So ist sie also das Eigenthum eines der verwerflichsten Menschen aller Natio- nen geworden! O, -- ich verfluche den Tag, wo ich sie sah, wo ich die sympa- thetische Seele in ihr fand! -- und, ewig verdamme Gott den Bösewicht, dem sie sich in die Arme warf! Was für Rän- ke muß der Kerl gebraucht haben! es ist nicht anders möglich, der Kummer hat ihren Verstand zerrüttet. Aber die Brie- fe, die sie zurück ließ, sind in einem so wohlthätigen, so edlem Ton, und mit so vielem Geiste geschrieben! -- doch dünkt mich einst gelesen zu haben, daß just in einer Zerrüttung der künstlichen und ge- lernten Bewegung des Verstandes die Triebfedern an den Tag kämen, durch welche er von unsern natürlichen und vorzüglichen Neigungen gebraucht wird. Urtheilen Sie also von dem edlen Grund des Charakters unsers Fräuleins. --
Fräu-
So iſt ſie alſo das Eigenthum eines der verwerflichſten Menſchen aller Natio- nen geworden! O, — ich verfluche den Tag, wo ich ſie ſah, wo ich die ſympa- thetiſche Seele in ihr fand! — und, ewig verdamme Gott den Boͤſewicht, dem ſie ſich in die Arme warf! Was fuͤr Raͤn- ke muß der Kerl gebraucht haben! es iſt nicht anders moͤglich, der Kummer hat ihren Verſtand zerruͤttet. Aber die Brie- fe, die ſie zuruͤck ließ, ſind in einem ſo wohlthaͤtigen, ſo edlem Ton, und mit ſo vielem Geiſte geſchrieben! — doch duͤnkt mich einſt geleſen zu haben, daß juſt in einer Zerruͤttung der kuͤnſtlichen und ge- lernten Bewegung des Verſtandes die Triebfedern an den Tag kaͤmen, durch welche er von unſern natuͤrlichen und vorzuͤglichen Neigungen gebraucht wird. Urtheilen Sie alſo von dem edlen Grund des Charakters unſers Fraͤuleins. —
Fraͤu-
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So iſt ſie alſo das Eigenthum eines
der verwerflichſten Menſchen aller Natio-
nen geworden! O, — ich verfluche den
Tag, wo ich ſie ſah, wo ich die ſympa-
thetiſche Seele in ihr fand! — und,
ewig verdamme Gott den Boͤſewicht, dem
ſie ſich in die Arme warf! Was fuͤr Raͤn-
ke muß der Kerl gebraucht haben! es iſt
nicht anders moͤglich, der Kummer hat
ihren Verſtand zerruͤttet. Aber die Brie-
fe, die ſie zuruͤck ließ, ſind in einem ſo
wohlthaͤtigen, ſo edlem Ton, und mit ſo
vielem Geiſte geſchrieben! — doch duͤnkt
mich einſt geleſen zu haben, daß juſt in
einer Zerruͤttung der kuͤnſtlichen und ge-
lernten Bewegung des Verſtandes die
Triebfedern an den Tag kaͤmen, durch
welche er von unſern natuͤrlichen und
vorzuͤglichen Neigungen gebraucht wird.
Urtheilen Sie alſo von dem edlen Grund
des Charakters unſers Fraͤuleins. —
Fraͤu-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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