Ich lege Dir Williams Brief bei; steh, wohin der einseitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen, schmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet die Welt so wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und springen kann. Man kann irren mit der Freiheit, aber an jedem neuen Morgen kann man sich zurecht finden. Der absolutistische religiöse oder politische Glaube kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die Sünde gebiert den Tod, sagt er selbst. William ist das Opfer des Absolutismus, Leopold wird der Spiel¬ ball der Gesetzlosigkeit -- er ist im belgischen Heere Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und spielt eine abgerissene kümmerliche Rolle, und nur die un¬ geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der Lebenswoge den zügellosen Hyppolit; nur sein riesen¬ hafter Geist läßt ihn bestehen mit seiner unbändigen, die Civilisation überspringenden Freiheit. Du scheinst ihn für todt zu halten, das ist er gewiß nicht; ein solcher
41. Valerius an Constantin.
Ich lege Dir Williams Brief bei; ſteh, wohin der einſeitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen, ſchmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet die Welt ſo wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und ſpringen kann. Man kann irren mit der Freiheit, aber an jedem neuen Morgen kann man ſich zurecht finden. Der abſolutiſtiſche religiöſe oder politiſche Glaube kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die Sünde gebiert den Tod, ſagt er ſelbſt. William iſt das Opfer des Abſolutismus, Leopold wird der Spiel¬ ball der Geſetzloſigkeit — er iſt im belgiſchen Heere Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und ſpielt eine abgeriſſene kümmerliche Rolle, und nur die un¬ geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der Lebenswoge den zügelloſen Hyppolit; nur ſein rieſen¬ hafter Geiſt läßt ihn beſtehen mit ſeiner unbändigen, die Civiliſation überſpringenden Freiheit. Du ſcheinſt ihn für todt zu halten, das iſt er gewiß nicht; ein ſolcher
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0197"n="185"/></div><divn="1"><head>41.<lb/><hirendition="#b #g">Valerius an Constantin.</hi><lb/></head><p>Ich lege Dir Williams Brief bei; ſteh, wohin<lb/>
der einſeitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke<lb/>
von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen,<lb/>ſchmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet<lb/>
die Welt ſo wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und<lb/>ſpringen kann. Man kann irren mit der Freiheit,<lb/>
aber an jedem neuen Morgen kann man ſich zurecht<lb/>
finden. Der abſolutiſtiſche religiöſe oder politiſche Glaube<lb/>
kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die<lb/>
Sünde gebiert den Tod, ſagt er ſelbſt. William iſt<lb/>
das Opfer des Abſolutismus, Leopold wird der Spiel¬<lb/>
ball der Geſetzloſigkeit — er iſt im belgiſchen Heere<lb/>
Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und ſpielt<lb/>
eine abgeriſſene kümmerliche Rolle, und nur die un¬<lb/>
geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der<lb/>
Lebenswoge den zügelloſen Hyppolit; nur ſein rieſen¬<lb/>
hafter Geiſt läßt ihn beſtehen mit ſeiner unbändigen, die<lb/>
Civiliſation überſpringenden Freiheit. Du ſcheinſt ihn<lb/>
für todt zu halten, das iſt er gewiß nicht; ein ſolcher<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0197]
41.
Valerius an Constantin.
Ich lege Dir Williams Brief bei; ſteh, wohin
der einſeitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke
von Freiheit fehlt, da giebt es nur Höhen und Tiefen,
ſchmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet
die Welt ſo wunderbar, daß Alles gefahrlos gehen und
ſpringen kann. Man kann irren mit der Freiheit,
aber an jedem neuen Morgen kann man ſich zurecht
finden. Der abſolutiſtiſche religiöſe oder politiſche Glaube
kennt keinen Irrthum, er kennt nur Sünde und die
Sünde gebiert den Tod, ſagt er ſelbſt. William iſt
das Opfer des Abſolutismus, Leopold wird der Spiel¬
ball der Geſetzloſigkeit — er iſt im belgiſchen Heere
Compagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und ſpielt
eine abgeriſſene kümmerliche Rolle, und nur die un¬
geheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der
Lebenswoge den zügelloſen Hyppolit; nur ſein rieſen¬
hafter Geiſt läßt ihn beſtehen mit ſeiner unbändigen, die
Civiliſation überſpringenden Freiheit. Du ſcheinſt ihn
für todt zu halten, das iſt er gewiß nicht; ein ſolcher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/197>, abgerufen am 25.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.