Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

genden, bewiesen mir das Glück ihrer
günstigen Lage, und ich wünsche ihnen
einen guten Gebrauch ihres Segens.
Meine Empfindungen waren angenehm,
wie sie es allezeit beym ersten Anblick der
Kennzeichen des Glücks zu seyn pflegen;
bis nach und nach aus ihrer Betrachtung
der Gedanke der Vergleichung unserer
minder guten Umstände entspringt, und
der bittern Unzufriedenheit einen Zugang
in die Seele giebt.

Wir kehrten unterwegs, auf dem
Schlosse des Grafen von W. ein, dessen
Beschreibung ich unmöglich vorbeygehen
kann. Es ist an der Spitze eines Berges
erbaut, und hat auf vierzehen Stunden
weit, die schönste Gegend eines mit Fel-
dern, Wiesen und zerstreuten Bauerhöfen,
gezierten Thales vor sich liegen, welches
ein fischreicher Bach durchfließt, und
waldichte Anhöhen umfassen. Auf dem
Berge sind weitläuftige Gärten und Spa-
ziergänge, nach dem edlen Geschmack des
vorigen Besitzers angelegt, in welchem
ich seinen Lieblingsgrundsatz, "das Ange-

nehme

genden, bewieſen mir das Gluͤck ihrer
guͤnſtigen Lage, und ich wuͤnſche ihnen
einen guten Gebrauch ihres Segens.
Meine Empfindungen waren angenehm,
wie ſie es allezeit beym erſten Anblick der
Kennzeichen des Gluͤcks zu ſeyn pflegen;
bis nach und nach aus ihrer Betrachtung
der Gedanke der Vergleichung unſerer
minder guten Umſtaͤnde entſpringt, und
der bittern Unzufriedenheit einen Zugang
in die Seele giebt.

Wir kehrten unterwegs, auf dem
Schloſſe des Grafen von W. ein, deſſen
Beſchreibung ich unmoͤglich vorbeygehen
kann. Es iſt an der Spitze eines Berges
erbaut, und hat auf vierzehen Stunden
weit, die ſchoͤnſte Gegend eines mit Fel-
dern, Wieſen und zerſtreuten Bauerhoͤfen,
gezierten Thales vor ſich liegen, welches
ein fiſchreicher Bach durchfließt, und
waldichte Anhoͤhen umfaſſen. Auf dem
Berge ſind weitlaͤuftige Gaͤrten und Spa-
ziergaͤnge, nach dem edlen Geſchmack des
vorigen Beſitzers angelegt, in welchem
ich ſeinen Lieblingsgrundſatz, „das Ange-

nehme
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="134"/>
genden, bewie&#x017F;en mir das Glu&#x0364;ck ihrer<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tigen Lage, und ich wu&#x0364;n&#x017F;che ihnen<lb/>
einen guten Gebrauch ihres Segens.<lb/>
Meine Empfindungen waren angenehm,<lb/>
wie &#x017F;ie es allezeit beym er&#x017F;ten Anblick der<lb/>
Kennzeichen des Glu&#x0364;cks zu &#x017F;eyn pflegen;<lb/>
bis nach und nach aus ihrer Betrachtung<lb/>
der Gedanke der Vergleichung un&#x017F;erer<lb/>
minder guten Um&#x017F;ta&#x0364;nde ent&#x017F;pringt, und<lb/>
der bittern Unzufriedenheit einen Zugang<lb/>
in die Seele giebt.</p><lb/>
          <p>Wir kehrten unterwegs, auf dem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e des Grafen von W. ein, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Be&#x017F;chreibung ich unmo&#x0364;glich vorbeygehen<lb/>
kann. Es i&#x017F;t an der Spitze eines Berges<lb/>
erbaut, und hat auf vierzehen Stunden<lb/>
weit, die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Gegend eines mit Fel-<lb/>
dern, Wie&#x017F;en und zer&#x017F;treuten Bauerho&#x0364;fen,<lb/>
gezierten Thales vor &#x017F;ich liegen, welches<lb/>
ein fi&#x017F;chreicher Bach durchfließt, und<lb/>
waldichte Anho&#x0364;hen umfa&#x017F;&#x017F;en. Auf dem<lb/>
Berge &#x017F;ind weitla&#x0364;uftige Ga&#x0364;rten und Spa-<lb/>
zierga&#x0364;nge, nach dem edlen Ge&#x017F;chmack des<lb/>
vorigen Be&#x017F;itzers angelegt, in welchem<lb/>
ich &#x017F;einen Lieblingsgrund&#x017F;atz, &#x201E;das Ange-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nehme</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0160] genden, bewieſen mir das Gluͤck ihrer guͤnſtigen Lage, und ich wuͤnſche ihnen einen guten Gebrauch ihres Segens. Meine Empfindungen waren angenehm, wie ſie es allezeit beym erſten Anblick der Kennzeichen des Gluͤcks zu ſeyn pflegen; bis nach und nach aus ihrer Betrachtung der Gedanke der Vergleichung unſerer minder guten Umſtaͤnde entſpringt, und der bittern Unzufriedenheit einen Zugang in die Seele giebt. Wir kehrten unterwegs, auf dem Schloſſe des Grafen von W. ein, deſſen Beſchreibung ich unmoͤglich vorbeygehen kann. Es iſt an der Spitze eines Berges erbaut, und hat auf vierzehen Stunden weit, die ſchoͤnſte Gegend eines mit Fel- dern, Wieſen und zerſtreuten Bauerhoͤfen, gezierten Thales vor ſich liegen, welches ein fiſchreicher Bach durchfließt, und waldichte Anhoͤhen umfaſſen. Auf dem Berge ſind weitlaͤuftige Gaͤrten und Spa- ziergaͤnge, nach dem edlen Geſchmack des vorigen Beſitzers angelegt, in welchem ich ſeinen Lieblingsgrundſatz, „das Ange- nehme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/160
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/160>, abgerufen am 23.11.2024.