Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Apoikis. schränkender Menschen. Wir bedurften keiner Teilungder Arbeit und keiner Fachkenntnisse, wir begnügten uns mit dem, was jeder verstehen konnte. Und so kamen wir auf einem ganz anderen Wege als Jhr zur Kultur, die Jhr bei uns erblickt, und zu Erfindungen und Bequemlichkeiten, die Jhr nicht kennt. Jetzt freilich seht Jhr hier Prachtbauten und tausenderlei Verfeinerungen, aber jeder macht nur freiwillig, was er gerade kann und will, und wir sind jetzt so weit in der Kultur des Bewußtseins, daß jeder den Gesamt-Zusammenhang und sich selbst begreift, daß Pflicht und Wunsch in des Apoikiers Seele nicht mehr getrennt bestehen. Wir sind nicht Sklaven der Sitte, wie die Naturvölker, nicht Herren der äußeren Natur, wie die gesitteten Nationen Europas, wir sind nur Herren von uns selbst, Herren unseres Willens, Herren des Bewußtseins überhaupt, und darum sind wir frei. Uns stört keine Sorge um darbende Völker, noch um eigennützige Tyrannen, wir haben keine Gesetze, denn jeder trägt das Gesetz in sich selbst. Wir haben keine Naturwissenschaft und keine Jndustrie in Eurem Sinne, wir brauchen der Natur keine Geheimnisse abzulauschen und ihre Kräfte nicht in unseren Dienst zu zwingen. Die Entwicklung unseres Geistes, frei von dem Druck der europäischen Millionen, ging einen andern Weg. Bei uns folgte auf Platon kein Aristoteles, keine Scholastik, kein Dogmatismus, so brauchten wir keinen Galilei, keinen Newton, keinen Darwin. Wir hatten keine Römerherrschaft, keine Völker- wanderung, kein Feudalsystem, so brauchten wir keine Apoikis. ſchränkender Menſchen. Wir bedurften keiner Teilungder Arbeit und keiner Fachkenntniſſe, wir begnügten uns mit dem, was jeder verſtehen konnte. Und ſo kamen wir auf einem ganz anderen Wege als Jhr zur Kultur, die Jhr bei uns erblickt, und zu Erfindungen und Bequemlichkeiten, die Jhr nicht kennt. Jetzt freilich ſeht Jhr hier Prachtbauten und tauſenderlei Verfeinerungen, aber jeder macht nur freiwillig, was er gerade kann und will, und wir ſind jetzt ſo weit in der Kultur des Bewußtſeins, daß jeder den Geſamt-Zuſammenhang und ſich ſelbſt begreift, daß Pflicht und Wunſch in des Apoikiers Seele nicht mehr getrennt beſtehen. Wir ſind nicht Sklaven der Sitte, wie die Naturvölker, nicht Herren der äußeren Natur, wie die geſitteten Nationen Europas, wir ſind nur Herren von uns ſelbſt, Herren unſeres Willens, Herren des Bewußtſeins überhaupt, und darum ſind wir frei. Uns ſtört keine Sorge um darbende Völker, noch um eigennützige Tyrannen, wir haben keine Geſetze, denn jeder trägt das Geſetz in ſich ſelbſt. Wir haben keine Naturwiſſenſchaft und keine Jnduſtrie in Eurem Sinne, wir brauchen der Natur keine Geheimniſſe abzulauſchen und ihre Kräfte nicht in unſeren Dienſt zu zwingen. Die Entwicklung unſeres Geiſtes, frei von dem Druck der europäiſchen Millionen, ging einen andern Weg. Bei uns folgte auf Platon kein Ariſtoteles, keine Scholaſtik, kein Dogmatismus, ſo brauchten wir keinen Galilei, keinen Newton, keinen Darwin. Wir hatten keine Römerherrſchaft, keine Völker- wanderung, kein Feudalſyſtem, ſo brauchten wir keine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Apoikis.</hi></fw><lb/> ſchränkender Menſchen. Wir bedurften keiner Teilung<lb/> der Arbeit und keiner Fachkenntniſſe, wir begnügten<lb/> uns mit dem, was jeder verſtehen konnte. Und ſo<lb/> kamen wir auf einem ganz anderen Wege als Jhr zur<lb/> Kultur, die Jhr bei uns erblickt, und zu Erfindungen und<lb/> Bequemlichkeiten, die Jhr nicht kennt. Jetzt freilich ſeht<lb/> Jhr hier Prachtbauten und tauſenderlei Verfeinerungen,<lb/> aber jeder macht nur freiwillig, was er gerade kann<lb/> und will, und wir ſind jetzt ſo weit in der Kultur des<lb/> Bewußtſeins, daß jeder den Geſamt-Zuſammenhang<lb/> und ſich ſelbſt begreift, daß Pflicht und Wunſch in des<lb/> Apoikiers Seele nicht mehr getrennt beſtehen. Wir ſind<lb/> nicht Sklaven der Sitte, wie die Naturvölker, nicht<lb/> Herren der äußeren Natur, wie die geſitteten Nationen<lb/> Europas, wir ſind nur Herren von uns ſelbſt, Herren<lb/> unſeres Willens, Herren des Bewußtſeins überhaupt,<lb/> und darum ſind wir frei. Uns ſtört keine Sorge um<lb/> darbende Völker, noch um eigennützige Tyrannen, wir<lb/> haben keine Geſetze, denn jeder trägt das Geſetz in ſich<lb/> ſelbſt. Wir haben keine Naturwiſſenſchaft und keine<lb/> Jnduſtrie in Eurem Sinne, wir brauchen der Natur<lb/> keine Geheimniſſe abzulauſchen und ihre Kräfte nicht in<lb/> unſeren Dienſt zu zwingen. Die Entwicklung unſeres<lb/> Geiſtes, frei von dem Druck der europäiſchen Millionen,<lb/> ging einen andern Weg. Bei uns folgte auf Platon<lb/> kein Ariſtoteles, keine Scholaſtik, kein Dogmatismus, ſo<lb/> brauchten wir keinen Galilei, keinen Newton, keinen<lb/> Darwin. Wir hatten keine Römerherrſchaft, keine Völker-<lb/> wanderung, kein Feudalſyſtem, ſo brauchten wir keine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [52/0058]
Apoikis.
ſchränkender Menſchen. Wir bedurften keiner Teilung
der Arbeit und keiner Fachkenntniſſe, wir begnügten
uns mit dem, was jeder verſtehen konnte. Und ſo
kamen wir auf einem ganz anderen Wege als Jhr zur
Kultur, die Jhr bei uns erblickt, und zu Erfindungen und
Bequemlichkeiten, die Jhr nicht kennt. Jetzt freilich ſeht
Jhr hier Prachtbauten und tauſenderlei Verfeinerungen,
aber jeder macht nur freiwillig, was er gerade kann
und will, und wir ſind jetzt ſo weit in der Kultur des
Bewußtſeins, daß jeder den Geſamt-Zuſammenhang
und ſich ſelbſt begreift, daß Pflicht und Wunſch in des
Apoikiers Seele nicht mehr getrennt beſtehen. Wir ſind
nicht Sklaven der Sitte, wie die Naturvölker, nicht
Herren der äußeren Natur, wie die geſitteten Nationen
Europas, wir ſind nur Herren von uns ſelbſt, Herren
unſeres Willens, Herren des Bewußtſeins überhaupt,
und darum ſind wir frei. Uns ſtört keine Sorge um
darbende Völker, noch um eigennützige Tyrannen, wir
haben keine Geſetze, denn jeder trägt das Geſetz in ſich
ſelbſt. Wir haben keine Naturwiſſenſchaft und keine
Jnduſtrie in Eurem Sinne, wir brauchen der Natur
keine Geheimniſſe abzulauſchen und ihre Kräfte nicht in
unſeren Dienſt zu zwingen. Die Entwicklung unſeres
Geiſtes, frei von dem Druck der europäiſchen Millionen,
ging einen andern Weg. Bei uns folgte auf Platon
kein Ariſtoteles, keine Scholaſtik, kein Dogmatismus, ſo
brauchten wir keinen Galilei, keinen Newton, keinen
Darwin. Wir hatten keine Römerherrſchaft, keine Völker-
wanderung, kein Feudalſyſtem, ſo brauchten wir keine
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