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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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ungerecht; doppelt gehässig und ein brutaler Mißbrauch
der Gewalt aber ist ein Monopol des Mannes zur Be-
nachteiligung des Weibes"); wenn Schmähschriften, wie
die von Oswald Steiner unter dem Deckmantel der Ano-
nymität die gehässigsten Verdächtigungen auf uns schleu-
dern; wenn selbst Gelehrte wie Paul de Lagarde vergessen,
daß man wenigstens den Ton eines gentleman wahren
sollte, wenn man Anspruch darauf macht, gehört zu werden1),
so fällt es schwer, alledem gegenüber die Objektivität zu
wahren. Aber wir wollen nicht mit gleicher Münze zahlen;
wir möchten es vermeiden, in der Weise gedachter Angriffe
einzelne Erfahrungen zu generalisieren, um daraus falsche
Schlüsse zu ziehen; ein Verfahren, das man sonst so gern
den Frauen zum Vorwurf macht, das aber in diesem Falle
von den Männern mit großer Gewandtheit geübt wird.

1) Wir unterbreiten folgende Stelle aus seinem "Programm der
konservativen Partei Preußens" dem öffentlichen Urteil: "Ältere Mäd-
chen sind nur in ganz vereinzelten Fällen -- etwa als Schwestern -- im-
stande jüngere Geschlechtsgenossinnen zu erziehen. Daß sie zu unter-
richten stets außer Stande sind, Unterricht im Handarbeiten, im Lesen,
Schreiben und Rechnen natürlich ausgenommen, versteht sich völlig von
selbst: wer nicht die Wege kennt, auf welchen Wissen erworben wird (und
warum zeigt man uns diese Wege nicht? D. V.
), für den ist sein
Wissen nur eine Kenntnis von Notizen, die mit den Notizen der Reise-
handbücher gleichwertig, insofern sogar noch weniger als diese wert sind,
als sie, während Bädeker, Murray, Gsell-Fels doch auch Reifenden nützen,
nur für die Verleger, das heißt für dasjenige Personal eine in Mark
auszudrückende Summe gelten, welche, um den aufgelesenen In-
fusorienlehm an Nicht-Botocudinnen zu verfüttern, von
einem unfehlbaren Staate als Lehrerinnen geduldet oder
gar angestellt werden....
Junge Mädchen sind für angejahrte (!)
Mädchen allenfalls Objekte der Pflichtübung, in den seltensten Fällen
Gegenstände der Liebe, denn sie wachsen in eine Konkurrenz hin-
ein, welche von den bereits beseitigten Schwestern trotz der
eigenen Hoffnungslosigkeit instinktiv abgelehnt wird
. Pflicht-
übung ist zwar seitens der Erziehenden und Unterrichtenden stets
vorhanden, wo die Lehrenden taugen, aber nicht in der Uniform der Pflicht-
übung sein sie es (?), oder sie wird zu jener, mag sie reden, mag sie

ungerecht; doppelt gehässig und ein brutaler Mißbrauch
der Gewalt aber ist ein Monopol des Mannes zur Be-
nachteiligung des Weibes“); wenn Schmähschriften, wie
die von Oswald Steiner unter dem Deckmantel der Ano-
nymität die gehässigsten Verdächtigungen auf uns schleu-
dern; wenn selbst Gelehrte wie Paul de Lagarde vergessen,
daß man wenigstens den Ton eines gentleman wahren
sollte, wenn man Anspruch darauf macht, gehört zu werden1),
so fällt es schwer, alledem gegenüber die Objektivität zu
wahren. Aber wir wollen nicht mit gleicher Münze zahlen;
wir möchten es vermeiden, in der Weise gedachter Angriffe
einzelne Erfahrungen zu generalisieren, um daraus falsche
Schlüsse zu ziehen; ein Verfahren, das man sonst so gern
den Frauen zum Vorwurf macht, das aber in diesem Falle
von den Männern mit großer Gewandtheit geübt wird.

1) Wir unterbreiten folgende Stelle aus seinem „Programm der
konservativen Partei Preußens“ dem öffentlichen Urteil: „Ältere Mäd-
chen sind nur in ganz vereinzelten Fällen — etwa als Schwestern — im-
stande jüngere Geschlechtsgenossinnen zu erziehen. Daß sie zu unter-
richten stets außer Stande sind, Unterricht im Handarbeiten, im Lesen,
Schreiben und Rechnen natürlich ausgenommen, versteht sich völlig von
selbst: wer nicht die Wege kennt, auf welchen Wissen erworben wird (und
warum zeigt man uns diese Wege nicht? D. V.
), für den ist sein
Wissen nur eine Kenntnis von Notizen, die mit den Notizen der Reise-
handbücher gleichwertig, insofern sogar noch weniger als diese wert sind,
als sie, während Bädeker, Murray, Gsell-Fels doch auch Reifenden nützen,
nur für die Verleger, das heißt für dasjenige Personal eine in Mark
auszudrückende Summe gelten, welche, um den aufgelesenen In-
fusorienlehm an Nicht-Botocudinnen zu verfüttern, von
einem unfehlbaren Staate als Lehrerinnen geduldet oder
gar angestellt werden....
Junge Mädchen sind für angejahrte (!)
Mädchen allenfalls Objekte der Pflichtübung, in den seltensten Fällen
Gegenstände der Liebe, denn sie wachsen in eine Konkurrenz hin-
ein, welche von den bereits beseitigten Schwestern trotz der
eigenen Hoffnungslosigkeit instinktiv abgelehnt wird
. Pflicht-
übung ist zwar seitens der Erziehenden und Unterrichtenden stets
vorhanden, wo die Lehrenden taugen, aber nicht in der Uniform der Pflicht-
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[39/0040] ungerecht; doppelt gehässig und ein brutaler Mißbrauch der Gewalt aber ist ein Monopol des Mannes zur Be- nachteiligung des Weibes“); wenn Schmähschriften, wie die von Oswald Steiner unter dem Deckmantel der Ano- nymität die gehässigsten Verdächtigungen auf uns schleu- dern; wenn selbst Gelehrte wie Paul de Lagarde vergessen, daß man wenigstens den Ton eines gentleman wahren sollte, wenn man Anspruch darauf macht, gehört zu werden 1), so fällt es schwer, alledem gegenüber die Objektivität zu wahren. Aber wir wollen nicht mit gleicher Münze zahlen; wir möchten es vermeiden, in der Weise gedachter Angriffe einzelne Erfahrungen zu generalisieren, um daraus falsche Schlüsse zu ziehen; ein Verfahren, das man sonst so gern den Frauen zum Vorwurf macht, das aber in diesem Falle von den Männern mit großer Gewandtheit geübt wird. 1) Wir unterbreiten folgende Stelle aus seinem „Programm der konservativen Partei Preußens“ dem öffentlichen Urteil: „Ältere Mäd- chen sind nur in ganz vereinzelten Fällen — etwa als Schwestern — im- stande jüngere Geschlechtsgenossinnen zu erziehen. Daß sie zu unter- richten stets außer Stande sind, Unterricht im Handarbeiten, im Lesen, Schreiben und Rechnen natürlich ausgenommen, versteht sich völlig von selbst: wer nicht die Wege kennt, auf welchen Wissen erworben wird (und warum zeigt man uns diese Wege nicht? D. V.), für den ist sein Wissen nur eine Kenntnis von Notizen, die mit den Notizen der Reise- handbücher gleichwertig, insofern sogar noch weniger als diese wert sind, als sie, während Bädeker, Murray, Gsell-Fels doch auch Reifenden nützen, nur für die Verleger, das heißt für dasjenige Personal eine in Mark auszudrückende Summe gelten, welche, um den aufgelesenen In- fusorienlehm an Nicht-Botocudinnen zu verfüttern, von einem unfehlbaren Staate als Lehrerinnen geduldet oder gar angestellt werden.... Junge Mädchen sind für angejahrte (!) Mädchen allenfalls Objekte der Pflichtübung, in den seltensten Fällen Gegenstände der Liebe, denn sie wachsen in eine Konkurrenz hin- ein, welche von den bereits beseitigten Schwestern trotz der eigenen Hoffnungslosigkeit instinktiv abgelehnt wird. Pflicht- übung ist zwar seitens der Erziehenden und Unterrichtenden stets vorhanden, wo die Lehrenden taugen, aber nicht in der Uniform der Pflicht- übung sein sie es (?), oder sie wird zu jener, mag sie reden, mag sie

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/40>, abgerufen am 21.11.2024.