Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstbiographische Studien.
überhaupt einsetzen müßte. Man könnte etwa so be-
ginnen: "Die erste Kunde meines Geschlechts erhebt sich
dort, wo in den Tiefen des Urmeeres der laurentischen
Periode eine behäbige Amöbe auf den Gedanken kam,
sich zu halbieren. Die dickere Hälfte wurde mein
Urahn. Sie erfreute sich eines stattlichen Zellkerns in
kräftiger Protoplasmamasse und setzte die Methode der
Teilungen mit Erfolg fort. Jn meinem Geschlechte
war es auch, wo zuerst die Sitte aufkam, daß die
Tochterzellen nach der Teilung nicht ihre eigenen Wege
gingen, sondern zusammenblieben und sich gegenseitig
unterstützten; damit geschah der unermeßlich wichtige erste
Schritt zur Bildung von Zellgenossenschaften, von ent-
wickelungsfähigen höheren Organismen. Seitdem blieb
unserem Geschlechte eine dauernde Freude, Vereine zu
gründen und im Kreise gleichgesinnter Genossen mit be-
haglicher Rede sich mitzuteilen."

Aber wohin komme ich? Jch beginne persönlich
zu werden und habe den Ursprung des Geschlechtes
noch keineswegs gründlich erforscht. Denn jene Amöbe
mit dem Zellkern stammte von einem kernlosen Moner,
und dieses Urprotoplasma -- woher stammte dies?
Wir stehen vor der Frage nach dem Ursprung des
Lebens und sehen uns genötigt, die historische Methode
unmittelbar in die metaphysische überzuführen.

III. Die metaphysische Methode.

Ein philosophischer Freund machte mich auf eine
Auffassung der Welt aufmerksam, welche viel für sich

Selbſtbiographiſche Studien.
überhaupt einſetzen müßte. Man könnte etwa ſo be-
ginnen: „Die erſte Kunde meines Geſchlechts erhebt ſich
dort, wo in den Tiefen des Urmeeres der laurentiſchen
Periode eine behäbige Amöbe auf den Gedanken kam,
ſich zu halbieren. Die dickere Hälfte wurde mein
Urahn. Sie erfreute ſich eines ſtattlichen Zellkerns in
kräftiger Protoplasmamaſſe und ſetzte die Methode der
Teilungen mit Erfolg fort. Jn meinem Geſchlechte
war es auch, wo zuerſt die Sitte aufkam, daß die
Tochterzellen nach der Teilung nicht ihre eigenen Wege
gingen, ſondern zuſammenblieben und ſich gegenſeitig
unterſtützten; damit geſchah der unermeßlich wichtige erſte
Schritt zur Bildung von Zellgenoſſenſchaften, von ent-
wickelungsfähigen höheren Organismen. Seitdem blieb
unſerem Geſchlechte eine dauernde Freude, Vereine zu
gründen und im Kreiſe gleichgeſinnter Genoſſen mit be-
haglicher Rede ſich mitzuteilen.“

Aber wohin komme ich? Jch beginne perſönlich
zu werden und habe den Urſprung des Geſchlechtes
noch keineswegs gründlich erforſcht. Denn jene Amöbe
mit dem Zellkern ſtammte von einem kernloſen Moner,
und dieſes Urprotoplasma — woher ſtammte dies?
Wir ſtehen vor der Frage nach dem Urſprung des
Lebens und ſehen uns genötigt, die hiſtoriſche Methode
unmittelbar in die metaphyſiſche überzuführen.

III. Die metaphyſiſche Methode.

Ein philoſophiſcher Freund machte mich auf eine
Auffaſſung der Welt aufmerkſam, welche viel für ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="254"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Selb&#x017F;tbiographi&#x017F;che Studien.</hi></fw><lb/><hi rendition="#g">überhaupt</hi> ein&#x017F;etzen müßte. Man könnte etwa &#x017F;o be-<lb/>
ginnen: &#x201E;Die er&#x017F;te Kunde meines Ge&#x017F;chlechts erhebt &#x017F;ich<lb/>
dort, wo in den Tiefen des Urmeeres der laurenti&#x017F;chen<lb/>
Periode eine behäbige Amöbe auf den Gedanken kam,<lb/>
&#x017F;ich zu halbieren. Die dickere Hälfte wurde mein<lb/>
Urahn. Sie erfreute &#x017F;ich eines &#x017F;tattlichen Zellkerns in<lb/>
kräftiger Protoplasmama&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;etzte die Methode der<lb/>
Teilungen mit Erfolg fort. Jn meinem Ge&#x017F;chlechte<lb/>
war es auch, wo zuer&#x017F;t die Sitte aufkam, daß die<lb/>
Tochterzellen nach der Teilung nicht ihre eigenen Wege<lb/>
gingen, &#x017F;ondern zu&#x017F;ammenblieben und &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig<lb/>
unter&#x017F;tützten; damit ge&#x017F;chah der unermeßlich wichtige er&#x017F;te<lb/>
Schritt zur Bildung von Zellgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, von ent-<lb/>
wickelungsfähigen höheren Organismen. Seitdem blieb<lb/>
un&#x017F;erem Ge&#x017F;chlechte eine dauernde Freude, Vereine zu<lb/>
gründen und im Krei&#x017F;e gleichge&#x017F;innter Geno&#x017F;&#x017F;en mit be-<lb/>
haglicher Rede &#x017F;ich mitzuteilen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Aber wohin komme ich? Jch beginne per&#x017F;önlich<lb/>
zu werden und habe den Ur&#x017F;prung des Ge&#x017F;chlechtes<lb/>
noch keineswegs gründlich erfor&#x017F;cht. Denn jene Amöbe<lb/>
mit dem Zellkern &#x017F;tammte von einem kernlo&#x017F;en Moner,<lb/>
und die&#x017F;es Urprotoplasma &#x2014; woher &#x017F;tammte dies?<lb/>
Wir &#x017F;tehen vor der Frage nach dem Ur&#x017F;prung des<lb/>
Lebens und &#x017F;ehen uns genötigt, die hi&#x017F;tori&#x017F;che Methode<lb/>
unmittelbar in die metaphy&#x017F;i&#x017F;che überzuführen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">III.</hi> <hi rendition="#g">Die metaphy&#x017F;i&#x017F;che Methode.</hi> </head><lb/>
          <p>Ein philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Freund machte mich auf eine<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Welt aufmerk&#x017F;am, welche viel für &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0260] Selbſtbiographiſche Studien. überhaupt einſetzen müßte. Man könnte etwa ſo be- ginnen: „Die erſte Kunde meines Geſchlechts erhebt ſich dort, wo in den Tiefen des Urmeeres der laurentiſchen Periode eine behäbige Amöbe auf den Gedanken kam, ſich zu halbieren. Die dickere Hälfte wurde mein Urahn. Sie erfreute ſich eines ſtattlichen Zellkerns in kräftiger Protoplasmamaſſe und ſetzte die Methode der Teilungen mit Erfolg fort. Jn meinem Geſchlechte war es auch, wo zuerſt die Sitte aufkam, daß die Tochterzellen nach der Teilung nicht ihre eigenen Wege gingen, ſondern zuſammenblieben und ſich gegenſeitig unterſtützten; damit geſchah der unermeßlich wichtige erſte Schritt zur Bildung von Zellgenoſſenſchaften, von ent- wickelungsfähigen höheren Organismen. Seitdem blieb unſerem Geſchlechte eine dauernde Freude, Vereine zu gründen und im Kreiſe gleichgeſinnter Genoſſen mit be- haglicher Rede ſich mitzuteilen.“ Aber wohin komme ich? Jch beginne perſönlich zu werden und habe den Urſprung des Geſchlechtes noch keineswegs gründlich erforſcht. Denn jene Amöbe mit dem Zellkern ſtammte von einem kernloſen Moner, und dieſes Urprotoplasma — woher ſtammte dies? Wir ſtehen vor der Frage nach dem Urſprung des Lebens und ſehen uns genötigt, die hiſtoriſche Methode unmittelbar in die metaphyſiſche überzuführen. III. Die metaphyſiſche Methode. Ein philoſophiſcher Freund machte mich auf eine Auffaſſung der Welt aufmerkſam, welche viel für ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/260
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/260>, abgerufen am 21.11.2024.