Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie der ganze Adel beysammen war,
wurden wir junge Fräulein gebeten, die
ältern Damen und Cavaliere mit Erfri-
schungeu bedienen zu helfen; unsre Geschäff-
tigkeit war artig zu sehen; für eine fremde
Person aber müßten die forschenden halb
verborgnen Blicke, die immer eine Dame
nach der andern schickte, zu vielen kleinen
Betrachtungen Anlaß gegeben haben.
Jch war voll herzlicher Freude; es war
Grasboden, den ich betrat, Bäume, unter
deren Schatten ich eine Schüssel Milch
verzehrte, frische Luft, was ich athmete,
ein heitrer offner Himmel um mich her,
nur zwanzig Schritte von mir ein schöner
Bach und wohl angebaute reiche Kornfel-
der! Mir schien's, als ob die unbegränzte
Aussicht in das Reich der Natur meinen
Lebensgeistern und Empfindungen eine
freyere Bewegung verschaffte, sie von dem
einkerkernden Zwang des Aufenthalts in
den Mauren eines Pallastes voller gekün-
stelten Zierrathen und Vergoldungen, in
ihre natürliche Freyheit und in ihr ange-
bohrnes Element setzte. Jch redete auch

mehr
R 4

Wie der ganze Adel beyſammen war,
wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die
aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri-
ſchungeu bedienen zu helfen; unſre Geſchaͤff-
tigkeit war artig zu ſehen; fuͤr eine fremde
Perſon aber muͤßten die forſchenden halb
verborgnen Blicke, die immer eine Dame
nach der andern ſchickte, zu vielen kleinen
Betrachtungen Anlaß gegeben haben.
Jch war voll herzlicher Freude; es war
Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter
deren Schatten ich eine Schuͤſſel Milch
verzehrte, friſche Luft, was ich athmete,
ein heitrer offner Himmel um mich her,
nur zwanzig Schritte von mir ein ſchoͤner
Bach und wohl angebaute reiche Kornfel-
der! Mir ſchien’s, als ob die unbegraͤnzte
Ausſicht in das Reich der Natur meinen
Lebensgeiſtern und Empfindungen eine
freyere Bewegung verſchaffte, ſie von dem
einkerkernden Zwang des Aufenthalts in
den Mauren eines Pallaſtes voller gekuͤn-
ſtelten Zierrathen und Vergoldungen, in
ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange-
bohrnes Element ſetzte. Jch redete auch

mehr
R 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0289" n="263"/>
          <p>Wie der ganze Adel bey&#x017F;ammen war,<lb/>
wurden wir junge Fra&#x0364;ulein gebeten, die<lb/>
a&#x0364;ltern Damen und Cavaliere mit Erfri-<lb/>
&#x017F;chungeu bedienen zu helfen; un&#x017F;re Ge&#x017F;cha&#x0364;ff-<lb/>
tigkeit war artig zu &#x017F;ehen; fu&#x0364;r eine fremde<lb/>
Per&#x017F;on aber mu&#x0364;ßten die for&#x017F;chenden halb<lb/>
verborgnen Blicke, die immer eine Dame<lb/>
nach der andern &#x017F;chickte, zu vielen kleinen<lb/>
Betrachtungen Anlaß gegeben haben.<lb/>
Jch war voll herzlicher Freude; es war<lb/>
Grasboden, den ich betrat, Ba&#x0364;ume, unter<lb/>
deren Schatten ich eine Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el Milch<lb/>
verzehrte, fri&#x017F;che Luft, was ich athmete,<lb/>
ein heitrer offner Himmel um mich her,<lb/>
nur zwanzig Schritte von mir ein &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
Bach und wohl angebaute reiche Kornfel-<lb/>
der! Mir &#x017F;chien&#x2019;s, als ob die unbegra&#x0364;nzte<lb/>
Aus&#x017F;icht in das Reich der Natur meinen<lb/>
Lebensgei&#x017F;tern und Empfindungen eine<lb/>
freyere Bewegung ver&#x017F;chaffte, &#x017F;ie von dem<lb/>
einkerkernden Zwang des Aufenthalts in<lb/>
den Mauren eines Palla&#x017F;tes voller geku&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;telten Zierrathen und Vergoldungen, in<lb/>
ihre natu&#x0364;rliche Freyheit und in ihr ange-<lb/>
bohrnes Element &#x017F;etzte. Jch redete auch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 4</fw><fw place="bottom" type="catch">mehr</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0289] Wie der ganze Adel beyſammen war, wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri- ſchungeu bedienen zu helfen; unſre Geſchaͤff- tigkeit war artig zu ſehen; fuͤr eine fremde Perſon aber muͤßten die forſchenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern ſchickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Jch war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter deren Schatten ich eine Schuͤſſel Milch verzehrte, friſche Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein ſchoͤner Bach und wohl angebaute reiche Kornfel- der! Mir ſchien’s, als ob die unbegraͤnzte Ausſicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeiſtern und Empfindungen eine freyere Bewegung verſchaffte, ſie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthalts in den Mauren eines Pallaſtes voller gekuͤn- ſtelten Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange- bohrnes Element ſetzte. Jch redete auch mehr R 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/289
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/289>, abgerufen am 22.11.2024.