Wirthen zu geben. Den Augenblick als ich aufstund, der Lady eine Bitte wegen der guten Waise zu machen, kroch die arme kleine Lidy auf ihren Knien herein, und bat mit Schluchzen und aufgehobenen Händchen, ich sollte sie doch mitnehmen; innig gerührt sah ich sie und die Lady an, welche nach einem Augenblick Nachden- ken, dem Mädchen die Hand bot, und mit mitleidiger Stimme sagte: "Ja, meine kleine, du sollst auch mit kommen." Gott segne Sie, theure Lady, sagte ich, für ihre großmüthige Menschenliebe; ich wollte Sie um Erlaubniß bitten, dieses unschuldige Opfer auch zu retten. "Ger- ne, antwortete sie, sehr gerne, es erfreut mich, daß Sie so zärtlich für sie sorgen." Jch umarmte meine weinende Wirthe mit Thränen, sah noch seufzend mich in der traurigen Gegend um, und reiste mit der Lady ab. Graf Hopton empfieng mich mit vieler Höflichkeit; aber seine Blicke durchspürten zugleich meine ganze Person mit einem Ausdruck, als ob er abwägen wollte, ob ich mehr die Nach-
stellun-
Wirthen zu geben. Den Augenblick als ich aufſtund, der Lady eine Bitte wegen der guten Waiſe zu machen, kroch die arme kleine Lidy auf ihren Knien herein, und bat mit Schluchzen und aufgehobenen Haͤndchen, ich ſollte ſie doch mitnehmen; innig geruͤhrt ſah ich ſie und die Lady an, welche nach einem Augenblick Nachden- ken, dem Maͤdchen die Hand bot, und mit mitleidiger Stimme ſagte: „Ja, meine kleine, du ſollſt auch mit kommen.“ Gott ſegne Sie, theure Lady, ſagte ich, fuͤr ihre großmuͤthige Menſchenliebe; ich wollte Sie um Erlaubniß bitten, dieſes unſchuldige Opfer auch zu retten. „Ger- ne, antwortete ſie, ſehr gerne, es erfreut mich, daß Sie ſo zaͤrtlich fuͤr ſie ſorgen.“ Jch umarmte meine weinende Wirthe mit Thraͤnen, ſah noch ſeufzend mich in der traurigen Gegend um, und reiſte mit der Lady ab. Graf Hopton empfieng mich mit vieler Hoͤflichkeit; aber ſeine Blicke durchſpuͤrten zugleich meine ganze Perſon mit einem Ausdruck, als ob er abwaͤgen wollte, ob ich mehr die Nach-
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Wirthen zu geben. Den Augenblick als ich
aufſtund, der Lady eine Bitte wegen der
guten Waiſe zu machen, kroch die arme
kleine Lidy auf ihren Knien herein, und
bat mit Schluchzen und aufgehobenen
Haͤndchen, ich ſollte ſie doch mitnehmen;
innig geruͤhrt ſah ich ſie und die Lady an,
welche nach einem Augenblick Nachden-
ken, dem Maͤdchen die Hand bot, und
mit mitleidiger Stimme ſagte: „Ja,
meine kleine, du ſollſt auch mit kommen.“
Gott ſegne Sie, theure Lady, ſagte ich,
fuͤr ihre großmuͤthige Menſchenliebe; ich
wollte Sie um Erlaubniß bitten, dieſes
unſchuldige Opfer auch zu retten. „Ger-
ne, antwortete ſie, ſehr gerne, es erfreut
mich, daß Sie ſo zaͤrtlich fuͤr ſie ſorgen.“
Jch umarmte meine weinende Wirthe mit
Thraͤnen, ſah noch ſeufzend mich in der
traurigen Gegend um, und reiſte mit
der Lady ab. Graf Hopton empfieng
mich mit vieler Hoͤflichkeit; aber ſeine
Blicke durchſpuͤrten zugleich meine ganze
Perſon mit einem Ausdruck, als ob er
abwaͤgen wollte, ob ich mehr die Nach-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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