket der Apoſtel dabey dieſes Standes, in
ſo fern er von jenem unterſchieden iſt, und vor
Menſchen ſichtbar wurde, mit folgenden Wor-
ten: er nahm Knechtes Geſtalt an ſich u. f.
welches auch gegeben werden kan: nachdem er
Knechtes Geſtalt an ſich genommen hatte,
und wie ein anderer Menſch, oder den Menſchen
gleich worden war; das iſt, da er nicht allein
menſchliche Natur an ſich genommen, ſondern
auch in derſelben ſich nicht als ein majeſtaͤtiſcher
HErr, ſondern als ein gehorſamer Knecht in nie-
driger Geſtalt dargeſtellet hatte, ſo wolte es ſich
nicht ſchicken, daß er in ſolcher geringen Geſtalt
die goͤttliche Majeſtaͤt mit vollem Glantze hervor
treten lieſſe; als welches contradictoriſch gewe-
ſen waͤre. Es zeiget demnach der Apoſtel an, daß
die geringe Knechts-Geſtalt, welche zur Erloͤſung
noͤthig war, die Entaͤuſſerung oder Begebung
des voͤlligen Gebrauchs der goͤttlichen Herrlich-
keit erfordert habe.
8. Gleichwie nun die Geſtalt GOttes
zwar die goͤttliche Natur zum Grunde hat, aber
nicht
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