wieder zutröpfeln zu können. Erst werden sie in ihrer Phantasie berückt, und mit dem Wahn ver- giftet, sich für abscheuliche, von Gott verworfene und aller Glückseligkeit unwürdige Sünder anzuse- hen, um ihnen hernach für baare Bezahlung die Sünden vergeben und einige schwankende Hoff- nungen der Seligkeit wieder ertheilen zu können. Die Priesterschaft schlägt durch ihre Orakel-Theo- logie den von Natur ganz gesunden Menschen erst selbst blutende und heftigschmerzende Wunden, um hernach etwas an ihnen zu heilen zu haben. Sie wird aber mit dieser Heilung bey keinem Einzigen sein ganzes Leben hindurch fertig, um bis an sei- nen Tod das Arztlohn und die Heilungskosten von ihm ziehen zu können. -- Dieß ist die wahre Ge- stalt und Beschaffenheit der Sache, die Jeder, der das ganze Priestergewerbe nur mit einem halb auf- merksamen Auge ansieht, daran finden und erken- nen muß."
Daß eine solche Einrichtung eben nicht fähig sey, ein Volk besser und glücklicher zu machen, zeigt der Verfasser ferner, indem er S. 333 zeigt, daß jede bürgerliche Gesellschaft in dem Maaße mehr oder weniger glücklich sey, in welchem die Moral-Principien, nach denen sie regiert wird, entweder reine, oder mit angeblichen Reli- gions-Principien vermischte sind. Denn alle bey
wieder zutroͤpfeln zu koͤnnen. Erſt werden ſie in ihrer Phantaſie beruͤckt, und mit dem Wahn ver- giftet, ſich fuͤr abſcheuliche, von Gott verworfene und aller Gluͤckſeligkeit unwuͤrdige Suͤnder anzuſe- hen, um ihnen hernach fuͤr baare Bezahlung die Suͤnden vergeben und einige ſchwankende Hoff- nungen der Seligkeit wieder ertheilen zu koͤnnen. Die Prieſterſchaft ſchlaͤgt durch ihre Orakel-Theo- logie den von Natur ganz geſunden Menſchen erſt ſelbſt blutende und heftigſchmerzende Wunden, um hernach etwas an ihnen zu heilen zu haben. Sie wird aber mit dieſer Heilung bey keinem Einzigen ſein ganzes Leben hindurch fertig, um bis an ſei- nen Tod das Arztlohn und die Heilungskoſten von ihm ziehen zu koͤnnen. — Dieß iſt die wahre Ge- ſtalt und Beſchaffenheit der Sache, die Jeder, der das ganze Prieſtergewerbe nur mit einem halb auf- merkſamen Auge anſieht, daran finden und erken- nen muß.“
Daß eine ſolche Einrichtung eben nicht faͤhig ſey, ein Volk beſſer und gluͤcklicher zu machen, zeigt der Verfaſſer ferner, indem er S. 333 zeigt, daß jede buͤrgerliche Geſellſchaft in dem Maaße mehr oder weniger gluͤcklich ſey, in welchem die Moral-Principien, nach denen ſie regiert wird, entweder reine, oder mit angeblichen Reli- gions-Principien vermiſchte ſind. Denn alle bey
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wieder zutroͤpfeln zu koͤnnen. Erſt werden ſie in
ihrer Phantaſie beruͤckt, und mit dem Wahn ver-
giftet, ſich fuͤr abſcheuliche, von Gott verworfene
und aller Gluͤckſeligkeit unwuͤrdige Suͤnder anzuſe-
hen, um ihnen hernach fuͤr baare Bezahlung die
Suͤnden vergeben und einige ſchwankende Hoff-
nungen der Seligkeit wieder ertheilen zu koͤnnen.
Die Prieſterſchaft ſchlaͤgt durch ihre Orakel-Theo-
logie den von Natur ganz geſunden Menſchen erſt
ſelbſt blutende und heftigſchmerzende Wunden, um
hernach etwas an ihnen zu heilen zu haben. Sie
wird aber mit dieſer Heilung bey keinem Einzigen
ſein ganzes Leben hindurch fertig, um bis an ſei-
nen Tod das Arztlohn und die Heilungskoſten von
ihm ziehen zu koͤnnen. — Dieß iſt die wahre Ge-
ſtalt und Beſchaffenheit der Sache, die Jeder, der
das ganze Prieſtergewerbe nur mit einem halb auf-
merkſamen Auge anſieht, daran finden und erken-
nen muß.“
Daß eine ſolche Einrichtung eben nicht faͤhig
ſey, ein Volk beſſer und gluͤcklicher zu machen,
zeigt der Verfaſſer ferner, indem er S. 333 zeigt,
daß jede buͤrgerliche Geſellſchaft in dem Maaße
mehr oder weniger gluͤcklich ſey, in welchem die
Moral-Principien, nach denen ſie regiert wird,
entweder reine, oder mit angeblichen Reli-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/298>, abgerufen am 21.11.2024.
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