du alle seine Bewegungen von Jugend auf kanntest, dir kann ich, dir will ich es nicht verbergen, daß eine innerliche Stim- me mich meine Vermählung mit Lord Seymour als ein von dem Schicksal gege- benes Mittel ergreifen heißt, um meiner unstätten Wanderschaft ein Ende zu ma- chen. Und war er nicht der Mann, den mein Herz sich wünschte? Er weis es, soll ich nun zurücke? Lord Rich, fürchte ich, würde an seinen Platz eintreten wollen. Seymour zeigte mir viele Tage die heftig- ste zärtlichste Liebe. Lord Rich hatte lange Unterredungen mit ihm, war aber kalt, ruhig, sah oft tiefdenkend lange mich an, und brachte mich dadurch zu dem Ent- schluß unverheurathet zu bleiben. Aber zwey Tage nach Seymours Briefe brachte er mir ein Tagebuch und die noch dabey gelegenen letzten Briefe aus Summerhall in mein Zimmer; und mit einer rühren- den vielbedeutenden Mine trat er zu mir, küßte die Blätter meines Tagebuchs, drückte sie an seine Brust, und bat mich um Vergebung, eine Abschrift davon ge- nommen zu haben, welche er aber mit der
Urschrift
du alle ſeine Bewegungen von Jugend auf kannteſt, dir kann ich, dir will ich es nicht verbergen, daß eine innerliche Stim- me mich meine Vermaͤhlung mit Lord Seymour als ein von dem Schickſal gege- benes Mittel ergreifen heißt, um meiner unſtaͤtten Wanderſchaft ein Ende zu ma- chen. Und war er nicht der Mann, den mein Herz ſich wuͤnſchte? Er weis es, ſoll ich nun zuruͤcke? Lord Rich, fuͤrchte ich, wuͤrde an ſeinen Platz eintreten wollen. Seymour zeigte mir viele Tage die heftig- ſte zaͤrtlichſte Liebe. Lord Rich hatte lange Unterredungen mit ihm, war aber kalt, ruhig, ſah oft tiefdenkend lange mich an, und brachte mich dadurch zu dem Ent- ſchluß unverheurathet zu bleiben. Aber zwey Tage nach Seymours Briefe brachte er mir ein Tagebuch und die noch dabey gelegenen letzten Briefe aus Summerhall in mein Zimmer; und mit einer ruͤhren- den vielbedeutenden Mine trat er zu mir, kuͤßte die Blaͤtter meines Tagebuchs, druͤckte ſie an ſeine Bruſt, und bat mich um Vergebung, eine Abſchrift davon ge- nommen zu haben, welche er aber mit der
Urſchrift
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du alle ſeine Bewegungen von Jugend auf
kannteſt, dir kann ich, dir will ich es
nicht verbergen, daß eine innerliche Stim-
me mich meine Vermaͤhlung mit Lord
Seymour als ein von dem Schickſal gege-
benes Mittel ergreifen heißt, um meiner
unſtaͤtten Wanderſchaft ein Ende zu ma-
chen. Und war er nicht der Mann, den
mein Herz ſich wuͤnſchte? Er weis es, ſoll
ich nun zuruͤcke? Lord Rich, fuͤrchte ich,
wuͤrde an ſeinen Platz eintreten wollen.
Seymour zeigte mir viele Tage die heftig-
ſte zaͤrtlichſte Liebe. Lord Rich hatte lange
Unterredungen mit ihm, war aber kalt,
ruhig, ſah oft tiefdenkend lange mich an,
und brachte mich dadurch zu dem Ent-
ſchluß unverheurathet zu bleiben. Aber
zwey Tage nach Seymours Briefe brachte
er mir ein Tagebuch und die noch dabey
gelegenen letzten Briefe aus Summerhall
in mein Zimmer; und mit einer ruͤhren-
den vielbedeutenden Mine trat er zu mir,
kuͤßte die Blaͤtter meines Tagebuchs,
druͤckte ſie an ſeine Bruſt, und bat mich
um Vergebung, eine Abſchrift davon ge-
nommen zu haben, welche er aber mit der
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/291>, abgerufen am 22.11.2024.
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