Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.Principiell gebührt schweigen, gleich unerträglichen Tugendboldigkeit, welche jeder Mann ver-
abscheut, und jedes Kind weiblichen Geschlechts verspottet." -- Daß nun die Lehrerinnen dem Verf. nicht genügen, ist um so auffallender, als nach seinem Vorschlage die Mädchen in Zukunft nur Lesen, Schreiben, Rechnen, etwas Heimatskunde, Stricken, Nähen und Kochen lernen sollen. Heiraten sie nicht, so bleibt es dabei; was dann aus den unzähligen unwissenden unverheirateten Mädchen wird, kümmert den Verfasser nicht; heiraten sie aber, so ist von selbst gesorgt, denn "jedes Mädchen lernt nur von dem Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was, und so viel, wie, der geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will. Das Regelrechte ist, daß Mädchen heiraten, und ihre Bildung in der Ehe gewinnen: doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht (!) werden, wenn sie diese Männer mit warmem Herzen bedienen. Weiter müssen aus unseren Häusern Welt-und Litteraturgeschichten, Monatshefte, Garten- lauben, Daheime und wie der Kram alle heißt, verschwinden, wenn wir aus unsern Mädchen etwas werden sehen wollen: ein einziger Mann, der in seiner Pflichttreue und Begeisterung einem Mädchen bekannt wird, das er sogar ignorieren darf (!) wirkt bildender als alle die ge- tonten und bedruckten Haderfilze Deutschlands zusammen." -- Man kann die Arroganz nicht wohl weiter treiben; man sieht nur nicht ein, warum Herr de Lagarde nicht offen ausspricht, was er doch entschieden denken muß, daß das ganze weibliche Geschlecht kindisch ist. Annähernd werden seine Ausdrücke von dem Schulinspektor Cremer (Frauenarbeit in der Schule) erreicht. Man vergleiche damit, was der Schulinspektor Dammann und der Schulrat Cauer, die beide reiche Erfahrungen machen konnten, über die Thätigkeit der Lehrerinnen Anerkennendes schreiben. Principiell gebührt schweigen, gleich unerträglichen Tugendboldigkeit, welche jeder Mann ver-
abscheut, und jedes Kind weiblichen Geschlechts verspottet.“ — Daß nun die Lehrerinnen dem Verf. nicht genügen, ist um so auffallender, als nach seinem Vorschlage die Mädchen in Zukunft nur Lesen, Schreiben, Rechnen, etwas Heimatskunde, Stricken, Nähen und Kochen lernen sollen. Heiraten sie nicht, so bleibt es dabei; was dann aus den unzähligen unwissenden unverheirateten Mädchen wird, kümmert den Verfasser nicht; heiraten sie aber, so ist von selbst gesorgt, denn „jedes Mädchen lernt nur von dem Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was, und so viel, wie, der geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will. Das Regelrechte ist, daß Mädchen heiraten, und ihre Bildung in der Ehe gewinnen: doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht (!) werden, wenn sie diese Männer mit warmem Herzen bedienen. Weiter müssen aus unseren Häusern Welt-und Litteraturgeschichten, Monatshefte, Garten- lauben, Daheime und wie der Kram alle heißt, verschwinden, wenn wir aus unsern Mädchen etwas werden sehen wollen: ein einziger Mann, der in seiner Pflichttreue und Begeisterung einem Mädchen bekannt wird, das er sogar ignorieren darf (!) wirkt bildender als alle die ge- tonten und bedruckten Haderfilze Deutschlands zusammen.“ — Man kann die Arroganz nicht wohl weiter treiben; man sieht nur nicht ein, warum Herr de Lagarde nicht offen ausspricht, was er doch entschieden denken muß, daß das ganze weibliche Geschlecht kindisch ist. Annähernd werden seine Ausdrücke von dem Schulinspektor Cremer (Frauenarbeit in der Schule) erreicht. Man vergleiche damit, was der Schulinspektor Dammann und der Schulrat Cauer, die beide reiche Erfahrungen machen konnten, über die Thätigkeit der Lehrerinnen Anerkennendes schreiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0041" n="40"/> <p><note place="left"><hi rendition="#g">Principiell</hi> gebührt<lb/> den Frauen in der Mäd-<lb/> chenschule die erste Stelle.<lb/> So wie sie sind, können<lb/> sie sie noch nicht einneh-<lb/> men.</note>Wenn wir nun zwar auch, durch unsere Erfahrungen<lb/> und die in der Sache selbst liegende Logik gezwungen, er-<lb/> klären müssen: echte Frauen werden nur unter Frauen-<lb/> leitung erzogen, darum muß <hi rendition="#g">principiell</hi> der Frau die <hi rendition="#g">erste</hi><lb/> Stelle in der Mädchenbildung eingeräumt werden, — so<lb/> sind wir doch weit davon entfernt zu glauben, daß wir sie<lb/> thatsächlich schon einnehmen könnten, so wie wir sind. Wir<lb/> sind weit davon entfernt, eine überstürzte Reform zu wollen,<lb/> auf eine rücksichtslose, plötzliche Umwandlung des bisherigen<lb/> Systems zu dringen; wir sind auch weit davon entfernt,<lb/> das Studium zu unterschätzen, das die Lösung einer solchen<lb/> Aufgabe, wie die Leitung einer Mädchenschule oder auch<lb/><note xml:id="ID12" prev="ID11" place="foot" n="1)">schweigen, gleich unerträglichen Tugendboldigkeit, welche jeder Mann ver-<lb/> abscheut, und jedes Kind weiblichen Geschlechts verspottet.“ — Daß nun<lb/> die Lehrerinnen dem Verf. nicht genügen, ist um so auffallender, als nach<lb/> seinem Vorschlage die Mädchen in Zukunft nur Lesen, Schreiben, Rechnen,<lb/> etwas Heimatskunde, Stricken, Nähen und Kochen lernen sollen. 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Wenn wir nun zwar auch, durch unsere Erfahrungen
und die in der Sache selbst liegende Logik gezwungen, er-
klären müssen: echte Frauen werden nur unter Frauen-
leitung erzogen, darum muß principiell der Frau die erste
Stelle in der Mädchenbildung eingeräumt werden, — so
sind wir doch weit davon entfernt zu glauben, daß wir sie
thatsächlich schon einnehmen könnten, so wie wir sind. Wir
sind weit davon entfernt, eine überstürzte Reform zu wollen,
auf eine rücksichtslose, plötzliche Umwandlung des bisherigen
Systems zu dringen; wir sind auch weit davon entfernt,
das Studium zu unterschätzen, das die Lösung einer solchen
Aufgabe, wie die Leitung einer Mädchenschule oder auch
1)
Principiell gebührt
den Frauen in der Mäd-
chenschule die erste Stelle.
So wie sie sind, können
sie sie noch nicht einneh-
men.
1) schweigen, gleich unerträglichen Tugendboldigkeit, welche jeder Mann ver-
abscheut, und jedes Kind weiblichen Geschlechts verspottet.“ — Daß nun
die Lehrerinnen dem Verf. nicht genügen, ist um so auffallender, als nach
seinem Vorschlage die Mädchen in Zukunft nur Lesen, Schreiben, Rechnen,
etwas Heimatskunde, Stricken, Nähen und Kochen lernen sollen. Heiraten
sie nicht, so bleibt es dabei; was dann aus den unzähligen unwissenden
unverheirateten Mädchen wird, kümmert den Verfasser nicht; heiraten sie
aber, so ist von selbst gesorgt, denn „jedes Mädchen lernt nur von dem
Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was, und so viel, wie, der
geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will. Das
Regelrechte ist, daß Mädchen heiraten, und ihre Bildung in der Ehe
gewinnen: doch auch Schwestern, Töchter, Pflegerinnen werden durch
Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht (!) werden, wenn sie
diese Männer mit warmem Herzen bedienen. Weiter müssen aus unseren
Häusern Welt-und Litteraturgeschichten, Monatshefte, Garten-
lauben, Daheime und wie der Kram alle heißt, verschwinden, wenn wir
aus unsern Mädchen etwas werden sehen wollen: ein einziger Mann, der
in seiner Pflichttreue und Begeisterung einem Mädchen bekannt wird,
das er sogar ignorieren darf (!) wirkt bildender als alle die ge-
tonten und bedruckten Haderfilze Deutschlands zusammen.“ — Man kann
die Arroganz nicht wohl weiter treiben; man sieht nur nicht ein, warum
Herr de Lagarde nicht offen ausspricht, was er doch entschieden denken
muß, daß das ganze weibliche Geschlecht kindisch ist. Annähernd
werden seine Ausdrücke von dem Schulinspektor Cremer (Frauenarbeit in
der Schule) erreicht. Man vergleiche damit, was der Schulinspektor
Dammann und der Schulrat Cauer, die beide reiche Erfahrungen machen
konnten, über die Thätigkeit der Lehrerinnen Anerkennendes schreiben.
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