ist; allein das Gesetz, das ich mir gemacht habe, keinem Anverwandten, selbst meiner Mutter nicht zu schreiben, ließ mich seinen Brief, der sonst nicht un- interessante Nachrichten für mich enthielt, gleichgül- tig hinlegen. Seit meines Vaters Tod hab ich alle Liebe und alle Achtung für Verwandte und Bluts- freunde verlohren: da mein Bruder selbst ein Schuft an mir geworden ist, was kann ich mir von andern noch versprechen? Und was hälfe mein Schreiben am Ende? Es würde uns alle durch Zurückerinne- rung kränken; und - meine Lage bliebe dieselbe. -
Da mein Vater sahe, daß ich den Abschied nicht erhalten würde, so entschloß er sich, Kauzion für mich zu stellen, damit ich ihn noch einmal besu- chen könnte. Freilich war seine Absicht dabei, mich bei sich zu behalten, den Preussen die 150 Rthlr. zu Anwerbung eines Andern an meiner Stelle zu lassen, und so den Abschied selbst zu nehmen. Er eröffnete mir sein Vorhaben in einem Briefe, fügte aber hin- zu, daß ich es mir ja nicht sollte in den Sinn kom- men lassen, ihn auf eine andere Art zu besuchen: in Desertion könne und wolle er aus gar vielen Grün- den nicht einwilligen, und er würde es mir sehr übel nehmen, wenn ich so was auch glücklich ausführte. Unsre Briefe waren in einer Sprache geschrieben, die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt war: wir hatten sie zusammen erfunden, und oft
iſt; allein das Geſetz, das ich mir gemacht habe, keinem Anverwandten, ſelbſt meiner Mutter nicht zu ſchreiben, ließ mich ſeinen Brief, der ſonſt nicht un- intereſſante Nachrichten fuͤr mich enthielt, gleichguͤl- tig hinlegen. Seit meines Vaters Tod hab ich alle Liebe und alle Achtung fuͤr Verwandte und Bluts- freunde verlohren: da mein Bruder ſelbſt ein Schuft an mir geworden iſt, was kann ich mir von andern noch verſprechen? Und was haͤlfe mein Schreiben am Ende? Es wuͤrde uns alle durch Zuruͤckerinne- rung kraͤnken; und – meine Lage bliebe dieſelbe. –
Da mein Vater ſahe, daß ich den Abſchied nicht erhalten wuͤrde, ſo entſchloß er ſich, Kauzion fuͤr mich zu ſtellen, damit ich ihn noch einmal beſu- chen koͤnnte. Freilich war ſeine Abſicht dabei, mich bei ſich zu behalten, den Preuſſen die 150 Rthlr. zu Anwerbung eines Andern an meiner Stelle zu laſſen, und ſo den Abſchied ſelbſt zu nehmen. Er eroͤffnete mir ſein Vorhaben in einem Briefe, fuͤgte aber hin- zu, daß ich es mir ja nicht ſollte in den Sinn kom- men laſſen, ihn auf eine andere Art zu beſuchen: in Deſertion koͤnne und wolle er aus gar vielen Gruͤn- den nicht einwilligen, und er wuͤrde es mir ſehr uͤbel nehmen, wenn ich ſo was auch gluͤcklich ausfuͤhrte. Unſre Briefe waren in einer Sprache geſchrieben, die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt war: wir hatten ſie zuſammen erfunden, und oft
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0312"n="300[310]"/>
iſt; allein das Geſetz, das ich mir gemacht habe,<lb/>
keinem Anverwandten, ſelbſt meiner Mutter nicht zu<lb/>ſchreiben, ließ mich ſeinen Brief, der ſonſt nicht un-<lb/>
intereſſante Nachrichten fuͤr mich enthielt, gleichguͤl-<lb/>
tig hinlegen. Seit meines Vaters Tod hab ich alle<lb/>
Liebe und alle Achtung fuͤr Verwandte und Bluts-<lb/>
freunde verlohren: da mein Bruder ſelbſt ein Schuft<lb/>
an mir geworden iſt, was kann ich mir von andern<lb/>
noch verſprechen? Und was haͤlfe mein Schreiben<lb/>
am Ende? Es wuͤrde uns alle durch Zuruͤckerinne-<lb/>
rung kraͤnken; und – meine Lage bliebe dieſelbe. –</p><lb/><p>Da mein Vater ſahe, daß ich den Abſchied<lb/>
nicht erhalten wuͤrde, ſo entſchloß er ſich, Kauzion<lb/>
fuͤr mich zu ſtellen, damit ich ihn noch einmal beſu-<lb/>
chen koͤnnte. Freilich war ſeine Abſicht dabei, mich<lb/>
bei ſich zu behalten, den Preuſſen die 150 Rthlr. zu<lb/>
Anwerbung eines Andern an meiner Stelle zu laſſen,<lb/>
und ſo den Abſchied ſelbſt zu nehmen. Er eroͤffnete<lb/>
mir ſein Vorhaben in einem Briefe, fuͤgte aber hin-<lb/>
zu, daß ich es mir ja nicht ſollte in den Sinn kom-<lb/>
men laſſen, ihn auf eine andere Art zu beſuchen: in<lb/>
Deſertion koͤnne und wolle er aus gar vielen Gruͤn-<lb/>
den nicht einwilligen, und er wuͤrde es mir ſehr uͤbel<lb/>
nehmen, wenn ich ſo was auch gluͤcklich ausfuͤhrte.<lb/>
Unſre Briefe waren in einer Sprache geſchrieben,<lb/>
die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt<lb/>
war: wir hatten ſie zuſammen erfunden, und oft<lb/></p></div></body></text></TEI>
[300[310]/0312]
iſt; allein das Geſetz, das ich mir gemacht habe,
keinem Anverwandten, ſelbſt meiner Mutter nicht zu
ſchreiben, ließ mich ſeinen Brief, der ſonſt nicht un-
intereſſante Nachrichten fuͤr mich enthielt, gleichguͤl-
tig hinlegen. Seit meines Vaters Tod hab ich alle
Liebe und alle Achtung fuͤr Verwandte und Bluts-
freunde verlohren: da mein Bruder ſelbſt ein Schuft
an mir geworden iſt, was kann ich mir von andern
noch verſprechen? Und was haͤlfe mein Schreiben
am Ende? Es wuͤrde uns alle durch Zuruͤckerinne-
rung kraͤnken; und – meine Lage bliebe dieſelbe. –
Da mein Vater ſahe, daß ich den Abſchied
nicht erhalten wuͤrde, ſo entſchloß er ſich, Kauzion
fuͤr mich zu ſtellen, damit ich ihn noch einmal beſu-
chen koͤnnte. Freilich war ſeine Abſicht dabei, mich
bei ſich zu behalten, den Preuſſen die 150 Rthlr. zu
Anwerbung eines Andern an meiner Stelle zu laſſen,
und ſo den Abſchied ſelbſt zu nehmen. Er eroͤffnete
mir ſein Vorhaben in einem Briefe, fuͤgte aber hin-
zu, daß ich es mir ja nicht ſollte in den Sinn kom-
men laſſen, ihn auf eine andere Art zu beſuchen: in
Deſertion koͤnne und wolle er aus gar vielen Gruͤn-
den nicht einwilligen, und er wuͤrde es mir ſehr uͤbel
nehmen, wenn ich ſo was auch gluͤcklich ausfuͤhrte.
Unſre Briefe waren in einer Sprache geſchrieben,
die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt
war: wir hatten ſie zuſammen erfunden, und oft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 300[310]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/312>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.