ich sei sehr blaß geworden, und mein Bart sei lang, sehr lang -- er hat mich seit mehreren Monaten nicht in's Verhör geholt. An der Thür flüsterte er mir zu: ich bringe Sie heut vor einen andern Richter. Neuer Schreck. -- Wer ist's? -- "'s ist der Herr Oberrichter!"
An der langen grünen Tafel saß er, schwarz ge- kleidet, mit dem Rücken nach der Thür, durch welche ich eintrat, neben ihm der Protokollführer, sonst war Niemand in dem großen Zimmer, es war ganz still; ohne umzublicken wies er mit der Hand auf einen Sessel; ich ging dahin, sah den Oberrichter und stand wie vom Schlage getroffen -- es war Constantin!
Er sah mich nur zuweilen mit halbem Blicke an, und inquirirte vortrefflich: als einstiger Jako- biner kennt er alle Gedankengänge, Pläne und Zu- stände sehr gut; es war ein interessantes Verhör! Der Stil, die Ausdrücke, die Wendungen, welche wir früher gemeinschaftlich aufgesucht, geübt, wurden jetzt gegen mich benützt! Beim letzten Worte schellte er, und eh' ich noch meinen Namen unterzeichnet hatte, war die Ordonnanz wieder im Gemäche, und
ich ſei ſehr blaß geworden, und mein Bart ſei lang, ſehr lang — er hat mich ſeit mehreren Monaten nicht in’s Verhör geholt. An der Thür flüſterte er mir zu: ich bringe Sie heut vor einen andern Richter. Neuer Schreck. — Wer iſt’s? — „’s iſt der Herr Oberrichter!“
An der langen grünen Tafel ſaß er, ſchwarz ge- kleidet, mit dem Rücken nach der Thür, durch welche ich eintrat, neben ihm der Protokollführer, ſonſt war Niemand in dem großen Zimmer, es war ganz ſtill; ohne umzublicken wies er mit der Hand auf einen Seſſel; ich ging dahin, ſah den Oberrichter und ſtand wie vom Schlage getroffen — es war Conſtantin!
Er ſah mich nur zuweilen mit halbem Blicke an, und inquirirte vortrefflich: als einſtiger Jako- biner kennt er alle Gedankengänge, Pläne und Zu- ſtände ſehr gut; es war ein intereſſantes Verhör! Der Stil, die Ausdrücke, die Wendungen, welche wir früher gemeinſchaftlich aufgeſucht, geübt, wurden jetzt gegen mich benützt! Beim letzten Worte ſchellte er, und eh’ ich noch meinen Namen unterzeichnet hatte, war die Ordonnanz wieder im Gemäche, und
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ich ſei ſehr blaß geworden, und mein Bart ſei lang,
ſehr lang — er hat mich ſeit mehreren Monaten
nicht in’s Verhör geholt. An der Thür flüſterte
er mir zu: ich bringe Sie heut vor einen andern
Richter. Neuer Schreck. — Wer iſt’s? — „’s iſt
der Herr Oberrichter!“
An der langen grünen Tafel ſaß er, ſchwarz ge-
kleidet, mit dem Rücken nach der Thür, durch welche
ich eintrat, neben ihm der Protokollführer, ſonſt
war Niemand in dem großen Zimmer, es war ganz
ſtill; ohne umzublicken wies er mit der Hand auf
einen Seſſel; ich ging dahin, ſah den Oberrichter
und ſtand wie vom Schlage getroffen — es war
Conſtantin!
Er ſah mich nur zuweilen mit halbem Blicke
an, und inquirirte vortrefflich: als einſtiger Jako-
biner kennt er alle Gedankengänge, Pläne und Zu-
ſtände ſehr gut; es war ein intereſſantes Verhör!
Der Stil, die Ausdrücke, die Wendungen, welche
wir früher gemeinſchaftlich aufgeſucht, geübt, wurden
jetzt gegen mich benützt! Beim letzten Worte ſchellte
er, und eh’ ich noch meinen Namen unterzeichnet
hatte, war die Ordonnanz wieder im Gemäche, und
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/163>, abgerufen am 25.11.2024.
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