lang, den Eberhards Apologie des Sokrates hierüber nicht zurechteweißt. Genug, ich habe, wie Sie selbst wissen, immer so gelebt, daß ich ein gutes Gewissen auch jezt noch habe, und fürchte daher nicht, in der andern Welt mich mit Schreck und Verabscheuung meiner selbst an diese gegen- wärtige erinnern zu müssen. Ich darf also keine Strafen fürchten. Ist nun meine Seele unsterb- lich, so ist mein Tod der Anfang einer größeren Vollkommenheit, die Thür zu einem höhern Glück, und folglich nicht allein kein Uebel, sondern das höchste Gut, dessen ich in dieser Welt theilhaftig werden kann.
Ich hatte gegen diese Gründe nichts einzuwen- den; und da ich von der Richtigkeit dieser Schlüsse selbst vollkommen überzeugt bin, so bemühte ich mich, meinen Freund durch Betrachtungen über die Nichtigkeit aller menschlichen Dinge, in seinen Ge- danken noch mehr zu bestärken, und zu seiner Be- ruhigung alles, was ich konnte, beyzutragen.
Er starb nach einem langen schmerzhaften Lager mit aller Standhaftigkeit, womit ein Mann ster- ben muß, der da weiß, warum er in der Welt ge- lebt hat, und wurde von jedem, der ihn gekannt hatte, bedaurt, so wie seine Großmuth, daß er niemals den Urheber seines Unglücks hat angeben
lang, den Eberhards Apologie des Sokrates hieruͤber nicht zurechteweißt. Genug, ich habe, wie Sie ſelbſt wiſſen, immer ſo gelebt, daß ich ein gutes Gewiſſen auch jezt noch habe, und fuͤrchte daher nicht, in der andern Welt mich mit Schreck und Verabſcheuung meiner ſelbſt an dieſe gegen- waͤrtige erinnern zu muͤſſen. Ich darf alſo keine Strafen fuͤrchten. Iſt nun meine Seele unſterb- lich, ſo iſt mein Tod der Anfang einer groͤßeren Vollkommenheit, die Thuͤr zu einem hoͤhern Gluͤck, und folglich nicht allein kein Uebel, ſondern das hoͤchſte Gut, deſſen ich in dieſer Welt theilhaftig werden kann.
Ich hatte gegen dieſe Gruͤnde nichts einzuwen- den; und da ich von der Richtigkeit dieſer Schluͤſſe ſelbſt vollkommen uͤberzeugt bin, ſo bemuͤhte ich mich, meinen Freund durch Betrachtungen uͤber die Nichtigkeit aller menſchlichen Dinge, in ſeinen Ge- danken noch mehr zu beſtaͤrken, und zu ſeiner Be- ruhigung alles, was ich konnte, beyzutragen.
Er ſtarb nach einem langen ſchmerzhaften Lager mit aller Standhaftigkeit, womit ein Mann ſter- ben muß, der da weiß, warum er in der Welt ge- lebt hat, und wurde von jedem, der ihn gekannt hatte, bedaurt, ſo wie ſeine Großmuth, daß er niemals den Urheber ſeines Ungluͤcks hat angeben
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lang, den Eberhards Apologie des Sokrates
hieruͤber nicht zurechteweißt. Genug, ich habe,
wie Sie ſelbſt wiſſen, immer ſo gelebt, daß ich
ein gutes Gewiſſen auch jezt noch habe, und fuͤrchte
daher nicht, in der andern Welt mich mit Schreck
und Verabſcheuung meiner ſelbſt an dieſe gegen-
waͤrtige erinnern zu muͤſſen. Ich darf alſo keine
Strafen fuͤrchten. Iſt nun meine Seele unſterb-
lich, ſo iſt mein Tod der Anfang einer groͤßeren
Vollkommenheit, die Thuͤr zu einem hoͤhern Gluͤck,
und folglich nicht allein kein Uebel, ſondern das
hoͤchſte Gut, deſſen ich in dieſer Welt theilhaftig
werden kann.
Ich hatte gegen dieſe Gruͤnde nichts einzuwen-
den; und da ich von der Richtigkeit dieſer Schluͤſſe
ſelbſt vollkommen uͤberzeugt bin, ſo bemuͤhte ich
mich, meinen Freund durch Betrachtungen uͤber die
Nichtigkeit aller menſchlichen Dinge, in ſeinen Ge-
danken noch mehr zu beſtaͤrken, und zu ſeiner Be-
ruhigung alles, was ich konnte, beyzutragen.
Er ſtarb nach einem langen ſchmerzhaften Lager
mit aller Standhaftigkeit, womit ein Mann ſter-
ben muß, der da weiß, warum er in der Welt ge-
lebt hat, und wurde von jedem, der ihn gekannt
hatte, bedaurt, ſo wie ſeine Großmuth, daß er
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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