hat sich in die reizendste Klarheit aufgelöst. Wir sa¬ ßen in den ersten Tagen ihrer Ankunft auf der Plat¬ form unter dem Zelt, dessen Seitenwände wir aufge¬ schlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel roth, die Erde duftete in Wollust. Ich sah glücklich ins Land hinein und stand mit untergeschlagenen Armen neben Camilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta stand auf der andern Seite und sang, den Kopf an die Säule des Zeltes hinauslehend, sang ein Wanderlied des lieben Wilhelm Müller. Camilla sah von Zeit zu Zeit auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudestrah¬ lendes Auge. Es küßten sich unsre Seelen. Die Nach¬ tigall schlug in Albertas Gesang. Auf einmal kehrte sich diese um, küßte Camilla, reichte mir die Hand und sprang hinweg um zu musiciren -- der Gesang, sagte sie, sei ihr zu wenig, sie müsse die Töne, die in ihr herumwogten, ausströmen. Ich setzte mich neben Ca¬ milla und sah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff stand, unsern Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann ist darin im¬ mer plumper als das Weib, er trachtet in seiner Nüch¬ ternheit mehr nach bestimmten Formen, er ist griechischer, das Weib romantischer, christlicher. Das reine Weib
hat ſich in die reizendſte Klarheit aufgelöſt. Wir ſa¬ ßen in den erſten Tagen ihrer Ankunft auf der Plat¬ form unter dem Zelt, deſſen Seitenwände wir aufge¬ ſchlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel roth, die Erde duftete in Wolluſt. Ich ſah glücklich ins Land hinein und ſtand mit untergeſchlagenen Armen neben Camilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta ſtand auf der andern Seite und ſang, den Kopf an die Säule des Zeltes hinauslehend, ſang ein Wanderlied des lieben Wilhelm Müller. Camilla ſah von Zeit zu Zeit auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudeſtrah¬ lendes Auge. Es küßten ſich unſre Seelen. Die Nach¬ tigall ſchlug in Albertas Geſang. Auf einmal kehrte ſich dieſe um, küßte Camilla, reichte mir die Hand und ſprang hinweg um zu muſiciren — der Geſang, ſagte ſie, ſei ihr zu wenig, ſie müſſe die Töne, die in ihr herumwogten, ausſtrömen. Ich ſetzte mich neben Ca¬ milla und ſah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff ſtand, unſern Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann iſt darin im¬ mer plumper als das Weib, er trachtet in ſeiner Nüch¬ ternheit mehr nach beſtimmten Formen, er iſt griechiſcher, das Weib romantiſcher, chriſtlicher. Das reine Weib
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hat ſich in die reizendſte Klarheit aufgelöſt. Wir ſa¬
ßen in den erſten Tagen ihrer Ankunft auf der Plat¬
form unter dem Zelt, deſſen Seitenwände wir aufge¬
ſchlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel roth,
die Erde duftete in Wolluſt. Ich ſah glücklich ins
Land hinein und ſtand mit untergeſchlagenen Armen
neben Camilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta
ſtand auf der andern Seite und ſang, den Kopf an
die Säule des Zeltes hinauslehend, ſang ein Wanderlied
des lieben Wilhelm Müller. Camilla ſah von Zeit zu Zeit
auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudeſtrah¬
lendes Auge. Es küßten ſich unſre Seelen. Die Nach¬
tigall ſchlug in Albertas Geſang. Auf einmal kehrte
ſich dieſe um, küßte Camilla, reichte mir die Hand und
ſprang hinweg um zu muſiciren — der Geſang, ſagte
ſie, ſei ihr zu wenig, ſie müſſe die Töne, die in ihr
herumwogten, ausſtrömen. Ich ſetzte mich neben Ca¬
milla und ſah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr
Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff ſtand, unſern
Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann iſt darin im¬
mer plumper als das Weib, er trachtet in ſeiner Nüch¬
ternheit mehr nach beſtimmten Formen, er iſt griechiſcher,
das Weib romantiſcher, chriſtlicher. Das reine Weib
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/164>, abgerufen am 25.02.2025.
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