Ja, zumal da Sie es ohnehin nicht werden verhindern können. Aber suchen Sie, so viel Sie können, nur solche, wor- inn die Personen nach edlen Grundsätzen handeln, und wo wahre Scenen des Le- bens beschrieben sind. Wenn man das Romanenlesen verbieten wollte, so müßte man auch in Gesellschaft vermeiden, vor jungen Personen, bald einen kurzen, bald weitläufigen Auszug von einer Liebesge- schichte zu erzehlen, die in der nehmlichen Stadt oder Straße wo man wohnt, vor- gieng; unserer Väter, Männer und Brü- der müßten nicht so viel von ihren artigen Begebenheiten und Beobachtungen auf Reisen und s. w. sprechen; sonst machte auch dieses Verbot und die Gegenübung wieder einen schädlichen Contrast. Ein vortrefflicher Mann und Kenner des Menschen wünscht: das man jungen Per- sonen beyderley Geschlechts zur Stillung der Neugierde die meisten großen Reise- beschreibungen gäbe, wo von der Natur-
historie
„Soll ich ſie auch Romane leſen „laſſen?“
Ja, zumal da Sie es ohnehin nicht werden verhindern koͤnnen. Aber ſuchen Sie, ſo viel Sie koͤnnen, nur ſolche, wor- inn die Perſonen nach edlen Grundſaͤtzen handeln, und wo wahre Scenen des Le- bens beſchrieben ſind. Wenn man das Romanenleſen verbieten wollte, ſo muͤßte man auch in Geſellſchaft vermeiden, vor jungen Perſonen, bald einen kurzen, bald weitlaͤufigen Auszug von einer Liebesge- ſchichte zu erzehlen, die in der nehmlichen Stadt oder Straße wo man wohnt, vor- gieng; unſerer Vaͤter, Maͤnner und Bruͤ- der muͤßten nicht ſo viel von ihren artigen Begebenheiten und Beobachtungen auf Reiſen und ſ. w. ſprechen; ſonſt machte auch dieſes Verbot und die Gegenuͤbung wieder einen ſchaͤdlichen Contraſt. Ein vortrefflicher Mann und Kenner des Menſchen wuͤnſcht: das man jungen Per- ſonen beyderley Geſchlechts zur Stillung der Neugierde die meiſten großen Reiſe- beſchreibungen gaͤbe, wo von der Natur-
hiſtorie
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„Soll ich ſie auch Romane leſen
„laſſen?“
Ja, zumal da Sie es ohnehin nicht
werden verhindern koͤnnen. Aber ſuchen
Sie, ſo viel Sie koͤnnen, nur ſolche, wor-
inn die Perſonen nach edlen Grundſaͤtzen
handeln, und wo wahre Scenen des Le-
bens beſchrieben ſind. Wenn man das
Romanenleſen verbieten wollte, ſo muͤßte
man auch in Geſellſchaft vermeiden, vor
jungen Perſonen, bald einen kurzen, bald
weitlaͤufigen Auszug von einer Liebesge-
ſchichte zu erzehlen, die in der nehmlichen
Stadt oder Straße wo man wohnt, vor-
gieng; unſerer Vaͤter, Maͤnner und Bruͤ-
der muͤßten nicht ſo viel von ihren artigen
Begebenheiten und Beobachtungen auf
Reiſen und ſ. w. ſprechen; ſonſt machte
auch dieſes Verbot und die Gegenuͤbung
wieder einen ſchaͤdlichen Contraſt. Ein
vortrefflicher Mann und Kenner des
Menſchen wuͤnſcht: das man jungen Per-
ſonen beyderley Geſchlechts zur Stillung
der Neugierde die meiſten großen Reiſe-
beſchreibungen gaͤbe, wo von der Natur-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/150>, abgerufen am 21.11.2024.
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