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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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Arbeit einen mächtigen Einfluß auf die Lage der Lohnarbeiter.
So lange der Lohn noch oberhalb der durch den unab-
weislichen Lebensbedarf
bestimmten Gränze steht,
kann er bei ungünstigem Mitwerben erniedrigt werden, und
die Vertheuerung der Lebensmittel vermag ihn nicht sogleich
zu erhöhen. Jst das Kapital des Volkes nicht stärker im
Zunehmen, als die Volksmenge, so bleiben die erwähnten
Steuern ganz oder zum Theile auf den Arbeitern liegen, bis
etwa später eine Verzögerung in der Volksver-
mehrung
einen höheren Lohnsatz bewirkt. Jn diesem
Falle sind also die Steuern der genannten Art sehr nach-
theilig."

Sie sehen also, daß Professor Rau vollständig bestätigt,
was ich sage. Er constatirt außerdem beiläufig, daß die Ge-
treidesteuern wie Kopfsteuern wirken, d. h. daß Jeder, ob reich,
ob arm, denselben absoluten Beitrag zu ihnen zahle, was viel
stärker und härter ist, als die Behauptungen meines Vortrags,
die nur dahin gingen, daß sie nicht verhältnißmäßig seien.

Oder nehmen Sie das System der Volkswirthschaft von
dem Leipziger Professor der Staatswirthschaftslehre Dr. Roscher,
dritte Auflage, 1858. Professor Roscher sagt daselbst Bd. I.
§. 164:

"Wie das Wohlfeilerwerden der Lebensmittel, wenn
sich der Bedürfnißkreis des Arbeiterstandes nicht entsprechend
vergrößert, ein Sinken des Lohnes zur Folge hat, so muß das
Theurerwerden derselben, wenn der Lohn bereits so niedrig
stand, um nur die unentbehrlichen Bedürfnisse zu befriedigen,
ein Steigen des Lohnes nach sich ziehen. Der Uebergang ist
im ersten Falle ein eben so behaglicher, wie im zweiten voll der
traurigsten Krisen. Je langsamer die Preiserhöhung der Lebens-
mittel vor sich geht, um so eher ist zu fürchten, daß ihr
die Arbeiter nicht etwa durch Auswanderung, verminderte Ehen-
zahl etc., sondern durch Erniedrigung ihres Bedürfniß-
maßes,
Einführung schlechterer Nahrungsstoffe etc.
zu begegnen suchen. Uebrigens gilt dies Alles nur von
dauernden Veränderungen des Lebensmittelpreises, wie sie z. B.
durch die Entwicklung des Ackerbaues, durch Steuern etc.
hervorgebracht werden."

Die Lehrbücher von Professor Rau und von Professor
Roscher sind bei weitem die angesehensten von den heute bei
uns existirenden Compendien. Beide Männer kann ich, nach

Arbeit einen mächtigen Einfluß auf die Lage der Lohnarbeiter.
So lange der Lohn noch oberhalb der durch den unab-
weislichen Lebensbedarf
beſtimmten Gränze ſteht,
kann er bei ungünſtigem Mitwerben erniedrigt werden, und
die Vertheuerung der Lebensmittel vermag ihn nicht ſogleich
zu erhöhen. Jſt das Kapital des Volkes nicht ſtärker im
Zunehmen, als die Volksmenge, ſo bleiben die erwähnten
Steuern ganz oder zum Theile auf den Arbeitern liegen, bis
etwa ſpäter eine Verzögerung in der Volksver-
mehrung
einen höheren Lohnſatz bewirkt. Jn dieſem
Falle ſind alſo die Steuern der genannten Art ſehr nach-
theilig.“

Sie ſehen alſo, daß Profeſſor Rau vollſtändig beſtätigt,
was ich ſage. Er conſtatirt außerdem beiläufig, daß die Ge-
treideſteuern wie Kopfſteuern wirken, d. h. daß Jeder, ob reich,
ob arm, denſelben abſoluten Beitrag zu ihnen zahle, was viel
ſtärker und härter iſt, als die Behauptungen meines Vortrags,
die nur dahin gingen, daß ſie nicht verhältnißmäßig ſeien.

Oder nehmen Sie das Syſtem der Volkswirthſchaft von
dem Leipziger Profeſſor der Staatswirthſchaftslehre Dr. Roſcher,
dritte Auflage, 1858. Profeſſor Roſcher ſagt daſelbſt Bd. I.
§. 164:

„Wie das Wohlfeilerwerden der Lebensmittel, wenn
ſich der Bedürfnißkreis des Arbeiterſtandes nicht entſprechend
vergrößert, ein Sinken des Lohnes zur Folge hat, ſo muß das
Theurerwerden derſelben, wenn der Lohn bereits ſo niedrig
ſtand, um nur die unentbehrlichen Bedürfniſſe zu befriedigen,
ein Steigen des Lohnes nach ſich ziehen. Der Uebergang iſt
im erſten Falle ein eben ſo behaglicher, wie im zweiten voll der
traurigſten Kriſen. Je langſamer die Preiserhöhung der Lebens-
mittel vor ſich geht, um ſo eher iſt zu fürchten, daß ihr
die Arbeiter nicht etwa durch Auswanderung, verminderte Ehen-
zahl ꝛc., ſondern durch Erniedrigung ihres Bedürfniß-
maßes,
Einführung ſchlechterer Nahrungsſtoffe ꝛc.
zu begegnen ſuchen. Uebrigens gilt dies Alles nur von
dauernden Veränderungen des Lebensmittelpreiſes, wie ſie z. B.
durch die Entwicklung des Ackerbaues, durch Steuern ꝛc.
hervorgebracht werden.“

Die Lehrbücher von Profeſſor Rau und von Profeſſor
Roſcher ſind bei weitem die angeſehenſten von den heute bei
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[39/0045] Arbeit einen mächtigen Einfluß auf die Lage der Lohnarbeiter. So lange der Lohn noch oberhalb der durch den unab- weislichen Lebensbedarf beſtimmten Gränze ſteht, kann er bei ungünſtigem Mitwerben erniedrigt werden, und die Vertheuerung der Lebensmittel vermag ihn nicht ſogleich zu erhöhen. Jſt das Kapital des Volkes nicht ſtärker im Zunehmen, als die Volksmenge, ſo bleiben die erwähnten Steuern ganz oder zum Theile auf den Arbeitern liegen, bis etwa ſpäter eine Verzögerung in der Volksver- mehrung einen höheren Lohnſatz bewirkt. Jn dieſem Falle ſind alſo die Steuern der genannten Art ſehr nach- theilig.“ Sie ſehen alſo, daß Profeſſor Rau vollſtändig beſtätigt, was ich ſage. Er conſtatirt außerdem beiläufig, daß die Ge- treideſteuern wie Kopfſteuern wirken, d. h. daß Jeder, ob reich, ob arm, denſelben abſoluten Beitrag zu ihnen zahle, was viel ſtärker und härter iſt, als die Behauptungen meines Vortrags, die nur dahin gingen, daß ſie nicht verhältnißmäßig ſeien. Oder nehmen Sie das Syſtem der Volkswirthſchaft von dem Leipziger Profeſſor der Staatswirthſchaftslehre Dr. Roſcher, dritte Auflage, 1858. Profeſſor Roſcher ſagt daſelbſt Bd. I. §. 164: „Wie das Wohlfeilerwerden der Lebensmittel, wenn ſich der Bedürfnißkreis des Arbeiterſtandes nicht entſprechend vergrößert, ein Sinken des Lohnes zur Folge hat, ſo muß das Theurerwerden derſelben, wenn der Lohn bereits ſo niedrig ſtand, um nur die unentbehrlichen Bedürfniſſe zu befriedigen, ein Steigen des Lohnes nach ſich ziehen. Der Uebergang iſt im erſten Falle ein eben ſo behaglicher, wie im zweiten voll der traurigſten Kriſen. Je langſamer die Preiserhöhung der Lebens- mittel vor ſich geht, um ſo eher iſt zu fürchten, daß ihr die Arbeiter nicht etwa durch Auswanderung, verminderte Ehen- zahl ꝛc., ſondern durch Erniedrigung ihres Bedürfniß- maßes, Einführung ſchlechterer Nahrungsſtoffe ꝛc. zu begegnen ſuchen. Uebrigens gilt dies Alles nur von dauernden Veränderungen des Lebensmittelpreiſes, wie ſie z. B. durch die Entwicklung des Ackerbaues, durch Steuern ꝛc. hervorgebracht werden.“ Die Lehrbücher von Profeſſor Rau und von Profeſſor Roſcher ſind bei weitem die angeſehenſten von den heute bei uns exiſtirenden Compendien. Beide Männer kann ich, nach

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/45>, abgerufen am 27.04.2024.