auch, und so war die Versammlung immer sehr ansehnlich und zahlreich. Die Worte: Tempel der Vernunft standen mit großen goldenen Buchstaben über den Thüren der ehemaligen Tem- pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und man kam oft erst Abends um zehn, elf Uhr aus der lezten, Zum Einschläfern war keine. --
Das Zeichen zum Anfang jeder Versammlung wurde mit Läuten einer Glocke gegeben, aber auf ganz andere Art wie zu dem Gottesdienste bey uns: die Glocke wurde blos einseitig angeschlagen. Der Anfang dieses Vernunft-Dienstes, oder dieser Vernunft-Huldigung, wenn man so sagen darf, wurde mit Absingung gewisser Lieder gemacht, wo- zu auch Instrumente gespielt wurden. Die Lieder waren aus den Sammlungen republikanischer Ge- sänge, welche man jezt in Frankreich sehr häufig, gut und enthusiastisch-belebend hat. Vorzüglich wurde der Marseiller Marsch musicirt und gesun- gen. Der Beschluß geschah wieder mit einem re- publikanischen Liede.
So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres 1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent- liche Religion, welche öffentlich wäre geübt wor- den, nicht einmal eine öffentliche natürliche: denn diese erfordert wenigstens öffentliches Bekenntniß
auch, und ſo war die Verſammlung immer ſehr anſehnlich und zahlreich. Die Worte: Tempel der Vernunft ſtanden mit großen goldenen Buchſtaben uͤber den Thuͤren der ehemaligen Tem- pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und man kam oft erſt Abends um zehn, elf Uhr aus der lezten, Zum Einſchlaͤfern war keine. —
Das Zeichen zum Anfang jeder Verſammlung wurde mit Laͤuten einer Glocke gegeben, aber auf ganz andere Art wie zu dem Gottesdienſte bey uns: die Glocke wurde blos einſeitig angeſchlagen. Der Anfang dieſes Vernunft-Dienſtes, oder dieſer Vernunft-Huldigung, wenn man ſo ſagen darf, wurde mit Abſingung gewiſſer Lieder gemacht, wo- zu auch Inſtrumente geſpielt wurden. Die Lieder waren aus den Sammlungen republikaniſcher Ge- ſaͤnge, welche man jezt in Frankreich ſehr haͤufig, gut und enthuſiaſtiſch-belebend hat. Vorzuͤglich wurde der Marſeiller Marſch muſicirt und geſun- gen. Der Beſchluß geſchah wieder mit einem re- publikaniſchen Liede.
So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres 1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent- liche Religion, welche oͤffentlich waͤre geuͤbt wor- den, nicht einmal eine oͤffentliche natuͤrliche: denn dieſe erfordert wenigſtens oͤffentliches Bekenntniß
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0292"n="288"/>
auch, und ſo war die Verſammlung immer ſehr<lb/>
anſehnlich und zahlreich. Die Worte: <hirendition="#g">Tempel<lb/>
der Vernunft</hi>ſtanden mit großen goldenen<lb/>
Buchſtaben uͤber den Thuͤren der ehemaligen Tem-<lb/>
pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und<lb/>
mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und<lb/>
man kam oft erſt Abends um zehn, elf Uhr aus<lb/>
der lezten, Zum Einſchlaͤfern war keine. —</p><lb/><p>Das Zeichen zum Anfang jeder Verſammlung<lb/>
wurde mit Laͤuten einer Glocke gegeben, aber auf<lb/>
ganz andere Art wie zu dem Gottesdienſte bey<lb/>
uns: die Glocke wurde blos einſeitig angeſchlagen.<lb/>
Der Anfang dieſes Vernunft-Dienſtes, oder dieſer<lb/>
Vernunft-Huldigung, wenn man ſo ſagen darf,<lb/>
wurde mit Abſingung gewiſſer Lieder gemacht, wo-<lb/>
zu auch Inſtrumente geſpielt wurden. Die Lieder<lb/>
waren aus den Sammlungen republikaniſcher Ge-<lb/>ſaͤnge, welche man jezt in Frankreich ſehr haͤufig,<lb/>
gut und enthuſiaſtiſch-belebend hat. Vorzuͤglich<lb/>
wurde der Marſeiller Marſch muſicirt und geſun-<lb/>
gen. Der Beſchluß geſchah wieder mit einem re-<lb/>
publikaniſchen Liede.</p><lb/><p>So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres<lb/>
1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent-<lb/>
liche Religion, welche oͤffentlich waͤre geuͤbt wor-<lb/>
den, nicht einmal eine oͤffentliche natuͤrliche: denn<lb/>
dieſe erfordert wenigſtens oͤffentliches Bekenntniß<lb/></p></div></body></text></TEI>
[288/0292]
auch, und ſo war die Verſammlung immer ſehr
anſehnlich und zahlreich. Die Worte: Tempel
der Vernunft ſtanden mit großen goldenen
Buchſtaben uͤber den Thuͤren der ehemaligen Tem-
pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und
mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und
man kam oft erſt Abends um zehn, elf Uhr aus
der lezten, Zum Einſchlaͤfern war keine. —
Das Zeichen zum Anfang jeder Verſammlung
wurde mit Laͤuten einer Glocke gegeben, aber auf
ganz andere Art wie zu dem Gottesdienſte bey
uns: die Glocke wurde blos einſeitig angeſchlagen.
Der Anfang dieſes Vernunft-Dienſtes, oder dieſer
Vernunft-Huldigung, wenn man ſo ſagen darf,
wurde mit Abſingung gewiſſer Lieder gemacht, wo-
zu auch Inſtrumente geſpielt wurden. Die Lieder
waren aus den Sammlungen republikaniſcher Ge-
ſaͤnge, welche man jezt in Frankreich ſehr haͤufig,
gut und enthuſiaſtiſch-belebend hat. Vorzuͤglich
wurde der Marſeiller Marſch muſicirt und geſun-
gen. Der Beſchluß geſchah wieder mit einem re-
publikaniſchen Liede.
So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres
1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent-
liche Religion, welche oͤffentlich waͤre geuͤbt wor-
den, nicht einmal eine oͤffentliche natuͤrliche: denn
dieſe erfordert wenigſtens oͤffentliches Bekenntniß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/292>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.