Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 1. v. 22. [Spaltenumbruch]
den-Kräfte des heiligen Geistes vergeblich seynwürde: also kan auch das Geschäfte des hei- ligen Geistes zu seinem Zwecke nicht kommen, es sey denn, daß der Mensch seiner eigenen Pflicht getreulich nachkomme. f. Die Wahrheit ist alhier der von GOtt ge- offenbahrete gantze Rath GOttes von un- serer Seligkeit nach dem Gesetze und Evange- lio: als welcher den Namen der Wahrheit vor allem andern, was sonst nur Wahrheit genennet werden mag, verdienet, und daher auch aller Aufnahme werth ist. Der Ge- horsam solcher Wahrheit ist die thätige Aus- übung derselben, welche bestehet in fortgesetz- ter Ausziehung des alten und Anziehung des neuen Menschen, welche mit einem Worte die Erneurung genennet wird. Denn dadurch wird immer mehr aus dem Wege geräumet, was der Bruder-Liebe entgegen stehet, und das befordert, wodurch sie zu ihrem rechten Stande kömmt. 3. Was die Bruder-Liebe selbst betrift, a. Der Grund, die Wiedergeburt und Kind- schaft GOTTes, nach v. 3. und 23. Denn gleichwie die natürliche Geburt Kinder ma- chet eines Vaters, die in dem Bande der na- türlichen Brüderschaft stehen: also machet die geistliche Wiedergeburt aus GOtt geborne Kinder und geistliche Brüder und Schwe- stern. b. Jhre Beschaffenheit: sie bestehet in einer übernatürlichen Neigung, da man nach der Gemeinschaft des Sinnes, den man vermö- ge der Wiedergeburt aus GOTT hat, sich unter einander lieb und bey der Liebe, nach dem in andern erkannten Sinne Christi, werth hält, und nach allem Vermögen durch er- sprießliche Dienste ihnen suchet sich gefällig zu erweisen, so weit es das gute Gewissen zuläs- set. c. Jhre, solcher Beschaffenheit gemässe, Lau- terkeit ist, wenn sie ungefärbt, das ist, un- verstellet und ungeheuchelt ist. Eine solche Lauterkeit der Liebe überhaupt, und inson- derheit der Bruder-Liebe beschreibet Paulus, wenn er 1 Tim. 1, 5. spricht: Die Haupt- Summa des Gebots ist Liebe von rei- nem Hertzen, und von gutem Gewissen und von ungefärbten Glauben. Mehre Eigenschaften solcher ihrer Lauterkeit sehe man 1 Cor. 13. 4. Die wirckliche Ausübung der Bruder- a. Er gehet mit diesen Worten zuvorderst wieder zurück auf den rechten Grund, auf das rei- ne oder keusch gemachte Hertz, und will die Bruder-Liebe daraus, als aus einer reinern Quelle, hergeleitet wissen. Denn gleichwie ein solches Hertz ausgeleeret ist von einem un- lautern Affect: also ist es hingegen voller Kraft und voller Bereitwilligkeit, die Liebe thätig zu erweisen. b. Die Ausübung selbst wird mit den Worten, habt euch unter einander lieb, ausgedru- cket. Er gebrauchet das Wort, lieben, wel- ches alle Pflichten in sich fasset. Denn weil in der Liebe lieget das gantze Gesetz und die Propheten, so ist leichtlich zu erachten, daß die Liebe ein Frucht-voller Baum sey, ja ein solcher Baum, der vielerley Art Früchte auf unterschiedlichen Zweigen, doch alle von guter Art träget. Und wenn der Apostel saget un- ter einander, so zeiget er damit an, daß die geistlichen Brüder, als Kinder eines himmli- schen Vaters, Glieder sind an einem geistli- chen Leibe Christi, darinn eines dem andern nach seiner Gnade und Gabe, muß Handrei- chung thun, und also eines des andern Wachs- thum befordern, nach Eph. 4, 16. c. Das Wort ektenos, welches Lutherus durch brünstig übersetzet hat, gehet auf einen sol- chen Ernst, der sich so wol intensive, als extensive hervorthut: intensive, wenn die Liebe recht hertzlich ist, wie innerlich nach der Wahrheit, also auch äusserlich mit wirck- licher Erweisung der That: extensive, wenn sie auf alle Pflichten gegen alle und iede in mancherley Fällen also gehet, daß sie daher auch unterschiedliche Namen bekömmt, und bald heißt Sanftmuth und Demuth, bald Geduld, Verträglichkeit, und Friedfer- tigkeit, bald Gutthätigkeit, Fürbitte u. s. w. Es gehöret auch zu der extension, oder Weite, Breite und Länge der Liebe die Dau- rung derselben, nach welcher sie nicht müde wird, und ihren Beweis nicht bey einer und der andern Handlung lässet, sondern in der Ausübung beharret. Denn soll man im Glauben beharren, so muß die Beharrung auch in der Liebe geschehen; sintemal sonst das gute Gewissen, dabey es auf die Ausü- bung der Liebe ankömmt, verletzet wird, und man am Glauben Schiffbruch leidet. 1 Tim. 1, 19. Siehe auch 1 Pet. 4, 8. und das Wort ektenes, ekteos Luc. 22, 4. Ap. Gesch. 12, 45. c. 26, 7. d. Der Gegensatz von der brünstigen Liebe beste- het nicht allein in dem Haß, in der Feindschaft und im Streite, sondern auch in der Kalt- sinnigkeit: davon unser Heyland Matth. 24, 12. saget: Dieweil die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten. Welches erkalten der Heil. Geist Offenb. c. 2, 4. nennet die erste Liebe verlassen und lau werden, c. 3, 16. Man hat im übrigen von der Bruder-Liebe folgende Oerter zu conferiren, Joh. 13, 34. 35. c. 15, 12. 17. Röm. 12, 10. 1 Thess. 4, 9. 1 Pet. 3, 8. 2 Petr. 1, 7. Hebr. 3, 1. 1 Joh. 3, 23. c. 4, 11. 20. 21. 5. Noch eines und das andere zu fernerer a. Daß, da unsere Liebe die Göttliche in der Nachfolge zur Regel vor sich haben soll, man die Liebe GOttes extensive und intensive zu erwegen habe nach dem Orte Pauli Eph. 4, 18. - - Durch die Liebe eingewurtzelt und gegrün-
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 22. [Spaltenumbruch]
den-Kraͤfte des heiligen Geiſtes vergeblich ſeynwuͤrde: alſo kan auch das Geſchaͤfte des hei- ligen Geiſtes zu ſeinem Zwecke nicht kommen, es ſey denn, daß der Menſch ſeiner eigenen Pflicht getreulich nachkomme. f. Die Wahrheit iſt alhier der von GOtt ge- offenbahrete gantze Rath GOttes von un- ſerer Seligkeit nach dem Geſetze und Evange- lio: als welcher den Namen der Wahrheit vor allem andern, was ſonſt nur Wahrheit genennet werden mag, verdienet, und daher auch aller Aufnahme werth iſt. Der Ge- horſam ſolcher Wahrheit iſt die thaͤtige Aus- uͤbung derſelben, welche beſtehet in fortgeſetz- ter Ausziehung des alten und Anziehung des neuen Menſchen, welche mit einem Worte die Erneurung genennet wird. Denn dadurch wird immer mehr aus dem Wege geraͤumet, was der Bruder-Liebe entgegen ſtehet, und das befordert, wodurch ſie zu ihrem rechten Stande koͤmmt. 3. Was die Bruder-Liebe ſelbſt betrift, a. Der Grund, die Wiedergeburt und Kind- ſchaft GOTTes, nach v. 3. und 23. Denn gleichwie die natuͤrliche Geburt Kinder ma- chet eines Vaters, die in dem Bande der na- tuͤrlichen Bruͤderſchaft ſtehen: alſo machet die geiſtliche Wiedergeburt aus GOtt geborne Kinder und geiſtliche Bruͤder und Schwe- ſtern. b. Jhre Beſchaffenheit: ſie beſtehet in einer uͤbernatuͤrlichen Neigung, da man nach der Gemeinſchaft des Sinnes, den man vermoͤ- ge der Wiedergeburt aus GOTT hat, ſich unter einander lieb und bey der Liebe, nach dem in andern erkannten Sinne Chriſti, werth haͤlt, und nach allem Vermoͤgen durch er- ſprießliche Dienſte ihnen ſuchet ſich gefaͤllig zu erweiſen, ſo weit es das gute Gewiſſen zulaͤſ- ſet. c. Jhre, ſolcher Beſchaffenheit gemaͤſſe, Lau- terkeit iſt, wenn ſie ungefaͤrbt, das iſt, un- verſtellet und ungeheuchelt iſt. Eine ſolche Lauterkeit der Liebe uͤberhaupt, und inſon- derheit der Bruder-Liebe beſchreibet Paulus, wenn er 1 Tim. 1, 5. ſpricht: Die Haupt- Summa des Gebots iſt Liebe von rei- nem Hertzen, und von gutem Gewiſſen und von ungefaͤrbten Glauben. Mehre Eigenſchaften ſolcher ihrer Lauterkeit ſehe man 1 Cor. 13. 4. Die wirckliche Ausuͤbung der Bruder- a. Er gehet mit dieſen Worten zuvorderſt wieder zuruͤck auf den rechten Grund, auf das rei- ne oder keuſch gemachte Hertz, und will die Bruder-Liebe daraus, als aus einer reinern Quelle, hergeleitet wiſſen. Denn gleichwie ein ſolches Hertz ausgeleeret iſt von einem un- lautern Affect: alſo iſt es hingegen voller Kraft und voller Bereitwilligkeit, die Liebe thaͤtig zu erweiſen. b. Die Ausuͤbung ſelbſt wird mit den Worten, habt euch unter einander lieb, ausgedru- cket. Er gebrauchet das Wort, lieben, wel- ches alle Pflichten in ſich faſſet. Denn weil in der Liebe lieget das gantze Geſetz und die Propheten, ſo iſt leichtlich zu erachten, daß die Liebe ein Frucht-voller Baum ſey, ja ein ſolcher Baum, der vielerley Art Fruͤchte auf unterſchiedlichen Zweigen, doch alle von guter Art traͤget. Und wenn der Apoſtel ſaget un- ter einander, ſo zeiget er damit an, daß die geiſtlichen Bruͤder, als Kinder eines himmli- ſchen Vaters, Glieder ſind an einem geiſtli- chen Leibe Chriſti, darinn eines dem andern nach ſeiner Gnade und Gabe, muß Handrei- chung thun, und alſo eines des andern Wachs- thum befordern, nach Eph. 4, 16. c. Das Wort ἐκτενῶς, welches Lutherus durch bruͤnſtig uͤberſetzet hat, gehet auf einen ſol- chen Ernſt, der ſich ſo wol intenſive, als extenſive hervorthut: intenſive, wenn die Liebe recht hertzlich iſt, wie innerlich nach der Wahrheit, alſo auch aͤuſſerlich mit wirck- licher Erweiſung der That: extenſive, wenn ſie auf alle Pflichten gegen alle und iede in mancherley Faͤllen alſo gehet, daß ſie daher auch unterſchiedliche Namen bekoͤmmt, und bald heißt Sanftmuth und Demuth, bald Geduld, Vertraͤglichkeit, und Friedfer- tigkeit, bald Gutthaͤtigkeit, Fuͤrbitte u. ſ. w. Es gehoͤret auch zu der extenſion, oder Weite, Breite und Laͤnge der Liebe die Dau- rung derſelben, nach welcher ſie nicht muͤde wird, und ihren Beweis nicht bey einer und der andern Handlung laͤſſet, ſondern in der Ausuͤbung beharret. Denn ſoll man im Glauben beharren, ſo muß die Beharrung auch in der Liebe geſchehen; ſintemal ſonſt das gute Gewiſſen, dabey es auf die Ausuͤ- bung der Liebe ankoͤmmt, verletzet wird, und man am Glauben Schiffbruch leidet. 1 Tim. 1, 19. Siehe auch 1 Pet. 4, 8. und das Wort ἐκτενὴς, ἐκτεῶς Luc. 22, 4. Ap. Geſch. 12, 45. c. 26, 7. d. Der Gegenſatz von der bruͤnſtigen Liebe beſte- het nicht allein in dem Haß, in der Feindſchaft und im Streite, ſondern auch in der Kalt- ſinnigkeit: davon unſer Heyland Matth. 24, 12. ſaget: Dieweil die Ungerechtigkeit wird uͤberhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten. Welches erkalten der Heil. Geiſt Offenb. c. 2, 4. nennet die erſte Liebe verlaſſen und lau werden, c. 3, 16. Man hat im uͤbrigen von der Bruder-Liebe folgende Oerter zu conferiren, Joh. 13, 34. 35. c. 15, 12. 17. Roͤm. 12, 10. 1 Theſſ. 4, 9. 1 Pet. 3, 8. 2 Petr. 1, 7. Hebr. 3, 1. 1 Joh. 3, 23. c. 4, 11. 20. 21. 5. Noch eines und das andere zu fernerer a. Daß, da unſere Liebe die Goͤttliche in der Nachfolge zur Regel vor ſich haben ſoll, man die Liebe GOttes extenſive und intenſive zu erwegen habe nach dem Orte Pauli Eph. 4, 18. ‒ ‒ Durch die Liebe eingewurtzelt und gegruͤn-
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Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 1. v. 22.
den-Kraͤfte des heiligen Geiſtes vergeblich ſeyn
wuͤrde: alſo kan auch das Geſchaͤfte des hei-
ligen Geiſtes zu ſeinem Zwecke nicht kommen,
es ſey denn, daß der Menſch ſeiner eigenen
Pflicht getreulich nachkomme.
f. Die Wahrheit iſt alhier der von GOtt ge-
offenbahrete gantze Rath GOttes von un-
ſerer Seligkeit nach dem Geſetze und Evange-
lio: als welcher den Namen der Wahrheit
vor allem andern, was ſonſt nur Wahrheit
genennet werden mag, verdienet, und daher
auch aller Aufnahme werth iſt. Der Ge-
horſam ſolcher Wahrheit iſt die thaͤtige Aus-
uͤbung derſelben, welche beſtehet in fortgeſetz-
ter Ausziehung des alten und Anziehung des
neuen Menſchen, welche mit einem Worte die
Erneurung genennet wird. Denn dadurch
wird immer mehr aus dem Wege geraͤumet,
was der Bruder-Liebe entgegen ſtehet, und
das befordert, wodurch ſie zu ihrem rechten
Stande koͤmmt.
3. Was die Bruder-Liebe ſelbſt betrift,
ſo gehoͤret dazu:
a. Der Grund, die Wiedergeburt und Kind-
ſchaft GOTTes, nach v. 3. und 23. Denn
gleichwie die natuͤrliche Geburt Kinder ma-
chet eines Vaters, die in dem Bande der na-
tuͤrlichen Bruͤderſchaft ſtehen: alſo machet die
geiſtliche Wiedergeburt aus GOtt geborne
Kinder und geiſtliche Bruͤder und Schwe-
ſtern.
b. Jhre Beſchaffenheit: ſie beſtehet in einer
uͤbernatuͤrlichen Neigung, da man nach der
Gemeinſchaft des Sinnes, den man vermoͤ-
ge der Wiedergeburt aus GOTT hat, ſich
unter einander lieb und bey der Liebe, nach
dem in andern erkannten Sinne Chriſti, werth
haͤlt, und nach allem Vermoͤgen durch er-
ſprießliche Dienſte ihnen ſuchet ſich gefaͤllig zu
erweiſen, ſo weit es das gute Gewiſſen zulaͤſ-
ſet.
c. Jhre, ſolcher Beſchaffenheit gemaͤſſe, Lau-
terkeit iſt, wenn ſie ungefaͤrbt, das iſt, un-
verſtellet und ungeheuchelt iſt. Eine ſolche
Lauterkeit der Liebe uͤberhaupt, und inſon-
derheit der Bruder-Liebe beſchreibet Paulus,
wenn er 1 Tim. 1, 5. ſpricht: Die Haupt-
Summa des Gebots iſt Liebe von rei-
nem Hertzen, und von gutem Gewiſſen
und von ungefaͤrbten Glauben. Mehre
Eigenſchaften ſolcher ihrer Lauterkeit ſehe
man 1 Cor. 13.
4. Die wirckliche Ausuͤbung der Bruder-
Liebe erfodert der Apoſtel mit dieſen Worten:
Und habt euch unter einander bruͤnſtig lieb
aus reinem Hertzen.
a. Er gehet mit dieſen Worten zuvorderſt wieder
zuruͤck auf den rechten Grund, auf das rei-
ne oder keuſch gemachte Hertz, und will die
Bruder-Liebe daraus, als aus einer reinern
Quelle, hergeleitet wiſſen. Denn gleichwie
ein ſolches Hertz ausgeleeret iſt von einem un-
lautern Affect: alſo iſt es hingegen voller
Kraft und voller Bereitwilligkeit, die Liebe
thaͤtig zu erweiſen.
b. Die Ausuͤbung ſelbſt wird mit den Worten,
habt euch unter einander lieb, ausgedru-
cket. Er gebrauchet das Wort, lieben, wel-
ches alle Pflichten in ſich faſſet. Denn weil
in der Liebe lieget das gantze Geſetz und die
Propheten, ſo iſt leichtlich zu erachten, daß
die Liebe ein Frucht-voller Baum ſey, ja ein
ſolcher Baum, der vielerley Art Fruͤchte auf
unterſchiedlichen Zweigen, doch alle von guter
Art traͤget. Und wenn der Apoſtel ſaget un-
ter einander, ſo zeiget er damit an, daß die
geiſtlichen Bruͤder, als Kinder eines himmli-
ſchen Vaters, Glieder ſind an einem geiſtli-
chen Leibe Chriſti, darinn eines dem andern
nach ſeiner Gnade und Gabe, muß Handrei-
chung thun, und alſo eines des andern Wachs-
thum befordern, nach Eph. 4, 16.
c. Das Wort ἐκτενῶς, welches Lutherus durch
bruͤnſtig uͤberſetzet hat, gehet auf einen ſol-
chen Ernſt, der ſich ſo wol intenſive, als
extenſive hervorthut: intenſive, wenn die
Liebe recht hertzlich iſt, wie innerlich nach
der Wahrheit, alſo auch aͤuſſerlich mit wirck-
licher Erweiſung der That: extenſive, wenn
ſie auf alle Pflichten gegen alle und iede in
mancherley Faͤllen alſo gehet, daß ſie daher
auch unterſchiedliche Namen bekoͤmmt, und
bald heißt Sanftmuth und Demuth, bald
Geduld, Vertraͤglichkeit, und Friedfer-
tigkeit, bald Gutthaͤtigkeit, Fuͤrbitte u. ſ.
w. Es gehoͤret auch zu der extenſion, oder
Weite, Breite und Laͤnge der Liebe die Dau-
rung derſelben, nach welcher ſie nicht muͤde
wird, und ihren Beweis nicht bey einer und
der andern Handlung laͤſſet, ſondern in der
Ausuͤbung beharret. Denn ſoll man im
Glauben beharren, ſo muß die Beharrung
auch in der Liebe geſchehen; ſintemal ſonſt
das gute Gewiſſen, dabey es auf die Ausuͤ-
bung der Liebe ankoͤmmt, verletzet wird, und
man am Glauben Schiffbruch leidet. 1 Tim.
1, 19. Siehe auch 1 Pet. 4, 8. und das Wort
ἐκτενὴς, ἐκτεῶς Luc. 22, 4. Ap. Geſch. 12, 45.
c. 26, 7.
d. Der Gegenſatz von der bruͤnſtigen Liebe beſte-
het nicht allein in dem Haß, in der Feindſchaft
und im Streite, ſondern auch in der Kalt-
ſinnigkeit: davon unſer Heyland Matth.
24, 12. ſaget: Dieweil die Ungerechtigkeit
wird uͤberhand nehmen, wird die Liebe in
vielen erkalten. Welches erkalten der Heil.
Geiſt Offenb. c. 2, 4. nennet die erſte Liebe
verlaſſen und lau werden, c. 3, 16. Man hat
im uͤbrigen von der Bruder-Liebe folgende
Oerter zu conferiren, Joh. 13, 34. 35. c. 15,
12. 17. Roͤm. 12, 10. 1 Theſſ. 4, 9. 1 Pet. 3, 8.
2 Petr. 1, 7. Hebr. 3, 1. 1 Joh. 3, 23. c. 4, 11.
20. 21.
5. Noch eines und das andere zu fernerer
Erbauung hinzu zu thun, ſo mercke man:
a. Daß, da unſere Liebe die Goͤttliche in der
Nachfolge zur Regel vor ſich haben ſoll, man
die Liebe GOttes extenſive und intenſive
zu erwegen habe nach dem Orte Pauli Eph. 4,
18. ‒ ‒ Durch die Liebe eingewurtzelt und
gegruͤn-
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