Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn, kann liegen, kann sitzen, denken, was ich will: wie bequem hab' ich's neben dieser Menschenart, und doch sind's auch Menschen. Jch stelle mich jetzt manchmal eine zeitlang unter meine Fensterblende, sehe in den Himmelsstreifen, strecke den Arm aus, denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und erschöpft zusammensinke. Dann empfinde ich, daß mein Loos noch beneidenswerth!
Welch ein kalter Strom hat sich wieder an meine Einsamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Fas- sung, Dir zu schildern. Gestern kam der entschlossene, klirrende Schritt des Ordonnanzsoldaten neben unserm Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von uns legte sich das athemlose Beben, daß der Schritt vor seiner Zelle halten, seinen Namen rufen werde -- das ist so schreckhaft! Denke Dir, wie sehr unsere Nerven schon zerstört sind: das Verhör allein kann uns fördern, den traurigen Zustand ändern- wenn nicht in einen besseren verwandeln, denn im schlimmsten Falle ist Strafgefängniß eine Erholung
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Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn, kann liegen, kann ſitzen, denken, was ich will: wie bequem hab’ ich’s neben dieſer Menſchenart, und doch ſind’s auch Menſchen. Jch ſtelle mich jetzt manchmal eine zeitlang unter meine Fenſterblende, ſehe in den Himmelsſtreifen, ſtrecke den Arm aus, denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und erſchöpft zuſammenſinke. Dann empfinde ich, daß mein Loos noch beneidenswerth!
Welch ein kalter Strom hat ſich wieder an meine Einſamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Faſ- ſung, Dir zu ſchildern. Geſtern kam der entſchloſſene, klirrende Schritt des Ordonnanzſoldaten neben unſerm Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von uns legte ſich das athemloſe Beben, daß der Schritt vor ſeiner Zelle halten, ſeinen Namen rufen werde — das iſt ſo ſchreckhaft! Denke Dir, wie ſehr unſere Nerven ſchon zerſtört ſind: das Verhör allein kann uns fördern, den traurigen Zuſtand ändern- wenn nicht in einen beſſeren verwandeln, denn im ſchlimmſten Falle iſt Strafgefängniß eine Erholung
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Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn,
kann liegen, kann ſitzen, denken, was ich will: wie
bequem hab’ ich’s neben dieſer Menſchenart, und
doch ſind’s auch Menſchen. Jch ſtelle mich jetzt
manchmal eine zeitlang unter meine Fenſterblende,
ſehe in den Himmelsſtreifen, ſtrecke den Arm aus,
denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und
erſchöpft zuſammenſinke. Dann empfinde ich, daß
mein Loos noch beneidenswerth!
Welch ein kalter Strom hat ſich wieder an
meine Einſamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Faſ-
ſung, Dir zu ſchildern. Geſtern kam der entſchloſſene,
klirrende Schritt des Ordonnanzſoldaten neben unſerm
Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von
uns legte ſich das athemloſe Beben, daß der Schritt
vor ſeiner Zelle halten, ſeinen Namen rufen werde
— das iſt ſo ſchreckhaft! Denke Dir, wie ſehr
unſere Nerven ſchon zerſtört ſind: das Verhör allein
kann uns fördern, den traurigen Zuſtand ändern-
wenn nicht in einen beſſeren verwandeln, denn im
ſchlimmſten Falle iſt Strafgefängniß eine Erholung
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/161>, abgerufen am 25.11.2024.
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