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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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Nein, meine Herren! Durchaus nicht! Und in den vierzig
Jahren, die seit Ricardo verflossen sind, ist dies in der Wissenschaft
zur allgemeinen Anerkennung gekommen. Ja sogar die Smith'sche
und Ricardo'sche Schule selbst hat trotz der Zähigkeit, mit wel-
cher die Engländer an der Autorität ihrer großen Lehrer festzu-
halten lieben, diesen Jrrthum eingestehen und aufgeben müssen.

Jch werde Jhnen einen dreifachen Beweis hiefür führen:

1) den äußeren Beweis durch die neuesten, jetzt lebenden
Autoritäten der Wissenschaft.
2) den inneren Beweis durch die Gründe, welche den Jrr-
thum jener Behauptung aufzeigen.
3) den statistischen Beweis, welcher die Richtigkeit dieser
Gründe bestätigt.

Zuerst also den Autoritäten beweis.

Nehmen wir das Lehrbuch der Politischen Oekonomie von
Geh. Rath Professor Carl Rau in Heidelberg, dritte Auflage,
1851, zur Hand. Es ist nicht der Zweck des Rau'schen Com-
pendiums, eigene dissentirende Ansichten aufzustellen, und es
liegt dies ohnehin nicht in der Natur seines Verfassers. Pro-
fessor Rau bezweckt in seinem Compendium nur, die zur Zeit
herrschenden Meinungen in der Wissenschaft zusammenzu-
stellen. Professor Rau sagt nun über den fraglichen Punkt
Bd. III, 2. Abth. §. 421:

"Eine Steuer auf die nöthigen Lebensmittel, als Kar-
toffeln, Brotgetreide, Brennholz, Leinwand u. dgl. ist sehr
einträglich und wirkt ungefähr wie eine Kopfsteuer, weil
der Beitrag eines Jeden hauptsächlich von der Zahl seiner
Hausgenossen bestimmt wird, aber eben darum verletzt sie
den Grundsatz, daß die Steuerfähigkeit den Maßstab der
Belegung bilden solle. Man hat solche Steuern in der Hoff-
nung in Schutz genommen, daß sie auf die Lohnherren über-
gewälzt werden, weil der Lohn zu jeder Zeit den nöthigen
Unterhalt vergüten müsse. Allein diese Ueberwälzung ist
nicht mit Sicherheit zu erwarten. Der Lohn entspricht nur
dem mittleren Bedarfe, und die Vertheuerung der Lebens-
mittel wird wenigstens dem Vater einer zahlreichen Familie
nicht vergütet. Der Lohn zeigt überhaupt eine geringere
Beweglichkeit als die Preise der Waaren. Obgleich für ihn
der Preis der Lebensmittel immer einen Anhaltspunkt giebt,
so übt doch das Verhältniß des Angebots zu dem Begehr von

Nein, meine Herren! Durchaus nicht! Und in den vierzig
Jahren, die ſeit Ricardo verfloſſen ſind, iſt dies in der Wiſſenſchaft
zur allgemeinen Anerkennung gekommen. Ja ſogar die Smith’ſche
und Ricardo’ſche Schule ſelbſt hat trotz der Zähigkeit, mit wel-
cher die Engländer an der Autorität ihrer großen Lehrer feſtzu-
halten lieben, dieſen Jrrthum eingeſtehen und aufgeben müſſen.

Jch werde Jhnen einen dreifachen Beweis hiefür führen:

1) den äußeren Beweis durch die neueſten, jetzt lebenden
Autoritäten der Wiſſenſchaft.
2) den inneren Beweis durch die Gründe, welche den Jrr-
thum jener Behauptung aufzeigen.
3) den ſtatiſtiſchen Beweis, welcher die Richtigkeit dieſer
Gründe beſtätigt.

Zuerſt alſo den Autoritäten beweis.

Nehmen wir das Lehrbuch der Politiſchen Oekonomie von
Geh. Rath Profeſſor Carl Rau in Heidelberg, dritte Auflage,
1851, zur Hand. Es iſt nicht der Zweck des Rau’ſchen Com-
pendiums, eigene diſſentirende Anſichten aufzuſtellen, und es
liegt dies ohnehin nicht in der Natur ſeines Verfaſſers. Pro-
feſſor Rau bezweckt in ſeinem Compendium nur, die zur Zeit
herrſchenden Meinungen in der Wiſſenſchaft zuſammenzu-
ſtellen. Profeſſor Rau ſagt nun über den fraglichen Punkt
Bd. III, 2. Abth. §. 421:

„Eine Steuer auf die nöthigen Lebensmittel, als Kar-
toffeln, Brotgetreide, Brennholz, Leinwand u. dgl. iſt ſehr
einträglich und wirkt ungefähr wie eine Kopfſteuer, weil
der Beitrag eines Jeden hauptſächlich von der Zahl ſeiner
Hausgenoſſen beſtimmt wird, aber eben darum verletzt ſie
den Grundſatz, daß die Steuerfähigkeit den Maßſtab der
Belegung bilden ſolle. Man hat ſolche Steuern in der Hoff-
nung in Schutz genommen, daß ſie auf die Lohnherren über-
gewälzt werden, weil der Lohn zu jeder Zeit den nöthigen
Unterhalt vergüten müſſe. Allein dieſe Ueberwälzung iſt
nicht mit Sicherheit zu erwarten. Der Lohn entſpricht nur
dem mittleren Bedarfe, und die Vertheuerung der Lebens-
mittel wird wenigſtens dem Vater einer zahlreichen Familie
nicht vergütet. Der Lohn zeigt überhaupt eine geringere
Beweglichkeit als die Preiſe der Waaren. Obgleich für ihn
der Preis der Lebensmittel immer einen Anhaltspunkt giebt,
ſo übt doch das Verhältniß des Angebots zu dem Begehr von
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[38/0044] Nein, meine Herren! Durchaus nicht! Und in den vierzig Jahren, die ſeit Ricardo verfloſſen ſind, iſt dies in der Wiſſenſchaft zur allgemeinen Anerkennung gekommen. Ja ſogar die Smith’ſche und Ricardo’ſche Schule ſelbſt hat trotz der Zähigkeit, mit wel- cher die Engländer an der Autorität ihrer großen Lehrer feſtzu- halten lieben, dieſen Jrrthum eingeſtehen und aufgeben müſſen. Jch werde Jhnen einen dreifachen Beweis hiefür führen: 1) den äußeren Beweis durch die neueſten, jetzt lebenden Autoritäten der Wiſſenſchaft. 2) den inneren Beweis durch die Gründe, welche den Jrr- thum jener Behauptung aufzeigen. 3) den ſtatiſtiſchen Beweis, welcher die Richtigkeit dieſer Gründe beſtätigt. Zuerſt alſo den Autoritäten beweis. Nehmen wir das Lehrbuch der Politiſchen Oekonomie von Geh. Rath Profeſſor Carl Rau in Heidelberg, dritte Auflage, 1851, zur Hand. Es iſt nicht der Zweck des Rau’ſchen Com- pendiums, eigene diſſentirende Anſichten aufzuſtellen, und es liegt dies ohnehin nicht in der Natur ſeines Verfaſſers. Pro- feſſor Rau bezweckt in ſeinem Compendium nur, die zur Zeit herrſchenden Meinungen in der Wiſſenſchaft zuſammenzu- ſtellen. Profeſſor Rau ſagt nun über den fraglichen Punkt Bd. III, 2. Abth. §. 421: „Eine Steuer auf die nöthigen Lebensmittel, als Kar- toffeln, Brotgetreide, Brennholz, Leinwand u. dgl. iſt ſehr einträglich und wirkt ungefähr wie eine Kopfſteuer, weil der Beitrag eines Jeden hauptſächlich von der Zahl ſeiner Hausgenoſſen beſtimmt wird, aber eben darum verletzt ſie den Grundſatz, daß die Steuerfähigkeit den Maßſtab der Belegung bilden ſolle. Man hat ſolche Steuern in der Hoff- nung in Schutz genommen, daß ſie auf die Lohnherren über- gewälzt werden, weil der Lohn zu jeder Zeit den nöthigen Unterhalt vergüten müſſe. Allein dieſe Ueberwälzung iſt nicht mit Sicherheit zu erwarten. Der Lohn entſpricht nur dem mittleren Bedarfe, und die Vertheuerung der Lebens- mittel wird wenigſtens dem Vater einer zahlreichen Familie nicht vergütet. Der Lohn zeigt überhaupt eine geringere Beweglichkeit als die Preiſe der Waaren. Obgleich für ihn der Preis der Lebensmittel immer einen Anhaltspunkt giebt, ſo übt doch das Verhältniß des Angebots zu dem Begehr von

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/44>, abgerufen am 21.11.2024.