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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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G. Bruno: Einheit der absoluten Substanz.
ist eine Möglichkeit an sich denkbar, welche nicht zugleich
Wirklichkeit ist; denn wäre das Seinkönnende vor seiner Wirk-
lichkeit, so wäre es ja, bevor es wirklich wäre. Das passive
und das aktive Vermögen bedingen sich somit gegenseitig und
können nicht ohne einander sein.1 Aber dieses Zusammensein
von Potenz und Actus gilt nur von dem höchsten und allge-
meinsten Prinzip, dem Absoluten, nicht von den andern Din-
gen, welche nicht zugleich alles das sind, was sie sein können,
sondern immer nur einiges von dem überhaupt Möglichen.
Das Absolute jedoch ist zugleich wirklich alles das, was es
sein kann; es umfaßt in seiner unendlichen Einheit alles zu-
gleich, alle Gegensätze sind in ihm geeint. Diese absoluteste
Wirklichkeit, welche identisch ist mit dem absolutesten Ver-
mögen, -- das von dem Verstande nur auf dem Wege der
Negation begriffen werden kann, weil derselbe ja nicht an die
Unendlichkeit des Allseins hinanreicht,2 -- diese absolute Ein-
heit ist Gott selbst. In ihm ist Freiheit und Notwendigkeit,
Wille und That ein und dasselbe. Gottes Denken ist das
Werden der Dinge. Er ist durch sich selbst, er ist die allge-
meine Substanz, er ist in allem und so ist alles in ihm; was
in der Natur auseinander ist, das ist in ihm alles zugleich; er
ist Ursache, Prinzip und Eines.

Da nun Gott die allumfassende Substanz ist, so ist auch
alles der Substanz nach Eines; das Geistige und das Körper-
liche muß auf ein Wesen und eine Wurzel zurückgeführt
werden.

Dadurch erhält die Materie eine ganz andre Bedeutung
als bei Aristoteles; sie ist nicht das passive Substrat der
Welt, sondern da sie alles Mögliche auf einmal ist, so begreift
sie, absolut genommen, alle Formen und Dimensionen in sich.
Als bestimmte und endliche Materie freilich wird sie nur von
einigen Formen begriffen und existiert unter einigen derselben,
so z. B. unter der Form der räumlichen Ausdehnung. Aber
diese Formen, in denen die endliche Materie erscheint, nimmt
sie nicht äußerlich von einem andren an, sondern sie bringt
sie aus sich selbst hervor, wie aus ihrem Schoße heraufge-

1 De la causa etc. Dial. 3. Wagner I p. 260, 261. Lasson S. 88, 89.
2 A. a. O. Wagner I, 264. Lasson 93 f.

G. Bruno: Einheit der absoluten Substanz.
ist eine Möglichkeit an sich denkbar, welche nicht zugleich
Wirklichkeit ist; denn wäre das Seinkönnende vor seiner Wirk-
lichkeit, so wäre es ja, bevor es wirklich wäre. Das passive
und das aktive Vermögen bedingen sich somit gegenseitig und
können nicht ohne einander sein.1 Aber dieses Zusammensein
von Potenz und Actus gilt nur von dem höchsten und allge-
meinsten Prinzip, dem Absoluten, nicht von den andern Din-
gen, welche nicht zugleich alles das sind, was sie sein können,
sondern immer nur einiges von dem überhaupt Möglichen.
Das Absolute jedoch ist zugleich wirklich alles das, was es
sein kann; es umfaßt in seiner unendlichen Einheit alles zu-
gleich, alle Gegensätze sind in ihm geeint. Diese absoluteste
Wirklichkeit, welche identisch ist mit dem absolutesten Ver-
mögen, — das von dem Verstande nur auf dem Wege der
Negation begriffen werden kann, weil derselbe ja nicht an die
Unendlichkeit des Allseins hinanreicht,2 — diese absolute Ein-
heit ist Gott selbst. In ihm ist Freiheit und Notwendigkeit,
Wille und That ein und dasselbe. Gottes Denken ist das
Werden der Dinge. Er ist durch sich selbst, er ist die allge-
meine Substanz, er ist in allem und so ist alles in ihm; was
in der Natur auseinander ist, das ist in ihm alles zugleich; er
ist Ursache, Prinzip und Eines.

Da nun Gott die allumfassende Substanz ist, so ist auch
alles der Substanz nach Eines; das Geistige und das Körper-
liche muß auf ein Wesen und eine Wurzel zurückgeführt
werden.

Dadurch erhält die Materie eine ganz andre Bedeutung
als bei Aristoteles; sie ist nicht das passive Substrat der
Welt, sondern da sie alles Mögliche auf einmal ist, so begreift
sie, absolut genommen, alle Formen und Dimensionen in sich.
Als bestimmte und endliche Materie freilich wird sie nur von
einigen Formen begriffen und existiert unter einigen derselben,
so z. B. unter der Form der räumlichen Ausdehnung. Aber
diese Formen, in denen die endliche Materie erscheint, nimmt
sie nicht äußerlich von einem andren an, sondern sie bringt
sie aus sich selbst hervor, wie aus ihrem Schoße heraufge-

1 De la causa etc. Dial. 3. Wagner I p. 260, 261. Lasson S. 88, 89.
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[361/0379] G. Bruno: Einheit der absoluten Substanz. ist eine Möglichkeit an sich denkbar, welche nicht zugleich Wirklichkeit ist; denn wäre das Seinkönnende vor seiner Wirk- lichkeit, so wäre es ja, bevor es wirklich wäre. Das passive und das aktive Vermögen bedingen sich somit gegenseitig und können nicht ohne einander sein. 1 Aber dieses Zusammensein von Potenz und Actus gilt nur von dem höchsten und allge- meinsten Prinzip, dem Absoluten, nicht von den andern Din- gen, welche nicht zugleich alles das sind, was sie sein können, sondern immer nur einiges von dem überhaupt Möglichen. Das Absolute jedoch ist zugleich wirklich alles das, was es sein kann; es umfaßt in seiner unendlichen Einheit alles zu- gleich, alle Gegensätze sind in ihm geeint. Diese absoluteste Wirklichkeit, welche identisch ist mit dem absolutesten Ver- mögen, — das von dem Verstande nur auf dem Wege der Negation begriffen werden kann, weil derselbe ja nicht an die Unendlichkeit des Allseins hinanreicht, 2 — diese absolute Ein- heit ist Gott selbst. In ihm ist Freiheit und Notwendigkeit, Wille und That ein und dasselbe. Gottes Denken ist das Werden der Dinge. Er ist durch sich selbst, er ist die allge- meine Substanz, er ist in allem und so ist alles in ihm; was in der Natur auseinander ist, das ist in ihm alles zugleich; er ist Ursache, Prinzip und Eines. Da nun Gott die allumfassende Substanz ist, so ist auch alles der Substanz nach Eines; das Geistige und das Körper- liche muß auf ein Wesen und eine Wurzel zurückgeführt werden. Dadurch erhält die Materie eine ganz andre Bedeutung als bei Aristoteles; sie ist nicht das passive Substrat der Welt, sondern da sie alles Mögliche auf einmal ist, so begreift sie, absolut genommen, alle Formen und Dimensionen in sich. Als bestimmte und endliche Materie freilich wird sie nur von einigen Formen begriffen und existiert unter einigen derselben, so z. B. unter der Form der räumlichen Ausdehnung. Aber diese Formen, in denen die endliche Materie erscheint, nimmt sie nicht äußerlich von einem andren an, sondern sie bringt sie aus sich selbst hervor, wie aus ihrem Schoße heraufge- 1 De la causa etc. Dial. 3. Wagner I p. 260, 261. Lasson S. 88, 89. 2 A. a. O. Wagner I, 264. Lasson 93 f.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/379>, abgerufen am 01.06.2024.