Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Masse der Alltagsmenschen, die im hergebrachten
Schlendrian einherziehen, dergleichen Zweifel und
Sorgen nicht kennen, und im Trübsal immer links
und rechts Stützen finden, weil sie nie von der all-
gemein betretenen Heerstraße gewichen sind. Die
Männer neuer Lebensgedanken und einer neuen
Zeit werden auch immer die Märtyrer derselben,
selbst wenn ihnen die alte störrige Außenwelt keine
Kerker öffnet, keine Schaffote errichtet. Jhr Gewis-
sen, das unter den alten Gedanken aufgewachsen ist,
hält sie unter einer immerwährenden Tortur, und es
ist um so peinlicher, als das der andern Menschen,
weil es die Verpflichtungen gegen die Gesellschaft
tiefer empfindet. Die immerwährende Prüfung hat
es spitzer und feiner gemacht. Und der stärkste
Mensch mißtraut seinen Kräften, der edelste Refor-
mator fragt sich in stillen Stunden: bringst Du
nicht auch Unglück mit Deinen neuen Gedanken?
beruht das Herkommen nicht auf der Weisheit
vieler Generationen? ist Deine und der Gleichge-
sinnten Meinung nicht vielleicht unreif, unvollkom-
men, grün und dreist neben den alten viel geprüf-
ten Formen?

Maſſe der Alltagsmenſchen, die im hergebrachten
Schlendrian einherziehen, dergleichen Zweifel und
Sorgen nicht kennen, und im Trübſal immer links
und rechts Stützen finden, weil ſie nie von der all-
gemein betretenen Heerſtraße gewichen ſind. Die
Männer neuer Lebensgedanken und einer neuen
Zeit werden auch immer die Märtyrer derſelben,
ſelbſt wenn ihnen die alte ſtörrige Außenwelt keine
Kerker öffnet, keine Schaffote errichtet. Jhr Gewiſ-
ſen, das unter den alten Gedanken aufgewachſen iſt,
hält ſie unter einer immerwährenden Tortur, und es
iſt um ſo peinlicher, als das der andern Menſchen,
weil es die Verpflichtungen gegen die Geſellſchaft
tiefer empfindet. Die immerwährende Prüfung hat
es ſpitzer und feiner gemacht. Und der ſtärkſte
Menſch mißtraut ſeinen Kräften, der edelſte Refor-
mator fragt ſich in ſtillen Stunden: bringſt Du
nicht auch Unglück mit Deinen neuen Gedanken?
beruht das Herkommen nicht auf der Weisheit
vieler Generationen? iſt Deine und der Gleichge-
ſinnten Meinung nicht vielleicht unreif, unvollkom-
men, grün und dreiſt neben den alten viel geprüf-
ten Formen?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="195"/>
Ma&#x017F;&#x017F;e der Alltagsmen&#x017F;chen, die im hergebrachten<lb/>
Schlendrian einherziehen, dergleichen Zweifel und<lb/>
Sorgen nicht kennen, und im Trüb&#x017F;al immer links<lb/>
und rechts Stützen finden, weil &#x017F;ie nie von der all-<lb/>
gemein betretenen Heer&#x017F;traße gewichen &#x017F;ind. Die<lb/>
Männer neuer Lebensgedanken und einer neuen<lb/>
Zeit werden auch immer die Märtyrer der&#x017F;elben,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wenn ihnen die alte &#x017F;törrige Außenwelt keine<lb/>
Kerker öffnet, keine Schaffote errichtet. Jhr Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, das unter den alten Gedanken aufgewach&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
hält &#x017F;ie unter einer immerwährenden Tortur, und es<lb/>
i&#x017F;t um &#x017F;o peinlicher, als das der andern Men&#x017F;chen,<lb/>
weil es die Verpflichtungen gegen die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
tiefer empfindet. Die immerwährende Prüfung hat<lb/>
es &#x017F;pitzer und feiner gemacht. Und der &#x017F;tärk&#x017F;te<lb/>
Men&#x017F;ch mißtraut &#x017F;einen Kräften, der edel&#x017F;te Refor-<lb/>
mator fragt &#x017F;ich in &#x017F;tillen Stunden: bring&#x017F;t Du<lb/>
nicht auch Unglück mit Deinen neuen Gedanken?<lb/>
beruht das Herkommen nicht auf der Weisheit<lb/>
vieler Generationen? i&#x017F;t Deine und der Gleichge-<lb/>
&#x017F;innten Meinung nicht vielleicht unreif, unvollkom-<lb/>
men, grün und drei&#x017F;t neben den alten viel geprüf-<lb/>
ten Formen?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0205] Maſſe der Alltagsmenſchen, die im hergebrachten Schlendrian einherziehen, dergleichen Zweifel und Sorgen nicht kennen, und im Trübſal immer links und rechts Stützen finden, weil ſie nie von der all- gemein betretenen Heerſtraße gewichen ſind. Die Männer neuer Lebensgedanken und einer neuen Zeit werden auch immer die Märtyrer derſelben, ſelbſt wenn ihnen die alte ſtörrige Außenwelt keine Kerker öffnet, keine Schaffote errichtet. Jhr Gewiſ- ſen, das unter den alten Gedanken aufgewachſen iſt, hält ſie unter einer immerwährenden Tortur, und es iſt um ſo peinlicher, als das der andern Menſchen, weil es die Verpflichtungen gegen die Geſellſchaft tiefer empfindet. Die immerwährende Prüfung hat es ſpitzer und feiner gemacht. Und der ſtärkſte Menſch mißtraut ſeinen Kräften, der edelſte Refor- mator fragt ſich in ſtillen Stunden: bringſt Du nicht auch Unglück mit Deinen neuen Gedanken? beruht das Herkommen nicht auf der Weisheit vieler Generationen? iſt Deine und der Gleichge- ſinnten Meinung nicht vielleicht unreif, unvollkom- men, grün und dreiſt neben den alten viel geprüf- ten Formen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/205
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/205>, abgerufen am 04.12.2024.