Auch die Frage nach der Scheidung und Veränderung (se- paratio et alteratio) der Körper hat hier ihren Ursprung. Es ist ein allgemein verbreiteter und nicht zum wenigsten durch die Alchymisten bestärkter Irrtum, Wirkungen der Scheidung zuzuschreiben, welche andre Ursachen haben. So könnte man z. B. glauben, daß bei der Verdampfung des Wassers eine ähn- liche Scheidung desselben in einen dichteren und einen dünne- ren Teil stattfinde, wie bei der Verwandlung des Holzes in Flamme und Rauch einerseits, in Asche andrerseits; denn ob- wohl das Wasser ganz und gar zur Verdampfung gebracht werden kann, so könnte ja doch ein Rückstand desselben -- der Asche vergleichbar -- am Gefäße haften. Aber diese Ausflucht ist eine Täuschung; thatsächlich ist es ganz sicher, daß die gesamte Wassermasse in Luft verwandelt werden kann, wie sich dies auch bei der Destillation des Quecksilbers zeigt, welches ohne Gewichtsverlust wiedergewonnen werden kann. Ähnliches gilt vom Öl und Talg. Hier scheint sich allerdings ein Weg zur Begründung der demokritischen Lehre von der ursprünglichen Verschiedenheit der Atome zu eröffnen, dessen man freilich nur bei Beobachtung der Natur bedarf; in der Spekulation macht sich die Sache viel bequemer, weil die ge- wöhnliche Philosophie sich ihre Materie so ausdenkt, daß sie keine Schwierigkeit dabei findet, sie jede beliebige Form an nehmen zu lassen.
In der Schrift Parmenidis et Telesii et praecipue Democriti philosophia tractata in fabula de Cupidine1 nimmt Bacon ferner Gelegenheit, Demokrit in den Augen der Zeitgenossen zu re- habilitieren. Er lobt ihn unter Anführung einiger Verse von Lukrez, weil er Atome ohne sinnliche Qualitäten angenommen habe. Die Atome sind weder den Funken des Feuers ähnlich, noch den Tropfen des Wassers, noch den Luftbläschen, noch den Körnchen des Staubes, noch den äußerst feinen Teilchen des Spiritus oder Äthers. Auch ist ihre Kraft und Form weder die des Leichten und Schweren, noch des Warmen oder Kalten, Dichten oder Dünnen, Harten oder Weichen; diese Eigen- schaften, wie sie in den größeren Körpern gefunden werden, sind vielmehr zusammengesetzter Art. Ebensowenig ist die
1 T. III p. 170.
Bacon: Cogitationes. Fabula de Cupidine.
Auch die Frage nach der Scheidung und Veränderung (se- paratio et alteratio) der Körper hat hier ihren Ursprung. Es ist ein allgemein verbreiteter und nicht zum wenigsten durch die Alchymisten bestärkter Irrtum, Wirkungen der Scheidung zuzuschreiben, welche andre Ursachen haben. So könnte man z. B. glauben, daß bei der Verdampfung des Wassers eine ähn- liche Scheidung desselben in einen dichteren und einen dünne- ren Teil stattfinde, wie bei der Verwandlung des Holzes in Flamme und Rauch einerseits, in Asche andrerseits; denn ob- wohl das Wasser ganz und gar zur Verdampfung gebracht werden kann, so könnte ja doch ein Rückstand desselben — der Asche vergleichbar — am Gefäße haften. Aber diese Ausflucht ist eine Täuschung; thatsächlich ist es ganz sicher, daß die gesamte Wassermasse in Luft verwandelt werden kann, wie sich dies auch bei der Destillation des Quecksilbers zeigt, welches ohne Gewichtsverlust wiedergewonnen werden kann. Ähnliches gilt vom Öl und Talg. Hier scheint sich allerdings ein Weg zur Begründung der demokritischen Lehre von der ursprünglichen Verschiedenheit der Atome zu eröffnen, dessen man freilich nur bei Beobachtung der Natur bedarf; in der Spekulation macht sich die Sache viel bequemer, weil die ge- wöhnliche Philosophie sich ihre Materie so ausdenkt, daß sie keine Schwierigkeit dabei findet, sie jede beliebige Form an nehmen zu lassen.
In der Schrift Parmenidis et Telesii et praecipue Democriti philosophia tractata in fabula de Cupidine1 nimmt Bacon ferner Gelegenheit, Demokrit in den Augen der Zeitgenossen zu re- habilitieren. Er lobt ihn unter Anführung einiger Verse von Lukrez, weil er Atome ohne sinnliche Qualitäten angenommen habe. Die Atome sind weder den Funken des Feuers ähnlich, noch den Tropfen des Wassers, noch den Luftbläschen, noch den Körnchen des Staubes, noch den äußerst feinen Teilchen des Spiritus oder Äthers. Auch ist ihre Kraft und Form weder die des Leichten und Schweren, noch des Warmen oder Kalten, Dichten oder Dünnen, Harten oder Weichen; diese Eigen- schaften, wie sie in den größeren Körpern gefunden werden, sind vielmehr zusammengesetzter Art. Ebensowenig ist die
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Bacon: Cogitationes. Fabula de Cupidine.
Auch die Frage nach der Scheidung und Veränderung (se-
paratio et alteratio) der Körper hat hier ihren Ursprung. Es
ist ein allgemein verbreiteter und nicht zum wenigsten durch
die Alchymisten bestärkter Irrtum, Wirkungen der Scheidung
zuzuschreiben, welche andre Ursachen haben. So könnte man
z. B. glauben, daß bei der Verdampfung des Wassers eine ähn-
liche Scheidung desselben in einen dichteren und einen dünne-
ren Teil stattfinde, wie bei der Verwandlung des Holzes in
Flamme und Rauch einerseits, in Asche andrerseits; denn ob-
wohl das Wasser ganz und gar zur Verdampfung gebracht
werden kann, so könnte ja doch ein Rückstand desselben —
der Asche vergleichbar — am Gefäße haften. Aber diese
Ausflucht ist eine Täuschung; thatsächlich ist es ganz sicher,
daß die gesamte Wassermasse in Luft verwandelt werden
kann, wie sich dies auch bei der Destillation des Quecksilbers
zeigt, welches ohne Gewichtsverlust wiedergewonnen werden
kann. Ähnliches gilt vom Öl und Talg. Hier scheint sich
allerdings ein Weg zur Begründung der demokritischen Lehre
von der ursprünglichen Verschiedenheit der Atome zu eröffnen,
dessen man freilich nur bei Beobachtung der Natur bedarf; in der
Spekulation macht sich die Sache viel bequemer, weil die ge-
wöhnliche Philosophie sich ihre Materie so ausdenkt, daß sie
keine Schwierigkeit dabei findet, sie jede beliebige Form an
nehmen zu lassen.
In der Schrift Parmenidis et Telesii et praecipue Democriti
philosophia tractata in fabula de Cupidine 1 nimmt Bacon ferner
Gelegenheit, Demokrit in den Augen der Zeitgenossen zu re-
habilitieren. Er lobt ihn unter Anführung einiger Verse von
Lukrez, weil er Atome ohne sinnliche Qualitäten angenommen
habe. Die Atome sind weder den Funken des Feuers ähnlich,
noch den Tropfen des Wassers, noch den Luftbläschen, noch
den Körnchen des Staubes, noch den äußerst feinen Teilchen
des Spiritus oder Äthers. Auch ist ihre Kraft und Form weder
die des Leichten und Schweren, noch des Warmen oder Kalten,
Dichten oder Dünnen, Harten oder Weichen; diese Eigen-
schaften, wie sie in den größeren Körpern gefunden werden,
sind vielmehr zusammengesetzter Art. Ebensowenig ist die
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/446>, abgerufen am 22.11.2024.
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