Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.die krankhafte Beschreibung solcher hysterischen Schön¬ 6
die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬ 6
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0131" n="121"/> die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬<lb/> heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬<lb/> manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die<lb/> Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬<lb/> heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt<lb/> krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat,<lb/> die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht<lb/> den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für<lb/> die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von<lb/> Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu<lb/> Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen<lb/> löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬<lb/> ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben<lb/> unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende<lb/> Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei<lb/> Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung.<lb/> Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme,<lb/> nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen<lb/> des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des<lb/> Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß<lb/> dafür und ich fürchte, der kleine Proven<hi rendition="#aq">ç</hi>ale nimmt<lb/> mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil<lb/> es entnervt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">6<lb/></fw> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0131]
die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬
heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬
manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die
Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬
heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt
krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat,
die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht
den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für
die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von
Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu
Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen
löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬
ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben
unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende
Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei
Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung.
Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme,
nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen
des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des
Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß
dafür und ich fürchte, der kleine Provençale nimmt
mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil
es entnervt.
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