schluß fassen, meine letzten Tage mit edlen Gesinnungen auszufüllen, und zu sehen, ob ich nicht auch hier Gutes thun kann.
Ja, ich kann, ich will noch Gutes thun; o! Geduld, du Tugend des Lei- denden, nicht des Glücklichen, dem alle Wünsche gewähret sind, wohne bey mir, und leite mich zu ruhiger Befolgung der Rathschlüsse des Schicksals! -- Müh- sam und einzeln sammlet man die Wur- zeln und Kränter, welche unsere leibli- chen Uebel heilen. Eben so besorgt sollte man die Hülfsmittel unserer moralischen Krankheiten suchen; sie finden sich oft, wie jene, am nächsten Fußsteige von un- serem Aufenthalt. Aber wir sind ge- wohnt das Gute immer in der Ferne zu suchen, und das an der Hand liegende mit Verachtung zu übersehen. Jch mach- te es so; meine Wünsche und meine Kla- gen führten meine Empfindung weit von dem was mich umgab; wie spät erkenne
ich
ſchluß faſſen, meine letzten Tage mit edlen Geſinnungen auszufuͤllen, und zu ſehen, ob ich nicht auch hier Gutes thun kann.
Ja, ich kann, ich will noch Gutes thun; o! Geduld, du Tugend des Lei- denden, nicht des Gluͤcklichen, dem alle Wuͤnſche gewaͤhret ſind, wohne bey mir, und leite mich zu ruhiger Befolgung der Rathſchluͤſſe des Schickſals! — Muͤh- ſam und einzeln ſammlet man die Wur- zeln und Kraͤnter, welche unſere leibli- chen Uebel heilen. Eben ſo beſorgt ſollte man die Huͤlfsmittel unſerer moraliſchen Krankheiten ſuchen; ſie finden ſich oft, wie jene, am naͤchſten Fußſteige von un- ſerem Aufenthalt. Aber wir ſind ge- wohnt das Gute immer in der Ferne zu ſuchen, und das an der Hand liegende mit Verachtung zu uͤberſehen. Jch mach- te es ſo; meine Wuͤnſche und meine Kla- gen fuͤhrten meine Empfindung weit von dem was mich umgab; wie ſpaͤt erkenne
ich
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ſchluß faſſen, meine letzten Tage mit
edlen Geſinnungen auszufuͤllen, und zu
ſehen, ob ich nicht auch hier Gutes
thun kann.
Ja, ich kann, ich will noch Gutes
thun; o! Geduld, du Tugend des Lei-
denden, nicht des Gluͤcklichen, dem alle
Wuͤnſche gewaͤhret ſind, wohne bey mir,
und leite mich zu ruhiger Befolgung der
Rathſchluͤſſe des Schickſals! — Muͤh-
ſam und einzeln ſammlet man die Wur-
zeln und Kraͤnter, welche unſere leibli-
chen Uebel heilen. Eben ſo beſorgt ſollte
man die Huͤlfsmittel unſerer moraliſchen
Krankheiten ſuchen; ſie finden ſich oft,
wie jene, am naͤchſten Fußſteige von un-
ſerem Aufenthalt. Aber wir ſind ge-
wohnt das Gute immer in der Ferne zu
ſuchen, und das an der Hand liegende
mit Verachtung zu uͤberſehen. Jch mach-
te es ſo; meine Wuͤnſche und meine Kla-
gen fuͤhrten meine Empfindung weit von
dem was mich umgab; wie ſpaͤt erkenne
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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