Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 11-13. [Spaltenumbruch]
Rom. 10, 12. Es ist hier kein Unterscheid unter Jüden und Griechen: es ist aller zumal ein HERR, reich über alle, die ihn anrufen. Siehe auch Ap. Ges. 10, 34. c. 15, 9. Rom. 3, 23. 29. 30. 1 Cor. 7, 19. Die Beschneidung ist nichts, die Vorhaut ist nichts, sondern GOttes Gebot halten. Das ist aber sein Gebot, daß wir glauben an den Namen seines Sohnes JEsu CHristi, und lieben uns unter einander. 1 Joh. 3, 23. Gal. 3, 28. Es ist hie kein Jüde und Grie- che, (in Ansehung der Seligkeit in einigem Unterschiede:) hie ist kein Knecht, noch Freyer, hie ist kein Mann, noch Weib: denn ihr seyd allzumal einer in CHristo. Und c. 5, 6. Jn CHristo JEsu gilt we- der Beschneidung, noch Vorhaut, son- dern der Glaube, der durch die Liebe thätig ist. V. 12. 13. So ziehet nun an, als die Auserwehl- Anmerckungen 1. Der Verbindung nach ist zu mercken, daß, nachdem der Apostel vorher der Anziehung des neuen Menschen überhaupt gedacht hat; so zeiget er nun darauf an, was dazu insonderheit gehöre. Da er denn unterschiedliche Tugenden namhaftig machet; gleichwie er vorher bey der Ermahnung zu immer mehrer Ausziehung des alten Menschen unterschiedliche Laster benennet hatte. 2. Zuvorderst zeiget der Apostel an, von welchen er die Ausübung der Tugenden erfode- re, nemlich von den Auserwehlten GOttes, Heiligen und Geliebten: und will ihnen da- mit zugleich an die Hand geben, was sie zur wil- ligen und getreuen Ausübung bewegen solle und könne, nemlich ihr damit bezeichneter so sehr wür- diger Gnaden-Stand. a. Auserwehlte waren sie in Ansehung ihres Glaubens, durch welchen sie sich in CHristo befunden: Und da Paulus der guten Hoff- nung zu den glaubigen Colossern war, daß sie auch im Stande der Gnaden bis an ihr se- liges Ende beharren würden; und GOTT solches wohl vorher gesehen hatte; so waren sie auch daher zum ewigen Leben erwehlet worden, oder unter denen, auf welche die all- gemeine Regel Marc. 16, 16. Wer da gläu- bet, der soll selig werden, konte und solte appliciret werden. b. Heilige waren sie, nicht allein in Ansehung der Erlösung CHristi, durch welche sie wa- ren geheiliget und versöhnet worden nach c. 1, 22. Hebr. 10, 14. sondern auch in Ansehung der Heils-Ordnung, in welche sie durch die [Spaltenumbruch] wahre Bekehrung getreten waren, und dar- innen sie, nach der guten Zuversicht Pauli, verharren würden. c. Geliebte waren sie vor GOTT in CHristo; und zwar also, daß sie der Liebe GOttes auch bereits waren theilhaftig worden, und mit Paulo sagen konten: Die Liebe GOttes ist ausgegossen in unser Hertz durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Rom. 5, 5. 3. Was diese Auserwehlte, Heilige und Geliebte anziehen solten, sind solche Tugen- den, welche sonderlich auf die Liebe gegen den Nechsten gehen. Und da stehet zuerst das hertz- liche Erbarmen: mit welchen Worten die Er- barmung gar nachdrücklich als ein solcher Affect bezeichnet wird, da man sich innerlich recht ge- rühret und beweget findet vor Mitleiden gegen des andern Noth und Elend: als worauf die Erbarmung eigentlich gehet. Da nun die menschliche Societät voller Elend ist, also daß man es hie und da siehet, oder davon höret; so ist es zuvorderst menschlich, und denn auch Christ- lich, wenn man sich anderer ihre Noth recht zu Hertzen gehen lässet: und zwar also, daß man sich nicht allein mit freundlichen und tröstlichen Worten liebreich, sondern auch in der That selbst nach Vermögen hülfreich bezeiget: und, wo man mehr nicht thun kan, für Nothleiden- de betet. Petrus nennet Epist. 1. cap. 3, 8. die, welche in einem solchen Affecte der Erbarmung stehen eusplagkhnous, gleichsam Weichhertzige. Welche Gemüths-Beschaffenheit den rechten Antrieb zum Erweise der Liebe in wircklicher Gutthätigkeit giebet. Unser Heiland spricht Matth. 5, 7. Selig sind die Barmhertzigen. Denn sie werden Barmhertzigkeit erlan- gen. Und Luc. 6, 36. Seyd barmhertzig, wie auch euer Vater barmhertzig ist. Hin- gegen heißts Jac. 2, 13. Es wird ein unbarm- hertzig Gericht über den ergehen, der nicht Barmhertzigkeit gethan hat. 4. Zum andern recommendiret der Apo- stel die Freundlichkeit: Davon zu mercken ist: a. Der Unterscheid, welchen diese alhier ge- meinte Freundlichkeit von der bloß natürlichen hat. Diese ist eine Frucht des Geistes: Gal. 5, 22. jene aber, die bloß natürliche, ist ein solches Betragen gegen den andern, da man entweder aus einer dem störrischen und rauhen Wesen entgegen gesetzten Gütigkeit, oder aus blosser natürlicher Anverwandschaft, oder auch, in Ansehung seines Vortheils, unter allerhand Verstellungen, in Geber- den, Worten und Wercken sich gutthätig ge- gen den andern erweiset. Wie also die also- genannten Complimenten der Welt-Kinder sind. b. Jhre eigentliche Beschaffenheit. Sie ist eine solche Tugend, da man aus dem Grun- de einer wahren Liebe, ohne alle Verstellung, den andern in Geberden, Worten und Wer- cken, so viel das Gewissen zuläßt, sich gefäl- lig
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 11-13. [Spaltenumbruch]
Rom. 10, 12. Es iſt hier kein Unterſcheid unter Juͤden und Griechen: es iſt aller zumal ein HERR, reich uͤber alle, die ihn anrufen. Siehe auch Ap. Geſ. 10, 34. c. 15, 9. Rom. 3, 23. 29. 30. 1 Cor. 7, 19. Die Beſchneidung iſt nichts, die Vorhaut iſt nichts, ſondern GOttes Gebot halten. Das iſt aber ſein Gebot, daß wir glauben an den Namen ſeines Sohnes JEſu CHriſti, und lieben uns unter einander. 1 Joh. 3, 23. Gal. 3, 28. Es iſt hie kein Juͤde und Grie- che, (in Anſehung der Seligkeit in einigem Unterſchiede:) hie iſt kein Knecht, noch Freyer, hie iſt kein Mann, noch Weib: denn ihr ſeyd allzumal einer in CHriſto. Und c. 5, 6. Jn CHriſto JEſu gilt we- der Beſchneidung, noch Vorhaut, ſon- dern der Glaube, der durch die Liebe thaͤtig iſt. V. 12. 13. So ziehet nun an, als die Auserwehl- Anmerckungen 1. Der Verbindung nach iſt zu mercken, daß, nachdem der Apoſtel vorher der Anziehung des neuen Menſchen uͤberhaupt gedacht hat; ſo zeiget er nun darauf an, was dazu inſonderheit gehoͤre. Da er denn unterſchiedliche Tugenden namhaftig machet; gleichwie er vorher bey der Ermahnung zu immer mehrer Ausziehung des alten Menſchen unterſchiedliche Laſter benennet hatte. 2. Zuvorderſt zeiget der Apoſtel an, von welchen er die Ausuͤbung der Tugenden erfode- re, nemlich von den Auserwehlten GOttes, Heiligen und Geliebten: und will ihnen da- mit zugleich an die Hand geben, was ſie zur wil- ligen und getreuen Ausuͤbung bewegen ſolle und koͤnne, nemlich ihr damit bezeichneter ſo ſehr wuͤr- diger Gnaden-Stand. a. Auserwehlte waren ſie in Anſehung ihres Glaubens, durch welchen ſie ſich in CHriſto befunden: Und da Paulus der guten Hoff- nung zu den glaubigen Coloſſern war, daß ſie auch im Stande der Gnaden bis an ihr ſe- liges Ende beharren wuͤrden; und GOTT ſolches wohl vorher geſehen hatte; ſo waren ſie auch daher zum ewigen Leben erwehlet worden, oder unter denen, auf welche die all- gemeine Regel Marc. 16, 16. Wer da glaͤu- bet, der ſoll ſelig werden, konte und ſolte appliciret werden. b. Heilige waren ſie, nicht allein in Anſehung der Erloͤſung CHriſti, durch welche ſie wa- ren geheiliget und verſoͤhnet worden nach c. 1, 22. Hebr. 10, 14. ſondern auch in Anſehung der Heils-Ordnung, in welche ſie durch die [Spaltenumbruch] wahre Bekehrung getreten waren, und dar- innen ſie, nach der guten Zuverſicht Pauli, verharren wuͤrden. c. Geliebte waren ſie vor GOTT in CHriſto; und zwar alſo, daß ſie der Liebe GOttes auch bereits waren theilhaftig worden, und mit Paulo ſagen konten: Die Liebe GOttes iſt ausgegoſſen in unſer Hertz durch den Heiligen Geiſt, der uns gegeben iſt. Rom. 5, 5. 3. Was dieſe Auserwehlte, Heilige und Geliebte anziehen ſolten, ſind ſolche Tugen- den, welche ſonderlich auf die Liebe gegen den Nechſten gehen. Und da ſtehet zuerſt das hertz- liche Erbarmen: mit welchen Worten die Er- barmung gar nachdruͤcklich als ein ſolcher Affect bezeichnet wird, da man ſich innerlich recht ge- ruͤhret und beweget findet vor Mitleiden gegen des andern Noth und Elend: als worauf die Erbarmung eigentlich gehet. Da nun die menſchliche Societaͤt voller Elend iſt, alſo daß man es hie und da ſiehet, oder davon hoͤret; ſo iſt es zuvorderſt menſchlich, und denn auch Chriſt- lich, wenn man ſich anderer ihre Noth recht zu Hertzen gehen laͤſſet: und zwar alſo, daß man ſich nicht allein mit freundlichen und troͤſtlichen Worten liebreich, ſondern auch in der That ſelbſt nach Vermoͤgen huͤlfreich bezeiget: und, wo man mehr nicht thun kan, fuͤr Nothleiden- de betet. Petrus nennet Epiſt. 1. cap. 3, 8. die, welche in einem ſolchen Affecte der Erbarmung ſtehen ἐυσπλάγχνους, gleichſam Weichhertzige. Welche Gemuͤths-Beſchaffenheit den rechten Antrieb zum Erweiſe der Liebe in wircklicher Gutthaͤtigkeit giebet. Unſer Heiland ſpricht Matth. 5, 7. Selig ſind die Barmhertzigen. Denn ſie werden Barmhertzigkeit erlan- gen. Und Luc. 6, 36. Seyd barmhertzig, wie auch euer Vater barmhertzig iſt. Hin- gegen heißts Jac. 2, 13. Es wird ein unbarm- hertzig Gericht uͤber den ergehen, der nicht Barmhertzigkeit gethan hat. 4. Zum andern recommendiret der Apo- ſtel die Freundlichkeit: Davon zu mercken iſt: a. Der Unterſcheid, welchen dieſe alhier ge- meinte Freundlichkeit von der bloß natuͤrlichen hat. Dieſe iſt eine Frucht des Geiſtes: Gal. 5, 22. jene aber, die bloß natuͤrliche, iſt ein ſolches Betragen gegen den andern, da man entweder aus einer dem ſtoͤrriſchen und rauhen Weſen entgegen geſetzten Guͤtigkeit, oder aus bloſſer natuͤrlicher Anverwandſchaft, oder auch, in Anſehung ſeines Vortheils, unter allerhand Verſtellungen, in Geber- den, Worten und Wercken ſich gutthaͤtig ge- gen den andern erweiſet. Wie alſo die alſo- genannten Complimenten der Welt-Kinder ſind. b. Jhre eigentliche Beſchaffenheit. Sie iſt eine ſolche Tugend, da man aus dem Grun- de einer wahren Liebe, ohne alle Verſtellung, den andern in Geberden, Worten und Wer- cken, ſo viel das Gewiſſen zulaͤßt, ſich gefaͤl- lig
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0830" n="802"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap. 3, v. 11-13.</hi></hi> </fw><lb/> <cb/> <list> <item>Rom. 10, 12. <hi rendition="#fr">Es iſt hier kein Unterſcheid<lb/> unter Juͤden und Griechen: es iſt aller<lb/> zumal ein HERR, reich uͤber alle, die<lb/> ihn anrufen.</hi> Siehe auch Ap. Geſ. 10, 34.<lb/> c. 15, 9. Rom. 3, 23. 29. 30.</item><lb/> <item>1 Cor. 7, 19. <hi rendition="#fr">Die Beſchneidung iſt nichts,<lb/> die Vorhaut iſt nichts, ſondern GOttes<lb/> Gebot halten. Das iſt aber ſein Gebot,<lb/> daß wir glauben an den Namen ſeines<lb/> Sohnes JEſu CHriſti, und lieben uns<lb/> unter einander.</hi> 1 Joh. 3, 23.</item><lb/> <item>Gal. 3, 28. <hi rendition="#fr">Es iſt hie kein Juͤde und Grie-<lb/> che,</hi> (in Anſehung der Seligkeit in einigem<lb/> Unterſchiede:) <hi rendition="#fr">hie iſt kein Knecht, noch<lb/> Freyer, hie iſt kein Mann, noch Weib:<lb/> denn ihr ſeyd allzumal einer in CHriſto.</hi><lb/> Und c. 5, 6. <hi rendition="#fr">Jn CHriſto JEſu gilt we-<lb/> der Beſchneidung, noch Vorhaut, ſon-<lb/> dern der Glaube, der durch die Liebe<lb/> thaͤtig iſt.</hi></item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>V. 12. 13.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">So ziehet nun an, als die Auserwehl-<lb/> ten GOttes, Heiligen und Geliebten, hertz-<lb/> liches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth,<lb/> Sanftmuth, Geduld: und vertrage einer<lb/> den andern, gleichwie CHriſtus euch ver-<lb/> geben hat, alſo auch ihr.</hi> </p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Der <hi rendition="#fr">Verbindung</hi> nach iſt zu mercken,<lb/> daß, nachdem der Apoſtel vorher der Anziehung<lb/> des neuen Menſchen uͤberhaupt gedacht hat; ſo<lb/> zeiget er nun darauf an, was dazu inſonderheit<lb/> gehoͤre. Da er denn unterſchiedliche Tugenden<lb/> namhaftig machet; gleichwie er vorher bey der<lb/> Ermahnung zu immer mehrer Ausziehung des<lb/> alten Menſchen unterſchiedliche Laſter benennet<lb/> hatte.</item><lb/> <item>2. Zuvorderſt zeiget der Apoſtel an, von<lb/> welchen er die Ausuͤbung der Tugenden erfode-<lb/> re, nemlich von den <hi rendition="#fr">Auserwehlten GOttes,<lb/> Heiligen und Geliebten:</hi> und will ihnen da-<lb/> mit zugleich an die Hand geben, was ſie zur wil-<lb/> ligen und getreuen Ausuͤbung bewegen ſolle und<lb/> koͤnne, nemlich ihr damit bezeichneter ſo ſehr wuͤr-<lb/> diger Gnaden-Stand.<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a.</hi><hi rendition="#fr">Auserwehlte</hi> waren ſie in Anſehung ihres<lb/> Glaubens, durch welchen ſie ſich in CHriſto<lb/> befunden: Und da Paulus der guten Hoff-<lb/> nung zu den glaubigen Coloſſern war, daß<lb/> ſie auch im Stande der Gnaden bis an ihr ſe-<lb/> liges Ende beharren wuͤrden; und GOTT<lb/> ſolches wohl vorher geſehen hatte; ſo waren<lb/> ſie auch daher zum ewigen Leben <hi rendition="#fr">erwehlet</hi><lb/> worden, oder unter denen, auf welche die all-<lb/> gemeine Regel Marc. 16, 16. <hi rendition="#fr">Wer da glaͤu-<lb/> bet, der ſoll ſelig werden,</hi> konte und ſolte<lb/><hi rendition="#aq">applicir</hi>et werden.</item><lb/><item><hi rendition="#aq">b.</hi><hi rendition="#fr">Heilige</hi> waren ſie, nicht allein in Anſehung<lb/> der <hi rendition="#fr">Erloͤſung</hi> CHriſti, durch welche ſie wa-<lb/> ren geheiliget und verſoͤhnet worden nach c. 1,<lb/> 22. Hebr. 10, 14. ſondern auch in Anſehung<lb/> der <hi rendition="#fr">Heils-Ordnung,</hi> in welche ſie durch die<lb/><cb/> wahre Bekehrung getreten waren, und dar-<lb/> innen ſie, nach der guten Zuverſicht Pauli,<lb/> verharren wuͤrden.</item><lb/><item><hi rendition="#aq">c.</hi><hi rendition="#fr">Geliebte</hi> waren ſie vor GOTT in CHriſto;<lb/> und zwar alſo, daß ſie der Liebe GOttes auch<lb/> bereits waren theilhaftig worden, und mit<lb/> Paulo ſagen konten: <hi rendition="#fr">Die Liebe GOttes<lb/> iſt ausgegoſſen in unſer Hertz durch den<lb/> Heiligen Geiſt, der uns gegeben iſt.</hi> Rom.<lb/> 5, 5.</item></list></item><lb/> <item>3. Was dieſe Auserwehlte, Heilige und<lb/> Geliebte <hi rendition="#fr">anziehen</hi> ſolten, ſind ſolche Tugen-<lb/> den, welche ſonderlich auf die Liebe gegen den<lb/> Nechſten gehen. Und da ſtehet zuerſt das <hi rendition="#fr">hertz-<lb/> liche Erbarmen:</hi> mit welchen Worten die Er-<lb/> barmung gar nachdruͤcklich als ein ſolcher <hi rendition="#aq">Affect</hi><lb/> bezeichnet wird, da man ſich innerlich recht ge-<lb/> ruͤhret und beweget findet vor Mitleiden gegen<lb/> des andern Noth und Elend: als worauf die<lb/> Erbarmung eigentlich gehet. Da nun die<lb/> menſchliche <hi rendition="#aq">Societ</hi>aͤt voller Elend iſt, alſo daß<lb/> man es hie und da ſiehet, oder davon hoͤret; ſo<lb/> iſt es zuvorderſt menſchlich, und denn auch Chriſt-<lb/> lich, wenn man ſich anderer ihre Noth recht zu<lb/> Hertzen gehen laͤſſet: und zwar alſo, daß man<lb/> ſich nicht allein mit freundlichen und troͤſtlichen<lb/> Worten <hi rendition="#fr">liebreich,</hi> ſondern auch in der That<lb/> ſelbſt nach Vermoͤgen <hi rendition="#fr">huͤlfreich</hi> bezeiget: und,<lb/> wo man mehr nicht thun kan, fuͤr Nothleiden-<lb/> de betet. Petrus nennet Epiſt. 1. cap. 3, 8. die,<lb/> welche in einem ſolchen <hi rendition="#aq">Affect</hi>e der Erbarmung<lb/> ſtehen ἐυσπλάγχνους, gleichſam <hi rendition="#fr">Weichhertzige.</hi><lb/> Welche Gemuͤths-Beſchaffenheit den rechten<lb/> Antrieb zum Erweiſe der Liebe in wircklicher<lb/> Gutthaͤtigkeit giebet. Unſer Heiland ſpricht<lb/> Matth. 5, 7. <hi rendition="#fr">Selig ſind die Barmhertzigen.<lb/> Denn ſie werden Barmhertzigkeit erlan-<lb/> gen.</hi> Und Luc. 6, 36. <hi rendition="#fr">Seyd barmhertzig,<lb/> wie auch euer Vater barmhertzig iſt.</hi> Hin-<lb/> gegen heißts Jac. 2, 13. <hi rendition="#fr">Es wird ein unbarm-<lb/> hertzig Gericht uͤber den ergehen, der nicht<lb/> Barmhertzigkeit gethan hat.</hi></item><lb/> <item>4. Zum andern <hi rendition="#aq">recommendir</hi>et der Apo-<lb/> ſtel die <hi rendition="#fr">Freundlichkeit:</hi> Davon zu mercken<lb/> iſt:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a.</hi> Der <hi rendition="#fr">Unterſcheid,</hi> welchen dieſe alhier ge-<lb/> meinte Freundlichkeit von der bloß natuͤrlichen<lb/> hat. Dieſe iſt eine <hi rendition="#fr">Frucht des Geiſtes:</hi><lb/> Gal. 5, 22. jene aber, die bloß natuͤrliche,<lb/> iſt ein ſolches Betragen gegen den andern, da<lb/> man entweder aus einer dem ſtoͤrriſchen und<lb/> rauhen Weſen entgegen geſetzten Guͤtigkeit,<lb/> oder aus bloſſer natuͤrlicher Anverwandſchaft,<lb/> oder auch, in Anſehung ſeines Vortheils,<lb/> unter allerhand <hi rendition="#fr">Verſtellungen,</hi> in Geber-<lb/> den, Worten und Wercken ſich gutthaͤtig ge-<lb/> gen den andern erweiſet. Wie alſo die alſo-<lb/> genannten <hi rendition="#aq">Compliment</hi>en der Welt-Kinder<lb/> ſind.</item><lb/><item><hi rendition="#aq">b.</hi> Jhre <hi rendition="#fr">eigentliche Beſchaffenheit.</hi> Sie iſt<lb/> eine ſolche Tugend, da man aus dem Grun-<lb/> de einer wahren Liebe, ohne alle Verſtellung,<lb/> den andern in Geberden, Worten und Wer-<lb/> cken, ſo viel das Gewiſſen zulaͤßt, ſich gefaͤl-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">lig</fw><lb/></item></list></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [802/0830]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 11-13.
Rom. 10, 12. Es iſt hier kein Unterſcheid
unter Juͤden und Griechen: es iſt aller
zumal ein HERR, reich uͤber alle, die
ihn anrufen. Siehe auch Ap. Geſ. 10, 34.
c. 15, 9. Rom. 3, 23. 29. 30.
1 Cor. 7, 19. Die Beſchneidung iſt nichts,
die Vorhaut iſt nichts, ſondern GOttes
Gebot halten. Das iſt aber ſein Gebot,
daß wir glauben an den Namen ſeines
Sohnes JEſu CHriſti, und lieben uns
unter einander. 1 Joh. 3, 23.
Gal. 3, 28. Es iſt hie kein Juͤde und Grie-
che, (in Anſehung der Seligkeit in einigem
Unterſchiede:) hie iſt kein Knecht, noch
Freyer, hie iſt kein Mann, noch Weib:
denn ihr ſeyd allzumal einer in CHriſto.
Und c. 5, 6. Jn CHriſto JEſu gilt we-
der Beſchneidung, noch Vorhaut, ſon-
dern der Glaube, der durch die Liebe
thaͤtig iſt.
V. 12. 13.
So ziehet nun an, als die Auserwehl-
ten GOttes, Heiligen und Geliebten, hertz-
liches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth,
Sanftmuth, Geduld: und vertrage einer
den andern, gleichwie CHriſtus euch ver-
geben hat, alſo auch ihr.
Anmerckungen
1. Der Verbindung nach iſt zu mercken,
daß, nachdem der Apoſtel vorher der Anziehung
des neuen Menſchen uͤberhaupt gedacht hat; ſo
zeiget er nun darauf an, was dazu inſonderheit
gehoͤre. Da er denn unterſchiedliche Tugenden
namhaftig machet; gleichwie er vorher bey der
Ermahnung zu immer mehrer Ausziehung des
alten Menſchen unterſchiedliche Laſter benennet
hatte.
2. Zuvorderſt zeiget der Apoſtel an, von
welchen er die Ausuͤbung der Tugenden erfode-
re, nemlich von den Auserwehlten GOttes,
Heiligen und Geliebten: und will ihnen da-
mit zugleich an die Hand geben, was ſie zur wil-
ligen und getreuen Ausuͤbung bewegen ſolle und
koͤnne, nemlich ihr damit bezeichneter ſo ſehr wuͤr-
diger Gnaden-Stand.
a. Auserwehlte waren ſie in Anſehung ihres
Glaubens, durch welchen ſie ſich in CHriſto
befunden: Und da Paulus der guten Hoff-
nung zu den glaubigen Coloſſern war, daß
ſie auch im Stande der Gnaden bis an ihr ſe-
liges Ende beharren wuͤrden; und GOTT
ſolches wohl vorher geſehen hatte; ſo waren
ſie auch daher zum ewigen Leben erwehlet
worden, oder unter denen, auf welche die all-
gemeine Regel Marc. 16, 16. Wer da glaͤu-
bet, der ſoll ſelig werden, konte und ſolte
appliciret werden.
b. Heilige waren ſie, nicht allein in Anſehung
der Erloͤſung CHriſti, durch welche ſie wa-
ren geheiliget und verſoͤhnet worden nach c. 1,
22. Hebr. 10, 14. ſondern auch in Anſehung
der Heils-Ordnung, in welche ſie durch die
wahre Bekehrung getreten waren, und dar-
innen ſie, nach der guten Zuverſicht Pauli,
verharren wuͤrden.
c. Geliebte waren ſie vor GOTT in CHriſto;
und zwar alſo, daß ſie der Liebe GOttes auch
bereits waren theilhaftig worden, und mit
Paulo ſagen konten: Die Liebe GOttes
iſt ausgegoſſen in unſer Hertz durch den
Heiligen Geiſt, der uns gegeben iſt. Rom.
5, 5.
3. Was dieſe Auserwehlte, Heilige und
Geliebte anziehen ſolten, ſind ſolche Tugen-
den, welche ſonderlich auf die Liebe gegen den
Nechſten gehen. Und da ſtehet zuerſt das hertz-
liche Erbarmen: mit welchen Worten die Er-
barmung gar nachdruͤcklich als ein ſolcher Affect
bezeichnet wird, da man ſich innerlich recht ge-
ruͤhret und beweget findet vor Mitleiden gegen
des andern Noth und Elend: als worauf die
Erbarmung eigentlich gehet. Da nun die
menſchliche Societaͤt voller Elend iſt, alſo daß
man es hie und da ſiehet, oder davon hoͤret; ſo
iſt es zuvorderſt menſchlich, und denn auch Chriſt-
lich, wenn man ſich anderer ihre Noth recht zu
Hertzen gehen laͤſſet: und zwar alſo, daß man
ſich nicht allein mit freundlichen und troͤſtlichen
Worten liebreich, ſondern auch in der That
ſelbſt nach Vermoͤgen huͤlfreich bezeiget: und,
wo man mehr nicht thun kan, fuͤr Nothleiden-
de betet. Petrus nennet Epiſt. 1. cap. 3, 8. die,
welche in einem ſolchen Affecte der Erbarmung
ſtehen ἐυσπλάγχνους, gleichſam Weichhertzige.
Welche Gemuͤths-Beſchaffenheit den rechten
Antrieb zum Erweiſe der Liebe in wircklicher
Gutthaͤtigkeit giebet. Unſer Heiland ſpricht
Matth. 5, 7. Selig ſind die Barmhertzigen.
Denn ſie werden Barmhertzigkeit erlan-
gen. Und Luc. 6, 36. Seyd barmhertzig,
wie auch euer Vater barmhertzig iſt. Hin-
gegen heißts Jac. 2, 13. Es wird ein unbarm-
hertzig Gericht uͤber den ergehen, der nicht
Barmhertzigkeit gethan hat.
4. Zum andern recommendiret der Apo-
ſtel die Freundlichkeit: Davon zu mercken
iſt:
a. Der Unterſcheid, welchen dieſe alhier ge-
meinte Freundlichkeit von der bloß natuͤrlichen
hat. Dieſe iſt eine Frucht des Geiſtes:
Gal. 5, 22. jene aber, die bloß natuͤrliche,
iſt ein ſolches Betragen gegen den andern, da
man entweder aus einer dem ſtoͤrriſchen und
rauhen Weſen entgegen geſetzten Guͤtigkeit,
oder aus bloſſer natuͤrlicher Anverwandſchaft,
oder auch, in Anſehung ſeines Vortheils,
unter allerhand Verſtellungen, in Geber-
den, Worten und Wercken ſich gutthaͤtig ge-
gen den andern erweiſet. Wie alſo die alſo-
genannten Complimenten der Welt-Kinder
ſind.
b. Jhre eigentliche Beſchaffenheit. Sie iſt
eine ſolche Tugend, da man aus dem Grun-
de einer wahren Liebe, ohne alle Verſtellung,
den andern in Geberden, Worten und Wer-
cken, ſo viel das Gewiſſen zulaͤßt, ſich gefaͤl-
lig
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |