Ich hielt mit meinem Gefährten Lehmann noch ein weitläufiges Gespräch über die verschiede- nen Verhältnisse in Frankreich und in Deutschland; und so roh der Mensch auch war, so unbefangen ge- stand er, daß es in Frankreich recht gut sey, wenn man die Leute nur verstehen könnte.
Zur Steuer der Wahrheit, und um den Fran- zosen Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, muß ich meinen Lesern nochmals sagen, daß es freilich seyn kann, daß manche, die in Frankreich gewe- sen sind, in ihren Urtheilen und Aussagen über das Betragen der Franzosen gegen sie, weder unterein- ander, noch mit mir übereinstimmen. Einige, sowohl Deserteurs als Gefangene, werden freilich schimpfen und lästern, und wer weiß wie viel Ar- ges von der Härte und der Ungerechtigkeit dieses Volks zu erzählen wissen. Aber wenn diese Leute es ehrlich meynen, so hat ihnen ganz gewiß ihre Katechismus-Religion oder ihr stumpfer Skla- vensinn das Gesicht geblendet; oder sie wollen sich durch erdichtete oder vergrößerte Leiden wichtig machen; oder sie haben sich in Frankreich so schlecht betragen, daß man sie durchaus knapp halten mußte. Und solche Menschen gab es viele, selbst deutsche Kriegsbeamten, oder Offiziere. -- Allein auch diese sollten billig seyn, und ein Volk nicht
Viert. Th. 2te Abth. L
Ich hielt mit meinem Gefaͤhrten Lehmann noch ein weitlaͤufiges Geſpraͤch uͤber die verſchiede- nen Verhaͤltniſſe in Frankreich und in Deutſchland; und ſo roh der Menſch auch war, ſo unbefangen ge- ſtand er, daß es in Frankreich recht gut ſey, wenn man die Leute nur verſtehen koͤnnte.
Zur Steuer der Wahrheit, und um den Fran- zoſen Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen, muß ich meinen Leſern nochmals ſagen, daß es freilich ſeyn kann, daß manche, die in Frankreich gewe- ſen ſind, in ihren Urtheilen und Auſſagen uͤber das Betragen der Franzoſen gegen ſie, weder unterein- ander, noch mit mir uͤbereinſtimmen. Einige, ſowohl Deſerteurs als Gefangene, werden freilich ſchimpfen und laͤſtern, und wer weiß wie viel Ar- ges von der Haͤrte und der Ungerechtigkeit dieſes Volks zu erzaͤhlen wiſſen. Aber wenn dieſe Leute es ehrlich meynen, ſo hat ihnen ganz gewiß ihre Katechismus-Religion oder ihr ſtumpfer Skla- venſinn das Geſicht geblendet; oder ſie wollen ſich durch erdichtete oder vergroͤßerte Leiden wichtig machen; oder ſie haben ſich in Frankreich ſo ſchlecht betragen, daß man ſie durchaus knapp halten mußte. Und ſolche Menſchen gab es viele, ſelbſt deutſche Kriegsbeamten, oder Offiziere. — Allein auch dieſe ſollten billig ſeyn, und ein Volk nicht
Viert. Th. 2te Abth. L
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0165"n="161"/><p>Ich hielt mit meinem Gefaͤhrten <hirendition="#g">Lehmann</hi><lb/>
noch ein weitlaͤufiges Geſpraͤch uͤber die verſchiede-<lb/>
nen Verhaͤltniſſe in Frankreich und in Deutſchland;<lb/>
und ſo roh der Menſch auch war, ſo unbefangen ge-<lb/>ſtand er, daß es in Frankreich recht gut ſey, wenn<lb/>
man die Leute nur verſtehen koͤnnte.</p><lb/><p>Zur Steuer der Wahrheit, und um den Fran-<lb/>
zoſen Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen, muß<lb/>
ich meinen Leſern nochmals ſagen, daß es freilich<lb/>ſeyn kann, daß manche, die in Frankreich gewe-<lb/>ſen ſind, in ihren Urtheilen und Auſſagen uͤber das<lb/>
Betragen der Franzoſen gegen ſie, weder unterein-<lb/>
ander, noch mit mir uͤbereinſtimmen. Einige,<lb/>ſowohl Deſerteurs als Gefangene, werden freilich<lb/>ſchimpfen und laͤſtern, und wer weiß wie viel Ar-<lb/>
ges von der Haͤrte und der Ungerechtigkeit dieſes<lb/>
Volks zu erzaͤhlen wiſſen. Aber wenn dieſe Leute<lb/>
es ehrlich meynen, ſo hat ihnen ganz gewiß ihre<lb/>
Katechismus-Religion oder ihr ſtumpfer Skla-<lb/>
venſinn das Geſicht geblendet; oder ſie wollen ſich<lb/>
durch erdichtete oder vergroͤßerte Leiden wichtig<lb/>
machen; oder ſie haben ſich in Frankreich ſo ſchlecht<lb/>
betragen, daß man ſie durchaus knapp halten<lb/>
mußte. Und ſolche Menſchen gab es viele, ſelbſt<lb/>
deutſche Kriegsbeamten, oder Offiziere. — Allein<lb/>
auch dieſe ſollten billig ſeyn, und ein Volk nicht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Viert. Th. 2te Abth. L</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[161/0165]
Ich hielt mit meinem Gefaͤhrten Lehmann
noch ein weitlaͤufiges Geſpraͤch uͤber die verſchiede-
nen Verhaͤltniſſe in Frankreich und in Deutſchland;
und ſo roh der Menſch auch war, ſo unbefangen ge-
ſtand er, daß es in Frankreich recht gut ſey, wenn
man die Leute nur verſtehen koͤnnte.
Zur Steuer der Wahrheit, und um den Fran-
zoſen Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen, muß
ich meinen Leſern nochmals ſagen, daß es freilich
ſeyn kann, daß manche, die in Frankreich gewe-
ſen ſind, in ihren Urtheilen und Auſſagen uͤber das
Betragen der Franzoſen gegen ſie, weder unterein-
ander, noch mit mir uͤbereinſtimmen. Einige,
ſowohl Deſerteurs als Gefangene, werden freilich
ſchimpfen und laͤſtern, und wer weiß wie viel Ar-
ges von der Haͤrte und der Ungerechtigkeit dieſes
Volks zu erzaͤhlen wiſſen. Aber wenn dieſe Leute
es ehrlich meynen, ſo hat ihnen ganz gewiß ihre
Katechismus-Religion oder ihr ſtumpfer Skla-
venſinn das Geſicht geblendet; oder ſie wollen ſich
durch erdichtete oder vergroͤßerte Leiden wichtig
machen; oder ſie haben ſich in Frankreich ſo ſchlecht
betragen, daß man ſie durchaus knapp halten
mußte. Und ſolche Menſchen gab es viele, ſelbſt
deutſche Kriegsbeamten, oder Offiziere. — Allein
auch dieſe ſollten billig ſeyn, und ein Volk nicht
Viert. Th. 2te Abth. L
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/165>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.