Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897.Neununddreißigstes Kapitel. der Martier sei durchaus anarchistisch. Jn der That,die Form des Staates war auf dem Mars an kein anderes Gesetz gebunden, als an den Willen der Staats- bürger, und so gut ein jeder seine Staatsangehörigkeit wechseln konnte, so konnte auch die Majorität, ohne in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staats- feindschaft zu kommen, von monarchischen zu republi- kanischen Formen und umgekehrt übergehen. Keine Partei nahm das Recht in Anspruch, die alleinige Vertreterin des Gemeinschaftswohls zu sein, sondern in der gegenseitigen, aber nur auf sittlichen Mitteln be- ruhenden Messung der Kräfte sah man die dauernde Form des staatlichen Lebens. Es gab keinen regieren- den Stand, so wenig es einen allein wirtschaftlich oder allein bildend thätigen Stand gab. Vielmehr war zwischen diesen Berufsformen ein stetiger Uebergang, so daß ein jeder, ganz nach seinen Fähigkeiten und Kräften, diejenige Bethätigungsform erreichen konnte, wozu er am besten tauglich war. Dies war freilich nur möglich infolge des hohen ethischen und wissen- schaftlichen Standpunktes der Gesamtbevölkerung, wo- nach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber von jedem nur nach seiner Begabung in Anspruch genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die Herrschaft des Dilettantismus, sondern jede Thätigkeit setzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in höhere politische Stellen vor allem eine tiefe philo- sophische Bildung. Aber der Fähige konnte sie er- werben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die Busgcheherrn der Natur durch Erkenntnis die unmittel- Neununddreißigſtes Kapitel. der Martier ſei durchaus anarchiſtiſch. Jn der That,die Form des Staates war auf dem Mars an kein anderes Geſetz gebunden, als an den Willen der Staats- bürger, und ſo gut ein jeder ſeine Staatsangehörigkeit wechſeln konnte, ſo konnte auch die Majorität, ohne in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staats- feindſchaft zu kommen, von monarchiſchen zu republi- kaniſchen Formen und umgekehrt übergehen. Keine Partei nahm das Recht in Anſpruch, die alleinige Vertreterin des Gemeinſchaftswohls zu ſein, ſondern in der gegenſeitigen, aber nur auf ſittlichen Mitteln be- ruhenden Meſſung der Kräfte ſah man die dauernde Form des ſtaatlichen Lebens. Es gab keinen regieren- den Stand, ſo wenig es einen allein wirtſchaftlich oder allein bildend thätigen Stand gab. Vielmehr war zwiſchen dieſen Berufsformen ein ſtetiger Uebergang, ſo daß ein jeder, ganz nach ſeinen Fähigkeiten und Kräften, diejenige Bethätigungsform erreichen konnte, wozu er am beſten tauglich war. Dies war freilich nur möglich infolge des hohen ethiſchen und wiſſen- ſchaftlichen Standpunktes der Geſamtbevölkerung, wo- nach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber von jedem nur nach ſeiner Begabung in Anſpruch genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die Herrſchaft des Dilettantismus, ſondern jede Thätigkeit ſetzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in höhere politiſche Stellen vor allem eine tiefe philo- ſophiſche Bildung. Aber der Fähige konnte ſie er- werben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die Buſgcheherrn der Natur durch Erkenntnis die unmittel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0200" n="192"/><fw place="top" type="header">Neununddreißigſtes Kapitel.</fw><lb/> der Martier ſei durchaus anarchiſtiſch. Jn der That,<lb/> die Form des Staates war auf dem Mars an kein<lb/> anderes Geſetz gebunden, als an den Willen der Staats-<lb/> bürger, und ſo gut ein jeder ſeine Staatsangehörigkeit<lb/> wechſeln konnte, ſo konnte auch die Majorität, ohne<lb/> in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staats-<lb/> feindſchaft zu kommen, von monarchiſchen zu republi-<lb/> kaniſchen Formen und umgekehrt übergehen. Keine<lb/> Partei nahm das Recht in Anſpruch, die alleinige<lb/> Vertreterin des Gemeinſchaftswohls zu ſein, ſondern in<lb/> der gegenſeitigen, aber nur auf ſittlichen Mitteln be-<lb/> ruhenden Meſſung der Kräfte ſah man die dauernde<lb/> Form des ſtaatlichen Lebens. Es gab keinen regieren-<lb/> den Stand, ſo wenig es einen allein wirtſchaftlich oder<lb/> allein bildend thätigen Stand gab. Vielmehr war<lb/> zwiſchen dieſen Berufsformen ein ſtetiger Uebergang,<lb/> ſo daß ein jeder, ganz nach ſeinen Fähigkeiten und<lb/> Kräften, diejenige Bethätigungsform erreichen konnte,<lb/> wozu er am beſten tauglich war. Dies war freilich<lb/> nur möglich infolge des hohen ethiſchen und wiſſen-<lb/> ſchaftlichen Standpunktes der Geſamtbevölkerung, wo-<lb/> nach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber<lb/> von jedem nur nach ſeiner Begabung in Anſpruch<lb/> genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die<lb/> Herrſchaft des Dilettantismus, ſondern jede Thätigkeit<lb/> ſetzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in<lb/> höhere politiſche Stellen vor allem eine tiefe philo-<lb/> ſophiſche Bildung. Aber der Fähige konnte ſie er-<lb/> werben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die<lb/> Buſgcheherrn der Natur durch Erkenntnis die unmittel-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0200]
Neununddreißigſtes Kapitel.
der Martier ſei durchaus anarchiſtiſch. Jn der That,
die Form des Staates war auf dem Mars an kein
anderes Geſetz gebunden, als an den Willen der Staats-
bürger, und ſo gut ein jeder ſeine Staatsangehörigkeit
wechſeln konnte, ſo konnte auch die Majorität, ohne
in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staats-
feindſchaft zu kommen, von monarchiſchen zu republi-
kaniſchen Formen und umgekehrt übergehen. Keine
Partei nahm das Recht in Anſpruch, die alleinige
Vertreterin des Gemeinſchaftswohls zu ſein, ſondern in
der gegenſeitigen, aber nur auf ſittlichen Mitteln be-
ruhenden Meſſung der Kräfte ſah man die dauernde
Form des ſtaatlichen Lebens. Es gab keinen regieren-
den Stand, ſo wenig es einen allein wirtſchaftlich oder
allein bildend thätigen Stand gab. Vielmehr war
zwiſchen dieſen Berufsformen ein ſtetiger Uebergang,
ſo daß ein jeder, ganz nach ſeinen Fähigkeiten und
Kräften, diejenige Bethätigungsform erreichen konnte,
wozu er am beſten tauglich war. Dies war freilich
nur möglich infolge des hohen ethiſchen und wiſſen-
ſchaftlichen Standpunktes der Geſamtbevölkerung, wo-
nach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber
von jedem nur nach ſeiner Begabung in Anſpruch
genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die
Herrſchaft des Dilettantismus, ſondern jede Thätigkeit
ſetzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in
höhere politiſche Stellen vor allem eine tiefe philo-
ſophiſche Bildung. Aber der Fähige konnte ſie er-
werben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die
Buſgcheherrn der Natur durch Erkenntnis die unmittel-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |