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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Walther von St. Victor gegen Wilhelm von Conches.
zu dem Augustinischen Satze, keine Lehrmeinung sei so falsch,
daß sie nicht irgend etwas Wahres enthalte. So ist er sich
auch vollständig bewußt, daß seine Korpuskulartheorie mit der
Lehre des so schlecht beleumundeten Epikur übereinkommt.1
Unter diesen Umständen überrascht es nicht, daß er mit der
Kirche in Konflikt geriet. Der Prior Walther von St. Victor
schrieb um das Jahr 1180 gegen Petrus Abaelardus, Gilbertus
Porretanus, Petrus Lombardus
und Petrus Pictavinus und
nannte diese Männer quatuor Franciae labyrinthos et novos Hae-
reticos.
Von seinen vier Büchern finden sich Auszüge im
zweiten Bande von du Boulays Geschichte der Pariser Universität.
Daselbst2 erwähnt Walther gelegentlich, daß das hebräische
Wort Doc, welches sehr feinen Staub bezeichne, soviel
bedeute als die außerordentlich kleinen und fast unsichtbaren
Pulverteilchen, welche Demokrit "mit seinem Epikur" wohl
mit ihren Atomen gemeint habe, und knüpft hieran die
Bemerkung, daß Willielmus de Conchis aus der Zusammenfügung
von Atomen, d. h. äusserst kleinen Körpern, alles werden lasse.
Daraus schließt er durch komplizierte Folgerungen auf eine
Ketzerei bezüglich der Person Christi, die sich aus der
Atomenlehre ergebe, und fügt hinzu, daß er die Atome und
Regeln der Philosophen und dergleichen Lächerlichkeiten ver-
achte und verdamme, weil in den heiligen Schriften sich
nirgends derartiger Unsinn finde.

In der That hatte sich Wilhelm von Conches genötigt ge-
sehen einige Sätze, in denen er gegen die Kirchenlehre und die
Bibel gefehlt habe, zu widerrufen.3 Er that dies in der Vorrede
zu seiner Schrift Dragmaticon philosophiae4 in Bezug auf das

1 Haureau, a. a. O. I. S. 442.
2 Bulaeus, Historia universalis Universitatis Parisiensis. Paris 1665.
Tom II. p. 659. Ex lib. IV. Gualteri de S. Victore. Minutissima ergo frustra
pulveris et pene invisibilia hoc verbo Doc appellantur, quae forsitan Demo-
critus cum Epicuro suo Atomos vocat. Inde Willielmus de Conchis ex Ato-
morum id. minutissimorum corporum concretione fieri omnia .... Nos tamen
illorum Atomos et regulas Philosophorum et quid et aliquid et caetera hujus-
modi ridicula contemnimus et excommunicamus.
3 Histoire literaire de la France. Par. 1763. XII. p. 464 ff.
4 Dies ist der eigentliche Name der unter dem Titel: Dialogus de sub-
stantiis physicis, ante annos ducentos confectus a Wilhelmo Aneponymo philo-
sopho
1567 in Straßburg erschienenen, dem Conches zugehörigen Schrift.

Walther von St. Victor gegen Wilhelm von Conches.
zu dem Augustinischen Satze, keine Lehrmeinung sei so falsch,
daß sie nicht irgend etwas Wahres enthalte. So ist er sich
auch vollständig bewußt, daß seine Korpuskulartheorie mit der
Lehre des so schlecht beleumundeten Epikur übereinkommt.1
Unter diesen Umständen überrascht es nicht, daß er mit der
Kirche in Konflikt geriet. Der Prior Walther von St. Victor
schrieb um das Jahr 1180 gegen Petrus Abaelardus, Gilbertus
Porretanus, Petrus Lombardus
und Petrus Pictavinus und
nannte diese Männer quatuor Franciae labyrinthos et novos Hae-
reticos.
Von seinen vier Büchern finden sich Auszüge im
zweiten Bande von du Boulays Geschichte der Pariser Universität.
Daselbst2 erwähnt Walther gelegentlich, daß das hebräische
Wort Doc, welches sehr feinen Staub bezeichne, soviel
bedeute als die außerordentlich kleinen und fast unsichtbaren
Pulverteilchen, welche Demokrit „mit seinem Epikur‟ wohl
mit ihren Atomen gemeint habe, und knüpft hieran die
Bemerkung, daß Willielmus de Conchis aus der Zusammenfügung
von Atomen, d. h. äusserst kleinen Körpern, alles werden lasse.
Daraus schließt er durch komplizierte Folgerungen auf eine
Ketzerei bezüglich der Person Christi, die sich aus der
Atomenlehre ergebe, und fügt hinzu, daß er die Atome und
Regeln der Philosophen und dergleichen Lächerlichkeiten ver-
achte und verdamme, weil in den heiligen Schriften sich
nirgends derartiger Unsinn finde.

In der That hatte sich Wilhelm von Conches genötigt ge-
sehen einige Sätze, in denen er gegen die Kirchenlehre und die
Bibel gefehlt habe, zu widerrufen.3 Er that dies in der Vorrede
zu seiner Schrift Dragmaticon philosophiae4 in Bezug auf das

1 Hauréau, a. a. O. I. S. 442.
2 Bulaeus, Historia universalis Universitatis Parisiensis. Paris 1665.
Tom II. p. 659. Ex lib. IV. Gualteri de S. Victore. Minutissima ergo frustra
pulveris et pene invisibilia hoc verbo Doc appellantur, quae forsitan Demo-
critus cum Epicuro suo Atomos vocat. Inde Willielmus de Conchis ex Ato-
morum id. minutissimorum corporum concretione fieri omnia .... Nos tamen
illorum Atomos et regulas Philosophorum et quid et aliquid et caetera hujus-
modi ridicula contemnimus et excommunicamus.
3 Histoire literaire de la France. Par. 1763. XII. p. 464 ff.
4 Dies ist der eigentliche Name der unter dem Titel: Dialogus de sub-
stantiis physicis, ante annos ducentos confectus a Wilhelmo Aneponymo philo-
sopho
1567 in Straßburg erschienenen, dem Conches zugehörigen Schrift.
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[73/0091] Walther von St. Victor gegen Wilhelm von Conches. zu dem Augustinischen Satze, keine Lehrmeinung sei so falsch, daß sie nicht irgend etwas Wahres enthalte. So ist er sich auch vollständig bewußt, daß seine Korpuskulartheorie mit der Lehre des so schlecht beleumundeten Epikur übereinkommt. 1 Unter diesen Umständen überrascht es nicht, daß er mit der Kirche in Konflikt geriet. Der Prior Walther von St. Victor schrieb um das Jahr 1180 gegen Petrus Abaelardus, Gilbertus Porretanus, Petrus Lombardus und Petrus Pictavinus und nannte diese Männer quatuor Franciae labyrinthos et novos Hae- reticos. Von seinen vier Büchern finden sich Auszüge im zweiten Bande von du Boulays Geschichte der Pariser Universität. Daselbst 2 erwähnt Walther gelegentlich, daß das hebräische Wort Doc, welches sehr feinen Staub bezeichne, soviel bedeute als die außerordentlich kleinen und fast unsichtbaren Pulverteilchen, welche Demokrit „mit seinem Epikur‟ wohl mit ihren Atomen gemeint habe, und knüpft hieran die Bemerkung, daß Willielmus de Conchis aus der Zusammenfügung von Atomen, d. h. äusserst kleinen Körpern, alles werden lasse. Daraus schließt er durch komplizierte Folgerungen auf eine Ketzerei bezüglich der Person Christi, die sich aus der Atomenlehre ergebe, und fügt hinzu, daß er die Atome und Regeln der Philosophen und dergleichen Lächerlichkeiten ver- achte und verdamme, weil in den heiligen Schriften sich nirgends derartiger Unsinn finde. In der That hatte sich Wilhelm von Conches genötigt ge- sehen einige Sätze, in denen er gegen die Kirchenlehre und die Bibel gefehlt habe, zu widerrufen. 3 Er that dies in der Vorrede zu seiner Schrift Dragmaticon philosophiae 4 in Bezug auf das 1 Hauréau, a. a. O. I. S. 442. 2 Bulaeus, Historia universalis Universitatis Parisiensis. Paris 1665. Tom II. p. 659. Ex lib. IV. Gualteri de S. Victore. Minutissima ergo frustra pulveris et pene invisibilia hoc verbo Doc appellantur, quae forsitan Demo- critus cum Epicuro suo Atomos vocat. Inde Willielmus de Conchis ex Ato- morum id. minutissimorum corporum concretione fieri omnia .... Nos tamen illorum Atomos et regulas Philosophorum et quid et aliquid et caetera hujus- modi ridicula contemnimus et excommunicamus. 3 Histoire literaire de la France. Par. 1763. XII. p. 464 ff. 4 Dies ist der eigentliche Name der unter dem Titel: Dialogus de sub- stantiis physicis, ante annos ducentos confectus a Wilhelmo Aneponymo philo- sopho 1567 in Straßburg erschienenen, dem Conches zugehörigen Schrift.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/91>, abgerufen am 21.11.2024.