Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Atomus als Element der Rhythmik.

Der Gebrauch des Wortes "Atomus" für den kleinsten Teil
der Zeitmessung dürfte aus der Musik, resp. aus der Rhythmik
stammen. Aristoxenus bezeichnete die kleinste Maßeinheit des
Taktes, aus welcher sich der Rhythmus aufbaut, mit #
#, wofür Spätere den Terminus # setzten. Der
# ist eine meßbare, keine unbestimmte Zeit, auch
keine unendlich kleine Zeit, welche aber als unteilbares, letztes
Element der Rhythmik und Metrik betrachtet wird. Ihre
absolute Größe ist jedoch nicht feststehend, sondern hängt,
wie z. B. die Länge einer Achtelnote in der modernen Musik,
von dem Tempo (#) ab, in welchem das Stück genommen
wird.1 Aristides Quinctilianus nennt diese Zeit unteilbar
(#),2 weil sie die kürzeste Zeit in Bezug auf unsre
Wahrnehmung
ist. Von diesem übernahm Marcianus Capella3
die Angabe: "Primum igitur tempus est, quod in morem atomi
nec partes nec momenta recisionis admittit, ut est in geometricis
punctum, in arithmeticis monas, id est singularis quaedam ac
se ipsa natura contenta .... Atque hoc erit brevissimum tem-
pus, quod insecabile memoravi." Hier ist aus dem als Ganzes
(#) zu fassenden Taktteil bereits eine wirklich unteilbare
Zeitgröße geworden. Marcianus Capella war durch sein Buch
über die sieben freien Künste der Lehrer des früheren Mittel-
alters. Von ihm haben offenbar Spätere seine Bezeichnung
des kleinsten (nämlich in der Musik gebräuchlichen) Zeitteils
übernommen. Aber bei Beda hat das Element des Taktes als
Atomus auch eine absolute Größe erhalten, indem es als ein
bestimmter Teil der Stunde definiert wird. Woher gerade die

1 hora = 5 puncti = 10 minuta = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta
= 480 unciae = 22560 atomi.

S. Günther gibt (Studien S. 244) nach einem Codex der Münchener
Hof- und Staatsbibl. (N. 7021) aus d. 14. Jhdt. 1 Uncia = 7 Atomi an, wofür
vermutlich 47 zu lesen sein wird.
1 Aristoxenus bei Porphyrius ad Ptolem. harmon. p. 255, 256. Vgl.
Westphal, System der antiken Rhythmik, Breslau 1865, S. 3. S. 117 f.
2 #. I, 14. Ed. Jahn, 1882. p. 21. #.
3 De nuptiis Philologiae et Mercurii et de septem artibus liberalibus libri
novem.
Lib. IX. § 971. Ed. Kopp. Francof. ad Moen. 1836. p. 754.
3*
Atomus als Element der Rhythmik.

Der Gebrauch des Wortes „Atomus‟ für den kleinsten Teil
der Zeitmessung dürfte aus der Musik, resp. aus der Rhythmik
stammen. Aristoxenus bezeichnete die kleinste Maßeinheit des
Taktes, aus welcher sich der Rhythmus aufbaut, mit #
#, wofür Spätere den Terminus # setzten. Der
# ist eine meßbare, keine unbestimmte Zeit, auch
keine unendlich kleine Zeit, welche aber als unteilbares, letztes
Element der Rhythmik und Metrik betrachtet wird. Ihre
absolute Größe ist jedoch nicht feststehend, sondern hängt,
wie z. B. die Länge einer Achtelnote in der modernen Musik,
von dem Tempo (#) ab, in welchem das Stück genommen
wird.1 Aristides Quinctilianus nennt diese Zeit unteilbar
(#),2 weil sie die kürzeste Zeit in Bezug auf unsre
Wahrnehmung
ist. Von diesem übernahm Marcianus Capella3
die Angabe: „Primum igitur tempus est, quod in morem atomi
nec partes nec momenta recisionis admittit, ut est in geometricis
punctum, in arithmeticis monas, id est singularis quaedam ac
se ipsa natura contenta .... Atque hoc erit brevissimum tem-
pus, quod insecabile memoravi.‟ Hier ist aus dem als Ganzes
(#) zu fassenden Taktteil bereits eine wirklich unteilbare
Zeitgröße geworden. Marcianus Capella war durch sein Buch
über die sieben freien Künste der Lehrer des früheren Mittel-
alters. Von ihm haben offenbar Spätere seine Bezeichnung
des kleinsten (nämlich in der Musik gebräuchlichen) Zeitteils
übernommen. Aber bei Beda hat das Element des Taktes als
Atomus auch eine absolute Größe erhalten, indem es als ein
bestimmter Teil der Stunde definiert wird. Woher gerade die

1 hora = 5 puncti = 10 minuta = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta
= 480 unciae = 22560 atomi.

S. Günther gibt (Studien S. 244) nach einem Codex der Münchener
Hof- und Staatsbibl. (N. 7021) aus d. 14. Jhdt. 1 Uncia = 7 Atomi an, wofür
vermutlich 47 zu lesen sein wird.
1 Aristoxenus bei Porphyrius ad Ptolem. harmon. p. 255, 256. Vgl.
Westphal, System der antiken Rhythmik, Breslau 1865, S. 3. S. 117 f.
2 #. I, 14. Ed. Jahn, 1882. p. 21. #.
3 De nuptiis Philologiae et Mercurii et de septem artibus liberalibus libri
novem.
Lib. IX. § 971. Ed. Kopp. Francof. ad Moen. 1836. p. 754.
3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0053" n="35"/>
            <fw place="top" type="header">Atomus als Element der Rhythmik.</fw><lb/>
            <p>Der Gebrauch des Wortes &#x201E;Atomus&#x201F; für den kleinsten Teil<lb/>
der Zeitmessung dürfte aus der Musik, resp. aus der Rhythmik<lb/>
stammen. <hi rendition="#k">Aristoxenus</hi> bezeichnete die kleinste Maßeinheit des<lb/>
Taktes, aus welcher sich der Rhythmus aufbaut, mit #<lb/>
#, wofür Spätere den Terminus # setzten. Der<lb/>
# ist eine meßbare, keine unbestimmte Zeit, auch<lb/>
keine unendlich kleine Zeit, welche aber als unteilbares, letztes<lb/>
Element der Rhythmik und Metrik betrachtet wird. Ihre<lb/>
absolute Größe ist jedoch nicht feststehend, sondern hängt,<lb/>
wie z. B. die Länge einer Achtelnote in der modernen Musik,<lb/>
von dem Tempo <hi rendition="#i">(</hi>#<hi rendition="#i">)</hi> ab, in welchem das Stück genommen<lb/>
wird.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#k">Aristoxenus</hi> bei <hi rendition="#k">Porphyrius</hi> <hi rendition="#i">ad Ptolem. harmon.</hi> p. 255, 256. Vgl.<lb/><hi rendition="#k">Westphal</hi>, <hi rendition="#i">System der antiken Rhythmik</hi>, Breslau 1865, S. 3. S. 117 f.</note> <hi rendition="#k">Aristides Quinctilianus</hi> nennt diese Zeit unteilbar<lb/><hi rendition="#i">(</hi>#<hi rendition="#i">)</hi>,<note place="foot" n="2">#. I, 14. <hi rendition="#k">Ed. Jahn</hi>, 1882. p. 21. #.</note> weil sie die kürzeste Zeit in Bezug <hi rendition="#g">auf unsre<lb/>
Wahrnehmung</hi> ist. Von diesem übernahm <hi rendition="#k">Marcianus Capella</hi><note place="foot" n="3"><hi rendition="#i">De nuptiis Philologiae et Mercurii et de septem artibus liberalibus libri<lb/>
novem.</hi> Lib. IX. § 971. Ed. <hi rendition="#k">Kopp</hi>. Francof. ad Moen. 1836. p. 754.</note><lb/>
die Angabe: &#x201E;Primum igitur tempus est, quod <hi rendition="#g">in morem atomi</hi><lb/>
nec partes nec momenta recisionis admittit, ut est in geometricis<lb/>
punctum, in arithmeticis monas, id est singularis quaedam ac<lb/>
se ipsa natura contenta .... Atque hoc erit brevissimum tem-<lb/>
pus, quod insecabile memoravi.&#x201F; Hier ist aus dem als Ganzes<lb/><hi rendition="#i">(</hi>#<hi rendition="#i">)</hi> zu fassenden Taktteil bereits eine wirklich unteilbare<lb/>
Zeitgröße geworden. <hi rendition="#k">Marcianus Capella</hi> war durch sein Buch<lb/>
über die sieben freien Künste der Lehrer des früheren Mittel-<lb/>
alters. Von ihm haben offenbar Spätere seine Bezeichnung<lb/>
des kleinsten (nämlich in der Musik gebräuchlichen) Zeitteils<lb/>
übernommen. Aber bei <hi rendition="#k">Beda</hi> hat das Element des Taktes als<lb/>
Atomus auch eine <hi rendition="#g">absolute</hi> Größe erhalten, indem es als ein<lb/>
bestimmter Teil der Stunde definiert wird. Woher gerade die<lb/><note xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="1"><cit><quote>1 hora = 5 puncti = 10 minuta = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta<lb/>
= 480 unciae = 22560 atomi.</quote></cit><lb/>
S. <hi rendition="#k">Günther</hi> gibt (<hi rendition="#i">Studien</hi> S. 244) nach einem Codex der Münchener<lb/>
Hof- und Staatsbibl. (N. 7021) aus d. 14. Jhdt. 1 Uncia = 7 Atomi an, wofür<lb/>
vermutlich 47 zu lesen sein wird.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0053] Atomus als Element der Rhythmik. Der Gebrauch des Wortes „Atomus‟ für den kleinsten Teil der Zeitmessung dürfte aus der Musik, resp. aus der Rhythmik stammen. Aristoxenus bezeichnete die kleinste Maßeinheit des Taktes, aus welcher sich der Rhythmus aufbaut, mit # #, wofür Spätere den Terminus # setzten. Der # ist eine meßbare, keine unbestimmte Zeit, auch keine unendlich kleine Zeit, welche aber als unteilbares, letztes Element der Rhythmik und Metrik betrachtet wird. Ihre absolute Größe ist jedoch nicht feststehend, sondern hängt, wie z. B. die Länge einer Achtelnote in der modernen Musik, von dem Tempo (#) ab, in welchem das Stück genommen wird. 1 Aristides Quinctilianus nennt diese Zeit unteilbar (#), 2 weil sie die kürzeste Zeit in Bezug auf unsre Wahrnehmung ist. Von diesem übernahm Marcianus Capella 3 die Angabe: „Primum igitur tempus est, quod in morem atomi nec partes nec momenta recisionis admittit, ut est in geometricis punctum, in arithmeticis monas, id est singularis quaedam ac se ipsa natura contenta .... Atque hoc erit brevissimum tem- pus, quod insecabile memoravi.‟ Hier ist aus dem als Ganzes (#) zu fassenden Taktteil bereits eine wirklich unteilbare Zeitgröße geworden. Marcianus Capella war durch sein Buch über die sieben freien Künste der Lehrer des früheren Mittel- alters. Von ihm haben offenbar Spätere seine Bezeichnung des kleinsten (nämlich in der Musik gebräuchlichen) Zeitteils übernommen. Aber bei Beda hat das Element des Taktes als Atomus auch eine absolute Größe erhalten, indem es als ein bestimmter Teil der Stunde definiert wird. Woher gerade die 1 1 Aristoxenus bei Porphyrius ad Ptolem. harmon. p. 255, 256. Vgl. Westphal, System der antiken Rhythmik, Breslau 1865, S. 3. S. 117 f. 2 #. I, 14. Ed. Jahn, 1882. p. 21. #. 3 De nuptiis Philologiae et Mercurii et de septem artibus liberalibus libri novem. Lib. IX. § 971. Ed. Kopp. Francof. ad Moen. 1836. p. 754. 1 1 hora = 5 puncti = 10 minuta = 15 partes = 40 momenta = 60 ostenta = 480 unciae = 22560 atomi. S. Günther gibt (Studien S. 244) nach einem Codex der Münchener Hof- und Staatsbibl. (N. 7021) aus d. 14. Jhdt. 1 Uncia = 7 Atomi an, wofür vermutlich 47 zu lesen sein wird. 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/53
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/53>, abgerufen am 21.11.2024.