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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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Worten, die ich verlesen. Jch werde jetzt den Beweis einfügen,
daß dies auch die englischen Oekonomen selbst, und zwar die
heutigen Chefs der Smith'schen und Ricardo'schen Schule aner-
kannt und den Jrrthum ihrer Meister, wenn auch ungern und
widerwillig genug, eingestanden haben.

Hören wir zunächst den glänzendsten jetzt lebenden Reprä-
sentanten der Ricardo'schen Schule in England, John Stuart
Mill. Er sagt in seinen Grundsätzen der Politischen Oekonomie
-- ich citire nach der deutschen Ausgabe von Soetbeer -- Bd. II,
p.
305:

"Wenn z. B. eine Steuer auf Getreide gelegt wird
und der Preis um den Betrag der Steuer steigt, so kann dieses
Steigen der Getreidepreise eine zweifache Folge haben. Erstlich
kann es die Lage der arbeitenden Klassen ver-
schlechtern;
und für eine Zeit lang wird dieß gar nicht
ausbleiben.
Vermindert sich dadurch die Consumtion der Boden-
erzeugnisse, oder richtet sie sich auf Nahrungsmittel, welche der
Boden reichlicher und daher wohlfeiler hervorbringt, so trägt
dieß bei, die Landwirthschaft auf fruchtbarere Ländereien oder
wohlfeilere Bewirthschaftung zu beschränken, und den Werth
und Preis von Getreide hinabzudrücken; dieses wird sich dem-
nach schließlich auf einen Preis stellen, der nicht um den
ganzen
Betrag der Steuer, sondern nur um einen Theil
davon höher sein wird.
"

John Stuart Mill setzt also hier voraus, daß -- wovon
wir im dritten Grunde sehen werden, daß es keineswegs der
Fall ist -- sich die Getreidekonsumtion in Folge der Steuer ver-
mindern werde. Aber selbst noch in diesem Falle wird nach
ihm das Getreide, zwar nicht um den ganzen Betrag der Steuer,
aber doch um einen Theil derselben theurer bleiben und um
diesen Theil dauernd auf den Arbeiterstand drücken. Er er-
klärt daher auch ausdrücklich Bd. II, p. 340: "Auch sind alle
Abgaben von nothwendigen Lebensbedürfnissen,
sowie von den Rohstoffen und Werkzeugen, die zur Hervor-
bringung dieser Bedürfnisse nothwendig sind, auszuschließen;
denn solche Abgaben thun leicht demjenigen Ab-
bruch, was unbesteuert bleiben sollte, nämlich
dem zu einer gesunden Existenz eben ausreichen-
den Einkommen.
" Und in einer andern Stelle Bd. II,
p.
293 gesteht er die Wahrheit in einer hypothetischen Form
ein:

"Jn einem alten Lande Tagelöhner besteuern wollen, heißt

Worten, die ich verleſen. Jch werde jetzt den Beweis einfügen,
daß dies auch die engliſchen Oekonomen ſelbſt, und zwar die
heutigen Chefs der Smith’ſchen und Ricardo’ſchen Schule aner-
kannt und den Jrrthum ihrer Meiſter, wenn auch ungern und
widerwillig genug, eingeſtanden haben.

Hören wir zunächſt den glänzendſten jetzt lebenden Reprä-
ſentanten der Ricardo’ſchen Schule in England, John Stuart
Mill. Er ſagt in ſeinen Grundſätzen der Politiſchen Oekonomie
— ich citire nach der deutſchen Ausgabe von Soetbeer — Bd. II,
p.
305:

„Wenn z. B. eine Steuer auf Getreide gelegt wird
und der Preis um den Betrag der Steuer ſteigt, ſo kann dieſes
Steigen der Getreidepreiſe eine zweifache Folge haben. Erſtlich
kann es die Lage der arbeitenden Klaſſen ver-
ſchlechtern;
und für eine Zeit lang wird dieß gar nicht
ausbleiben.
Vermindert ſich dadurch die Conſumtion der Boden-
erzeugniſſe, oder richtet ſie ſich auf Nahrungsmittel, welche der
Boden reichlicher und daher wohlfeiler hervorbringt, ſo trägt
dieß bei, die Landwirthſchaft auf fruchtbarere Ländereien oder
wohlfeilere Bewirthſchaftung zu beſchränken, und den Werth
und Preis von Getreide hinabzudrücken; dieſes wird ſich dem-
nach ſchließlich auf einen Preis ſtellen, der nicht um den
ganzen
Betrag der Steuer, ſondern nur um einen Theil
davon höher ſein wird.

John Stuart Mill ſetzt alſo hier voraus, daß — wovon
wir im dritten Grunde ſehen werden, daß es keineswegs der
Fall iſt — ſich die Getreidekonſumtion in Folge der Steuer ver-
mindern werde. Aber ſelbſt noch in dieſem Falle wird nach
ihm das Getreide, zwar nicht um den ganzen Betrag der Steuer,
aber doch um einen Theil derſelben theurer bleiben und um
dieſen Theil dauernd auf den Arbeiterſtand drücken. Er er-
klärt daher auch ausdrücklich Bd. II, p. 340: „Auch ſind alle
Abgaben von nothwendigen Lebensbedürfniſſen,
ſowie von den Rohſtoffen und Werkzeugen, die zur Hervor-
bringung dieſer Bedürfniſſe nothwendig ſind, auszuſchließen;
denn ſolche Abgaben thun leicht demjenigen Ab-
bruch, was unbeſteuert bleiben ſollte, nämlich
dem zu einer geſunden Exiſtenz eben ausreichen-
den Einkommen.
“ Und in einer andern Stelle Bd. II,
p.
293 geſteht er die Wahrheit in einer hypothetiſchen Form
ein:

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[43/0049] Worten, die ich verleſen. Jch werde jetzt den Beweis einfügen, daß dies auch die engliſchen Oekonomen ſelbſt, und zwar die heutigen Chefs der Smith’ſchen und Ricardo’ſchen Schule aner- kannt und den Jrrthum ihrer Meiſter, wenn auch ungern und widerwillig genug, eingeſtanden haben. Hören wir zunächſt den glänzendſten jetzt lebenden Reprä- ſentanten der Ricardo’ſchen Schule in England, John Stuart Mill. Er ſagt in ſeinen Grundſätzen der Politiſchen Oekonomie — ich citire nach der deutſchen Ausgabe von Soetbeer — Bd. II, p. 305: „Wenn z. B. eine Steuer auf Getreide gelegt wird und der Preis um den Betrag der Steuer ſteigt, ſo kann dieſes Steigen der Getreidepreiſe eine zweifache Folge haben. Erſtlich kann es die Lage der arbeitenden Klaſſen ver- ſchlechtern; und für eine Zeit lang wird dieß gar nicht ausbleiben. Vermindert ſich dadurch die Conſumtion der Boden- erzeugniſſe, oder richtet ſie ſich auf Nahrungsmittel, welche der Boden reichlicher und daher wohlfeiler hervorbringt, ſo trägt dieß bei, die Landwirthſchaft auf fruchtbarere Ländereien oder wohlfeilere Bewirthſchaftung zu beſchränken, und den Werth und Preis von Getreide hinabzudrücken; dieſes wird ſich dem- nach ſchließlich auf einen Preis ſtellen, der nicht um den ganzen Betrag der Steuer, ſondern nur um einen Theil davon höher ſein wird.“ John Stuart Mill ſetzt alſo hier voraus, daß — wovon wir im dritten Grunde ſehen werden, daß es keineswegs der Fall iſt — ſich die Getreidekonſumtion in Folge der Steuer ver- mindern werde. Aber ſelbſt noch in dieſem Falle wird nach ihm das Getreide, zwar nicht um den ganzen Betrag der Steuer, aber doch um einen Theil derſelben theurer bleiben und um dieſen Theil dauernd auf den Arbeiterſtand drücken. Er er- klärt daher auch ausdrücklich Bd. II, p. 340: „Auch ſind alle Abgaben von nothwendigen Lebensbedürfniſſen, ſowie von den Rohſtoffen und Werkzeugen, die zur Hervor- bringung dieſer Bedürfniſſe nothwendig ſind, auszuſchließen; denn ſolche Abgaben thun leicht demjenigen Ab- bruch, was unbeſteuert bleiben ſollte, nämlich dem zu einer geſunden Exiſtenz eben ausreichen- den Einkommen.“ Und in einer andern Stelle Bd. II, p. 293 geſteht er die Wahrheit in einer hypothetiſchen Form ein: „Jn einem alten Lande Tagelöhner beſteuern wollen, heißt

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/49>, abgerufen am 28.04.2024.