an die Hansthür gestellt und der fortfahrenden Julia starr zugesehen, auf ihre an mich gerichteten Worte nichts erwidert habe. Es war die erste Todtenstunde meines Lebens und ich denke mit Grausen daran -- der Tod ist ein garstig Scheusal, er ist der baare hä߬ liche Gegensatz des Schönen. Es war ein trüber Re¬ gentag gewesen, als ich noch an der Hausthür des Hotels stand, brach plötzlich die Nachmittagssonne die Wolken und leuchtete mir in das starre Auge. Da wich mein Feind, der Tod, aus allen meinen Gliedern, ich fühlte wieder lebendig Blut in mir, meine Sehnen spannten sich, ich war auferstanden. Es fiel mir al¬ les Lebendige, was ich gesehn, wieder ein. Juliens Ab¬ reise und ihre Schönheit -- ich rief nach Pferden. Was kümmert mich der Tod! Was sind die Menschen dumm, mit diesem abscheulichen Zustande noch Gepränge und Aufsehn vorzunehmen. Der gestorbene Mensch ist eine Sache, man bringe sie bei Seit so schnell als möglich. Wer sich mit einem Leichnam beschäftigen kann, die Seele mag ihm noch so lieb gewesen sein, ist ein ver¬ härtetes unästhetisches Leichenweib, ein Handwerks-Tod¬ tengräber. Ich will lieber selbst sterben als sterben sehn. Ich schreibe dies in einem andern Gasthofe und warte
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an die Hansthür geſtellt und der fortfahrenden Julia ſtarr zugeſehen, auf ihre an mich gerichteten Worte nichts erwidert habe. Es war die erſte Todtenſtunde meines Lebens und ich denke mit Grauſen daran — der Tod iſt ein garſtig Scheuſal, er iſt der baare hä߬ liche Gegenſatz des Schönen. Es war ein trüber Re¬ gentag geweſen, als ich noch an der Hausthür des Hotels ſtand, brach plötzlich die Nachmittagsſonne die Wolken und leuchtete mir in das ſtarre Auge. Da wich mein Feind, der Tod, aus allen meinen Gliedern, ich fühlte wieder lebendig Blut in mir, meine Sehnen ſpannten ſich, ich war auferſtanden. Es fiel mir al¬ les Lebendige, was ich geſehn, wieder ein. Juliens Ab¬ reiſe und ihre Schönheit — ich rief nach Pferden. Was kümmert mich der Tod! Was ſind die Menſchen dumm, mit dieſem abſcheulichen Zuſtande noch Gepränge und Aufſehn vorzunehmen. Der geſtorbene Menſch iſt eine Sache, man bringe ſie bei Seit ſo ſchnell als möglich. Wer ſich mit einem Leichnam beſchäftigen kann, die Seele mag ihm noch ſo lieb geweſen ſein, iſt ein ver¬ härtetes unäſthetiſches Leichenweib, ein Handwerks-Tod¬ tengräber. Ich will lieber ſelbſt ſterben als ſterben ſehn. Ich ſchreibe dies in einem andern Gaſthofe und warte
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an die Hansthür geſtellt und der fortfahrenden Julia
ſtarr zugeſehen, auf ihre an mich gerichteten Worte
nichts erwidert habe. Es war die erſte Todtenſtunde
meines Lebens und ich denke mit Grauſen daran —
der Tod iſt ein garſtig Scheuſal, er iſt der baare hä߬
liche Gegenſatz des Schönen. Es war ein trüber Re¬
gentag geweſen, als ich noch an der Hausthür des
Hotels ſtand, brach plötzlich die Nachmittagsſonne die
Wolken und leuchtete mir in das ſtarre Auge. Da wich
mein Feind, der Tod, aus allen meinen Gliedern, ich
fühlte wieder lebendig Blut in mir, meine Sehnen
ſpannten ſich, ich war auferſtanden. Es fiel mir al¬
les Lebendige, was ich geſehn, wieder ein. Juliens Ab¬
reiſe und ihre Schönheit — ich rief nach Pferden. Was
kümmert mich der Tod! Was ſind die Menſchen dumm,
mit dieſem abſcheulichen Zuſtande noch Gepränge und
Aufſehn vorzunehmen. Der geſtorbene Menſch iſt eine
Sache, man bringe ſie bei Seit ſo ſchnell als möglich.
Wer ſich mit einem Leichnam beſchäftigen kann, die
Seele mag ihm noch ſo lieb geweſen ſein, iſt ein ver¬
härtetes unäſthetiſches Leichenweib, ein Handwerks-Tod¬
tengräber. Ich will lieber ſelbſt ſterben als ſterben ſehn.
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/159>, abgerufen am 25.02.2025.
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