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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797.

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kirchlichen Plunder abwich, alle sogenannte Ortho-
doxien abwies, und doch in seinen drey Gemeinden
sehr viel Nutzen stiftete. Aber, lieber Gott, wie
wenig Pfarrer sind diesem Manne ähnlich? Wie
wenig Theologen haben seine Klugheit, seine
Rechtschaffenheit, um von seiner ausgebreiteten
Gelehrsamkeit nicht zu sprechen? Wenn jeder Pre-
diger ein Schulz wäre, so mögte immerhin jeder
Prediger für sich ein System entwerfen, und sei-
nen Untergebenen vortragen. Allein da das Ge-
gentheil so sehr am Tage liegt, da das Studium
der wahren Litteratur, ich meyne der Sprachen,
der Geschichte, und der Exegese, so sehr vernach-
lässiget wird, wozu der aufdunsende Dünkel schon
aus den Vorhallen der kritischen Philosophie *)
das seine in vollem Maaße beyträgt, und da die
unwissende Frechheit im oberflächlichen Urtheilen

*) Vor einigen Wochen war ich in Lauchstädt, wo denn
auch unter einigen Herren, welche die kritische Philosophie,
wie ich merkte, bis an den Hosenknopf studiert hatten, ein
Gespräch über die Philosophie und über die Unzulänglichkeit
aller theoretischen Beweise für Gottes Daseyn, Unsterblichkeit,
u. dgl. vorfiel. Weil man glauben mogte, daß ich von der
neuen Philosophie auch was wüßte, so wurde ich aufgefodert,
an ihrem Gespräche Theil zu nehmen. Ich that es, fand aber
Gelegenheit genug, an das asinus ad lyram zu denken. Sehr
viele der jetzigen Studenten sind verwöhnte, litterärische Weich-
linge, die die Dornen der eigentlichen Litteratur scheuen, dazu
auch nicht gezogen sind, und vor lauter langer Weile sich in
den Sümpfen der Romanwelt ersäufen.

kirchlichen Plunder abwich, alle ſogenannte Ortho-
doxien abwies, und doch in ſeinen drey Gemeinden
ſehr viel Nutzen ſtiftete. Aber, lieber Gott, wie
wenig Pfarrer ſind dieſem Manne aͤhnlich? Wie
wenig Theologen haben ſeine Klugheit, ſeine
Rechtſchaffenheit, um von ſeiner ausgebreiteten
Gelehrſamkeit nicht zu ſprechen? Wenn jeder Pre-
diger ein Schulz waͤre, ſo moͤgte immerhin jeder
Prediger fuͤr ſich ein Syſtem entwerfen, und ſei-
nen Untergebenen vortragen. Allein da das Ge-
gentheil ſo ſehr am Tage liegt, da das Studium
der wahren Litteratur, ich meyne der Sprachen,
der Geſchichte, und der Exegeſe, ſo ſehr vernach-
laͤſſiget wird, wozu der aufdunſende Duͤnkel ſchon
aus den Vorhallen der kritiſchen Philoſophie *)
das ſeine in vollem Maaße beytraͤgt, und da die
unwiſſende Frechheit im oberflaͤchlichen Urtheilen

*) Vor einigen Wochen war ich in Lauchſtädt, wo denn
auch unter einigen Herren, welche die kritiſche Philoſophie,
wie ich merkte, bis an den Hoſenknopf ſtudiert hatten, ein
Geſpräch über die Philoſophie und über die Unzulänglichkeit
aller theoretiſchen Beweiſe für Gottes Daſeyn, Unſterblichkeit,
u. dgl. vorfiel. Weil man glauben mogte, daß ich von der
neuen Philoſophie auch was wüßte, ſo wurde ich aufgefodert,
an ihrem Geſpräche Theil zu nehmen. Ich that es, fand aber
Gelegenheit genug, an das aſinus ad lyram zu denken. Sehr
viele der jetzigen Studenten ſind verwoͤhnte, litteräriſche Weich-
linge, die die Dornen der eigentlichen Litteratur ſcheuen, dazu
auch nicht gezogen ſind, und vor lauter langer Weile ſich in
den Sümpfen der Romanwelt erſäufen.
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[311/0315] kirchlichen Plunder abwich, alle ſogenannte Ortho- doxien abwies, und doch in ſeinen drey Gemeinden ſehr viel Nutzen ſtiftete. Aber, lieber Gott, wie wenig Pfarrer ſind dieſem Manne aͤhnlich? Wie wenig Theologen haben ſeine Klugheit, ſeine Rechtſchaffenheit, um von ſeiner ausgebreiteten Gelehrſamkeit nicht zu ſprechen? Wenn jeder Pre- diger ein Schulz waͤre, ſo moͤgte immerhin jeder Prediger fuͤr ſich ein Syſtem entwerfen, und ſei- nen Untergebenen vortragen. Allein da das Ge- gentheil ſo ſehr am Tage liegt, da das Studium der wahren Litteratur, ich meyne der Sprachen, der Geſchichte, und der Exegeſe, ſo ſehr vernach- laͤſſiget wird, wozu der aufdunſende Duͤnkel ſchon aus den Vorhallen der kritiſchen Philoſophie *) das ſeine in vollem Maaße beytraͤgt, und da die unwiſſende Frechheit im oberflaͤchlichen Urtheilen *) Vor einigen Wochen war ich in Lauchſtädt, wo denn auch unter einigen Herren, welche die kritiſche Philoſophie, wie ich merkte, bis an den Hoſenknopf ſtudiert hatten, ein Geſpräch über die Philoſophie und über die Unzulänglichkeit aller theoretiſchen Beweiſe für Gottes Daſeyn, Unſterblichkeit, u. dgl. vorfiel. Weil man glauben mogte, daß ich von der neuen Philoſophie auch was wüßte, ſo wurde ich aufgefodert, an ihrem Geſpräche Theil zu nehmen. Ich that es, fand aber Gelegenheit genug, an das aſinus ad lyram zu denken. Sehr viele der jetzigen Studenten ſind verwoͤhnte, litteräriſche Weich- linge, die die Dornen der eigentlichen Litteratur ſcheuen, dazu auch nicht gezogen ſind, und vor lauter langer Weile ſich in den Sümpfen der Romanwelt erſäufen.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/315>, abgerufen am 22.11.2024.