Alle Priester, welche von da an entdeckt wur- den, zog man ein, und wenn man gleich kein Verbrechen an ihnen fand, so wurden sie doch für verdächtig erklärt, und als Gefangene bewahrt. Man sezte nämlich voraus: daß Menschen, die ein Glaubenssystem zunftmäßig gelernt, und unter respektablen Vortheilen und Ansehn getrieben hät- ten, schon durch den hierarchischen Geist ihres Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden Gehalt ihrer Zunftlehre, sich immer angetrieben fühlen würden, ein Staatssystem auf alle mögliche Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchensystem auflößte, und ihr bisheriges kitzelndes Ansehn eben so tief herabsezte, als es ihr Beutel-Interesse finanzmäßig beschränkte. Die tägliche Erfahrung machte diese Voraussetzung durchaus nöthig. Prie- ster, die vorher Bibel und Brevier bespottet hat- ten, um mit Voltaire's und Rousseau's Schriften sich brüstend auszuzeichnen, griffen in aller Andacht wieder zur Bibel und zum Bre- vier, als man sie praktisch zu dem führen wollte, womit sie vorher theoretisch geprahlt hatten. Pfaf- fengeist ist einmal so: selbst Christus schilderte ihn mit eben den Zügen; und was Friedrich der Große, von dem Mucken-Volk so oft und beißend bemerkt hat, zeigen dessen Anekdoten.
Alle Prieſter, welche von da an entdeckt wur- den, zog man ein, und wenn man gleich kein Verbrechen an ihnen fand, ſo wurden ſie doch fuͤr verdaͤchtig erklaͤrt, und als Gefangene bewahrt. Man ſezte naͤmlich voraus: daß Menſchen, die ein Glaubensſyſtem zunftmaͤßig gelernt, und unter reſpektablen Vortheilen und Anſehn getrieben haͤt- ten, ſchon durch den hierarchiſchen Geiſt ihres Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden Gehalt ihrer Zunftlehre, ſich immer angetrieben fuͤhlen wuͤrden, ein Staatsſyſtem auf alle moͤgliche Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchenſyſtem aufloͤßte, und ihr bisheriges kitzelndes Anſehn eben ſo tief herabſezte, als es ihr Beutel-Intereſſe finanzmaͤßig beſchraͤnkte. Die taͤgliche Erfahrung machte dieſe Vorausſetzung durchaus noͤthig. Prie- ſter, die vorher Bibel und Brevier beſpottet hat- ten, um mit Voltaire's und Rouſſeau's Schriften ſich bruͤſtend auszuzeichnen, griffen in aller Andacht wieder zur Bibel und zum Bre- vier, als man ſie praktiſch zu dem fuͤhren wollte, womit ſie vorher theoretiſch geprahlt hatten. Pfaf- fengeiſt iſt einmal ſo: ſelbſt Chriſtus ſchilderte ihn mit eben den Zuͤgen; und was Friedrich der Große, von dem Mucken-Volk ſo oft und beißend bemerkt hat, zeigen deſſen Anekdoten.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0264"n="260"/><p>Alle Prieſter, welche von da an entdeckt wur-<lb/>
den, zog man ein, und wenn man gleich kein<lb/>
Verbrechen an ihnen fand, ſo wurden ſie doch fuͤr<lb/><hirendition="#g">verdaͤchtig</hi> erklaͤrt, und als Gefangene bewahrt.<lb/>
Man ſezte naͤmlich voraus: daß Menſchen, die<lb/>
ein Glaubensſyſtem zunftmaͤßig gelernt, und unter<lb/>
reſpektablen Vortheilen und Anſehn getrieben haͤt-<lb/>
ten, ſchon durch den hierarchiſchen Geiſt ihres<lb/>
Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden<lb/>
Gehalt ihrer Zunftlehre, ſich immer angetrieben<lb/>
fuͤhlen wuͤrden, ein Staatsſyſtem auf alle moͤgliche<lb/>
Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchenſyſtem<lb/>
aufloͤßte, und ihr bisheriges kitzelndes Anſehn eben<lb/>ſo tief herabſezte, als es ihr Beutel-Intereſſe<lb/>
finanzmaͤßig beſchraͤnkte. Die taͤgliche Erfahrung<lb/>
machte dieſe Vorausſetzung durchaus noͤthig. Prie-<lb/>ſter, die vorher Bibel und Brevier beſpottet hat-<lb/>
ten, um mit <hirendition="#g">Voltaire</hi>'s und <hirendition="#g">Rouſſeau</hi>'s<lb/>
Schriften ſich bruͤſtend auszuzeichnen, griffen in<lb/>
aller Andacht wieder zur <hirendition="#g">Bibel</hi> und zum <hirendition="#g">Bre</hi>-<lb/><hirendition="#g">vier</hi>, als man ſie praktiſch zu dem fuͤhren wollte,<lb/>
womit ſie vorher theoretiſch geprahlt hatten. Pfaf-<lb/>
fengeiſt iſt einmal ſo: ſelbſt <hirendition="#g">Chriſtus</hi>ſchilderte<lb/>
ihn mit eben den Zuͤgen; und was <hirendition="#g">Friedrich der<lb/>
Große</hi>, von dem <hirendition="#g">Mucken</hi>-<hirendition="#g">Volk</hi>ſo oft und<lb/>
beißend bemerkt hat, zeigen deſſen Anekdoten.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[260/0264]
Alle Prieſter, welche von da an entdeckt wur-
den, zog man ein, und wenn man gleich kein
Verbrechen an ihnen fand, ſo wurden ſie doch fuͤr
verdaͤchtig erklaͤrt, und als Gefangene bewahrt.
Man ſezte naͤmlich voraus: daß Menſchen, die
ein Glaubensſyſtem zunftmaͤßig gelernt, und unter
reſpektablen Vortheilen und Anſehn getrieben haͤt-
ten, ſchon durch den hierarchiſchen Geiſt ihres
Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden
Gehalt ihrer Zunftlehre, ſich immer angetrieben
fuͤhlen wuͤrden, ein Staatsſyſtem auf alle moͤgliche
Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchenſyſtem
aufloͤßte, und ihr bisheriges kitzelndes Anſehn eben
ſo tief herabſezte, als es ihr Beutel-Intereſſe
finanzmaͤßig beſchraͤnkte. Die taͤgliche Erfahrung
machte dieſe Vorausſetzung durchaus noͤthig. Prie-
ſter, die vorher Bibel und Brevier beſpottet hat-
ten, um mit Voltaire's und Rouſſeau's
Schriften ſich bruͤſtend auszuzeichnen, griffen in
aller Andacht wieder zur Bibel und zum Bre-
vier, als man ſie praktiſch zu dem fuͤhren wollte,
womit ſie vorher theoretiſch geprahlt hatten. Pfaf-
fengeiſt iſt einmal ſo: ſelbſt Chriſtus ſchilderte
ihn mit eben den Zuͤgen; und was Friedrich der
Große, von dem Mucken-Volk ſo oft und
beißend bemerkt hat, zeigen deſſen Anekdoten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/264>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.