Vorurtheile bey meiner Mama, und bey Sophien überwinden! --
"Jch fürchte die Vorurtheile nicht so sehr, als eine vorgefaßte Neigung, die unsre liebe Sophie in ihrem Herzen nährt. Jch kenne den Gegenstand nicht, aber sie liebt, und liebt schon lange. Kleine Aufsätze von Betrachtungen, von Kla- gen gegen das Schicksal, gegen Tren- nung, -- die ich in ihrem Schreibetische gefunden habe, überzeugten mich davon. Jch habe sie beobachtet, aber weiter nichts entdecken können." Jch will mit ihr re- den, sagte der Baron, und sehen, ob ihr Herz nicht durch irgend eine Lücke auszu- spähen ist.
Den Morgen darauf gieng der Ba- ron zu Fräulein Sophie, und nach vielen freundlichen Fragen um ihre Gesund- heit, nahm er ihre Hände in die seinigen. Liebe theure Sophie, sprach er, du giebst mir Versicherung deines Wohlseyns; aber warum bleibt dir die leidende Miene? warum der Ton des Schmerzens; warum
der
B
Vorurtheile bey meiner Mama, und bey Sophien uͤberwinden! —
„Jch fuͤrchte die Vorurtheile nicht ſo ſehr, als eine vorgefaßte Neigung, die unſre liebe Sophie in ihrem Herzen naͤhrt. Jch kenne den Gegenſtand nicht, aber ſie liebt, und liebt ſchon lange. Kleine Aufſaͤtze von Betrachtungen, von Kla- gen gegen das Schickſal, gegen Tren- nung, — die ich in ihrem Schreibetiſche gefunden habe, uͤberzeugten mich davon. Jch habe ſie beobachtet, aber weiter nichts entdecken koͤnnen.“ Jch will mit ihr re- den, ſagte der Baron, und ſehen, ob ihr Herz nicht durch irgend eine Luͤcke auszu- ſpaͤhen iſt.
Den Morgen darauf gieng der Ba- ron zu Fraͤulein Sophie, und nach vielen freundlichen Fragen um ihre Geſund- heit, nahm er ihre Haͤnde in die ſeinigen. Liebe theure Sophie, ſprach er, du giebſt mir Verſicherung deines Wohlſeyns; aber warum bleibt dir die leidende Miene? warum der Ton des Schmerzens; warum
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Vorurtheile bey meiner Mama, und bey
Sophien uͤberwinden! —
„Jch fuͤrchte die Vorurtheile nicht ſo
ſehr, als eine vorgefaßte Neigung, die
unſre liebe Sophie in ihrem Herzen naͤhrt.
Jch kenne den Gegenſtand nicht, aber ſie
liebt, und liebt ſchon lange. Kleine
Aufſaͤtze von Betrachtungen, von Kla-
gen gegen das Schickſal, gegen Tren-
nung, — die ich in ihrem Schreibetiſche
gefunden habe, uͤberzeugten mich davon.
Jch habe ſie beobachtet, aber weiter nichts
entdecken koͤnnen.“ Jch will mit ihr re-
den, ſagte der Baron, und ſehen, ob ihr
Herz nicht durch irgend eine Luͤcke auszu-
ſpaͤhen iſt.
Den Morgen darauf gieng der Ba-
ron zu Fraͤulein Sophie, und nach vielen
freundlichen Fragen um ihre Geſund-
heit, nahm er ihre Haͤnde in die ſeinigen.
Liebe theure Sophie, ſprach er, du giebſt
mir Verſicherung deines Wohlſeyns;
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/43>, abgerufen am 03.12.2024.
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