Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

kannt -- eine Stütze verlohren hätte. So war es
zwar schon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzählt
habe. Aber seit dieser Zeit hat Hr. Bechtold sich
noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er schon so weit,
daß er ganz frey erklärte: alle Geheimnisse, Sakra-
mente, und alle sogenannten übernatürlichen An-
stalten Gottes zum Heile der Menschen seyen Pro-
dukte der Unwissenheit, Furcht, Herrschs[ - 1 Zeichen fehlt]cht, oder
der idealisirenden Phantasie; -- die Bibel sey
ein Buch, das die moralischen Einsichten der Men-
schen durchaus nicht bestimmen könne: in den Fa-
beln des Aesopus und in Ovidius Verwandlungen fin-
de man mehr Menschenverstand, und bessere mora-
lische Maximen, als in den meisten Gleichnißreden
Jesu: dieser sey zwar ein großer Lehrer für seine
gleichzeitigen Juden gewesen; aber auch ein großer
Schwärmer u. d. gl. -- So weit ist selbst Bahrdt,
als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch
wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech-
told bleibt im ruhigen Besitze seiner Aemter als
Superintendent und als Professor. So sehr ändern
sich Menschen und Zeiten!

Auf meiner Rückreise im October 1795 sprach
ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen
ein: es ist der Vater meines Freundes, dessen ich
im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieser Mann,
welcher noch ganz fest an Doctor Benners Notitia

kannt — eine Stuͤtze verlohren haͤtte. So war es
zwar ſchon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzaͤhlt
habe. Aber ſeit dieſer Zeit hat Hr. Bechtold ſich
noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er ſchon ſo weit,
daß er ganz frey erklaͤrte: alle Geheimniſſe, Sakra-
mente, und alle ſogenannten uͤbernatuͤrlichen An-
ſtalten Gottes zum Heile der Menſchen ſeyen Pro-
dukte der Unwiſſenheit, Furcht, Herrſchſ[ – 1 Zeichen fehlt]cht, oder
der idealiſirenden Phantaſie; — die Bibel ſey
ein Buch, das die moraliſchen Einſichten der Men-
ſchen durchaus nicht beſtimmen koͤnne: in den Fa-
beln des Aeſopus und in Ovidius Verwandlungen fin-
de man mehr Menſchenverſtand, und beſſere mora-
liſche Maximen, als in den meiſten Gleichnißreden
Jeſu: dieſer ſey zwar ein großer Lehrer fuͤr ſeine
gleichzeitigen Juden geweſen; aber auch ein großer
Schwaͤrmer u. d. gl. — So weit iſt ſelbſt Bahrdt,
als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch
wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech-
told bleibt im ruhigen Beſitze ſeiner Aemter als
Superintendent und als Profeſſor. So ſehr aͤndern
ſich Menſchen und Zeiten!

Auf meiner Ruͤckreiſe im October 1795 ſprach
ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen
ein: es iſt der Vater meines Freundes, deſſen ich
im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieſer Mann,
welcher noch ganz feſt an Doctor Benners Notitia

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="15"/>
kannt &#x2014; eine Stu&#x0364;tze verlohren ha&#x0364;tte. So war es<lb/>
zwar &#x017F;chon 1787, wie ich im <hi rendition="#aq">I.</hi> B. S. 83 erza&#x0364;hlt<lb/>
habe. Aber &#x017F;eit die&#x017F;er Zeit hat Hr. Bechtold &#x017F;ich<lb/>
noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er &#x017F;chon &#x017F;o weit,<lb/>
daß er ganz frey erkla&#x0364;rte: alle Geheimni&#x017F;&#x017F;e, Sakra-<lb/>
mente, und alle &#x017F;ogenannten u&#x0364;bernatu&#x0364;rlichen An-<lb/>
&#x017F;talten Gottes zum Heile der Men&#x017F;chen &#x017F;eyen Pro-<lb/>
dukte der Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, Furcht, Herr&#x017F;ch&#x017F;<gap unit="chars" quantity="1"/>cht, oder<lb/>
der ideali&#x017F;irenden Phanta&#x017F;ie; &#x2014; die Bibel &#x017F;ey<lb/>
ein Buch, das die morali&#x017F;chen Ein&#x017F;ichten der Men-<lb/>
&#x017F;chen durchaus nicht be&#x017F;timmen ko&#x0364;nne: in den Fa-<lb/>
beln des Ae&#x017F;opus und in Ovidius Verwandlungen fin-<lb/>
de man mehr Men&#x017F;chenver&#x017F;tand, und be&#x017F;&#x017F;ere mora-<lb/>
li&#x017F;che Maximen, als in den mei&#x017F;ten Gleichnißreden<lb/>
Je&#x017F;u: die&#x017F;er &#x017F;ey zwar ein großer Lehrer fu&#x0364;r &#x017F;eine<lb/>
gleichzeitigen Juden gewe&#x017F;en; aber auch ein großer<lb/>
Schwa&#x0364;rmer u. d. gl. &#x2014; So weit i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">Bahrdt</hi>,<lb/>
als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch<lb/>
wurde <hi rendition="#g">Bahrdt</hi> damals verfolgt, und Hr. <hi rendition="#g">Bech</hi>-<lb/><hi rendition="#g">told</hi> bleibt im ruhigen Be&#x017F;itze &#x017F;einer Aemter als<lb/>
Superintendent und als Profe&#x017F;&#x017F;or. So &#x017F;ehr a&#x0364;ndern<lb/>
&#x017F;ich Men&#x017F;chen und Zeiten!</p><lb/>
        <p>Auf meiner Ru&#x0364;ckrei&#x017F;e im October 1795 &#x017F;prach<lb/>
ich bey dem Pfarrer <hi rendition="#g">Diefenbach</hi> in Reiskirchen<lb/>
ein: es i&#x017F;t der Vater meines Freundes, de&#x017F;&#x017F;en ich<lb/>
im <hi rendition="#aq">I.</hi> B. S. 112 gedacht habe. Die&#x017F;er Mann,<lb/>
welcher noch ganz fe&#x017F;t an Doctor <hi rendition="#g">Benners</hi> <hi rendition="#aq">Notitia<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0027] kannt — eine Stuͤtze verlohren haͤtte. So war es zwar ſchon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzaͤhlt habe. Aber ſeit dieſer Zeit hat Hr. Bechtold ſich noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er ſchon ſo weit, daß er ganz frey erklaͤrte: alle Geheimniſſe, Sakra- mente, und alle ſogenannten uͤbernatuͤrlichen An- ſtalten Gottes zum Heile der Menſchen ſeyen Pro- dukte der Unwiſſenheit, Furcht, Herrſchſ_cht, oder der idealiſirenden Phantaſie; — die Bibel ſey ein Buch, das die moraliſchen Einſichten der Men- ſchen durchaus nicht beſtimmen koͤnne: in den Fa- beln des Aeſopus und in Ovidius Verwandlungen fin- de man mehr Menſchenverſtand, und beſſere mora- liſche Maximen, als in den meiſten Gleichnißreden Jeſu: dieſer ſey zwar ein großer Lehrer fuͤr ſeine gleichzeitigen Juden geweſen; aber auch ein großer Schwaͤrmer u. d. gl. — So weit iſt ſelbſt Bahrdt, als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech- told bleibt im ruhigen Beſitze ſeiner Aemter als Superintendent und als Profeſſor. So ſehr aͤndern ſich Menſchen und Zeiten! Auf meiner Ruͤckreiſe im October 1795 ſprach ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen ein: es iſt der Vater meines Freundes, deſſen ich im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieſer Mann, welcher noch ganz feſt an Doctor Benners Notitia

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/27
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/27>, abgerufen am 21.11.2024.