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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Selbstbiographische Studien.
leien über die litterarische Bedeutung der Schriftsteller
nicht kennen. Das litterarisch-statistische Centralbureau
wird alljährlich im Litteraturkalender die poetische Zeit
neben dem Geburtsdatum der Autoren veröffentlichen,
und der Dichterwert derselben wird gewiß sein. Die
zu verteilenden Orden und Titel werden alsdann mit
noch größerer Sicherheit an den Würdigsten fallen.

Leider ist es auch bei mir und von mir versäumt
worden, meine litterarische Zeit festzustellen; und wenn
ich dies auch künftig thun wollte, es fehlt ja die Haupt
sache, die Kenntnis der poetischen Normalzeit. Da nun
bekanntlich keinem Autor daran liegt, auf Grund nicht
völlig sicherer oder gar eigener Angaben herausgestrichen
zu werden, ich aber in Ermangelung statistisch-mathe-
matischer Grundlagen nicht imstande bin, einen An-
spruch auf schriftstellerische Geltung nachzuweisen, so
muß ich für meine Selbstbiographie die Anwendung der
statistischen Methode verwerfen.

II. Die historische Methode.

Die historische Methode für Autobiographien ist
die gebräuchlichste. Man erzählt, ebenso wie es in den
Annalen der Weltgeschichte geschieht, einiges, was man
weiß, vieles, was man sich denkt, und alles, von dem
man wünscht, daß die Nachwelt es glauben möchte. Es
genügt jedoch nicht, etwa die Zeit des eigenen Lebens,
an welche man sich erinnert oder über welche man Ur-
kunden besitzt, dem Leser vorzuführen. Der ernstere

Selbſtbiographiſche Studien.
leien über die litterariſche Bedeutung der Schriftſteller
nicht kennen. Das litterariſch-ſtatiſtiſche Centralbureau
wird alljährlich im Litteraturkalender die poetiſche Zeit
neben dem Geburtsdatum der Autoren veröffentlichen,
und der Dichterwert derſelben wird gewiß ſein. Die
zu verteilenden Orden und Titel werden alsdann mit
noch größerer Sicherheit an den Würdigſten fallen.

Leider iſt es auch bei mir und von mir verſäumt
worden, meine litterariſche Zeit feſtzuſtellen; und wenn
ich dies auch künftig thun wollte, es fehlt ja die Haupt
ſache, die Kenntnis der poetiſchen Normalzeit. Da nun
bekanntlich keinem Autor daran liegt, auf Grund nicht
völlig ſicherer oder gar eigener Angaben herausgeſtrichen
zu werden, ich aber in Ermangelung ſtatiſtiſch-mathe-
matiſcher Grundlagen nicht imſtande bin, einen An-
ſpruch auf ſchriftſtelleriſche Geltung nachzuweiſen, ſo
muß ich für meine Selbſtbiographie die Anwendung der
ſtatiſtiſchen Methode verwerfen.

II. Die hiſtoriſche Methode.

Die hiſtoriſche Methode für Autobiographien iſt
die gebräuchlichſte. Man erzählt, ebenſo wie es in den
Annalen der Weltgeſchichte geſchieht, einiges, was man
weiß, vieles, was man ſich denkt, und alles, von dem
man wünſcht, daß die Nachwelt es glauben möchte. Es
genügt jedoch nicht, etwa die Zeit des eigenen Lebens,
an welche man ſich erinnert oder über welche man Ur-
kunden beſitzt, dem Leſer vorzuführen. Der ernſtere

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[250/0256] Selbſtbiographiſche Studien. leien über die litterariſche Bedeutung der Schriftſteller nicht kennen. Das litterariſch-ſtatiſtiſche Centralbureau wird alljährlich im Litteraturkalender die poetiſche Zeit neben dem Geburtsdatum der Autoren veröffentlichen, und der Dichterwert derſelben wird gewiß ſein. Die zu verteilenden Orden und Titel werden alsdann mit noch größerer Sicherheit an den Würdigſten fallen. Leider iſt es auch bei mir und von mir verſäumt worden, meine litterariſche Zeit feſtzuſtellen; und wenn ich dies auch künftig thun wollte, es fehlt ja die Haupt ſache, die Kenntnis der poetiſchen Normalzeit. Da nun bekanntlich keinem Autor daran liegt, auf Grund nicht völlig ſicherer oder gar eigener Angaben herausgeſtrichen zu werden, ich aber in Ermangelung ſtatiſtiſch-mathe- matiſcher Grundlagen nicht imſtande bin, einen An- ſpruch auf ſchriftſtelleriſche Geltung nachzuweiſen, ſo muß ich für meine Selbſtbiographie die Anwendung der ſtatiſtiſchen Methode verwerfen. II. Die hiſtoriſche Methode. Die hiſtoriſche Methode für Autobiographien iſt die gebräuchlichſte. Man erzählt, ebenſo wie es in den Annalen der Weltgeſchichte geſchieht, einiges, was man weiß, vieles, was man ſich denkt, und alles, von dem man wünſcht, daß die Nachwelt es glauben möchte. Es genügt jedoch nicht, etwa die Zeit des eigenen Lebens, an welche man ſich erinnert oder über welche man Ur- kunden beſitzt, dem Leſer vorzuführen. Der ernſtere

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/256>, abgerufen am 21.11.2024.