Die kleine Lidy hab' ich auch nähen ge- lernt, und sie macht recht artige Stiche in meinem Tapetengrund. Meine Wir- the säubern ihre Wohnung mir zu Lieb' alle Tage sehr ordentlich, und mein ge- kochtes Haberbrodt fängt an mir wohl zu bekommen. Die Bedürfnisse der Natur sind klein, meine Emilia; ich stehe satt von dem magern Tische auf, und meine Wirthe hören mich mit Erstaunen von den übrigen Theilen der Welt erzählen. Jch habe die Bildnisse meiner Aeltern noch; ich wieß sie den Leuten, und er- zählte ihnen von meiner Erziehung und ehemaligen Lebensart, was sie fassen konn- ten, und ihnen gut war. Ungekünstelte mitleidige Zähren träufelten aus ihren Augen, da ich von meinem genossenen Glücke sprach, und ihnen die Geduld er- klärte, die wirklich in meinem Herzen ist. Jch rede wenig von Jhnen, meine Liebe! Jch bin nicht stark genug, oft an Jhren Verlust zu denken, an Jhren Kummer um mich zu denken. Könnte ich durch mein Leiden nur Jhres, um mich, und meiner
güti-
Die kleine Lidy hab’ ich auch naͤhen ge- lernt, und ſie macht recht artige Stiche in meinem Tapetengrund. Meine Wir- the ſaͤubern ihre Wohnung mir zu Lieb’ alle Tage ſehr ordentlich, und mein ge- kochtes Haberbrodt faͤngt an mir wohl zu bekommen. Die Beduͤrfniſſe der Natur ſind klein, meine Emilia; ich ſtehe ſatt von dem magern Tiſche auf, und meine Wirthe hoͤren mich mit Erſtaunen von den uͤbrigen Theilen der Welt erzaͤhlen. Jch habe die Bildniſſe meiner Aeltern noch; ich wieß ſie den Leuten, und er- zaͤhlte ihnen von meiner Erziehung und ehemaligen Lebensart, was ſie faſſen konn- ten, und ihnen gut war. Ungekuͤnſtelte mitleidige Zaͤhren traͤufelten aus ihren Augen, da ich von meinem genoſſenen Gluͤcke ſprach, und ihnen die Geduld er- klaͤrte, die wirklich in meinem Herzen iſt. Jch rede wenig von Jhnen, meine Liebe! Jch bin nicht ſtark genug, oft an Jhren Verluſt zu denken, an Jhren Kummer um mich zu denken. Koͤnnte ich durch mein Leiden nur Jhres, um mich, und meiner
guͤti-
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Die kleine Lidy hab’ ich auch naͤhen ge-
lernt, und ſie macht recht artige Stiche
in meinem Tapetengrund. Meine Wir-
the ſaͤubern ihre Wohnung mir zu Lieb’
alle Tage ſehr ordentlich, und mein ge-
kochtes Haberbrodt faͤngt an mir wohl zu
bekommen. Die Beduͤrfniſſe der Natur
ſind klein, meine Emilia; ich ſtehe ſatt
von dem magern Tiſche auf, und meine
Wirthe hoͤren mich mit Erſtaunen von
den uͤbrigen Theilen der Welt erzaͤhlen.
Jch habe die Bildniſſe meiner Aeltern
noch; ich wieß ſie den Leuten, und er-
zaͤhlte ihnen von meiner Erziehung und
ehemaligen Lebensart, was ſie faſſen konn-
ten, und ihnen gut war. Ungekuͤnſtelte
mitleidige Zaͤhren traͤufelten aus ihren
Augen, da ich von meinem genoſſenen
Gluͤcke ſprach, und ihnen die Geduld er-
klaͤrte, die wirklich in meinem Herzen iſt.
Jch rede wenig von Jhnen, meine Liebe!
Jch bin nicht ſtark genug, oft an Jhren
Verluſt zu denken, an Jhren Kummer um
mich zu denken. Koͤnnte ich durch mein
Leiden nur Jhres, um mich, und meiner
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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