Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.Matthäus XVIII. seine Schwachheit andere zur Schwachheit verleitet. Be-sonders aber der, der die Gutmüthigen, Kindlichgesinn- ten, Schwachen verachtet -- Sie, die von den vor- nehmsten, ersten Engeln Gottes so sehr bemerkt, be- wacht und in Schutz genommen sind. Die Diener von denen man sagte: Sie sehen das Angesicht des Kö- nigs, oder: Sie stehen vor dem Throne des Kö- niges, sind die Vornehmsten, die Ersten des Reiches die ersten Seher der Gottheit, oder, der sichtbaren Herr- lichkeit Gottes (der Schechina des Himmels,) interes- siren sich für unschuldige Kinder; Für edle, aber schwa- che und leicht verführbare Menschen -- Und diese soll- ten den Menschen gleichgültig und unbedeutend scheinen? Diese von dem Herrn der Menschen, dem beßten Men- schen vernachläßigt werden? Dieser -- Verletzung, Ver- achtung, Vernachläßigung sollte ungeahndet bleiben? -- Lieber! Alles gewagt, alles gemißt, alles aufgeopfert, freygegeben -- als sich unter die Herrschaft des Lasters, und der Geisterstickenden Sinnlichkeit hinstrecken! -- Als durch sein Beyspiel leitsame Herzen von der Bahn der Weisheit und Tugend zum Unrecht und Laster ab- lenken. Aergernisse sind nothwendig, das heißt, Widerstände, Versuchungen, Reizungen zum La- ster sind unausweichlich. Die Natur der Dinge und der Menschheit läßt es schlechterdings nicht anders zu -- aber -- unser Beruf und unsere Bestimmung ist, von denselben unsere Augen und Herzen wegzuwenden -- und dem Orakel, der Gottesstimme in unsrer Brust -- die im- mer zur Wahrheit und Tugend ruft, zu gehorchen. 141. Sorge
Matthäus XVIII. ſeine Schwachheit andere zur Schwachheit verleitet. Be-ſonders aber der, der die Gutmüthigen, Kindlichgeſinn- ten, Schwachen verachtet — Sie, die von den vor- nehmſten, erſten Engeln Gottes ſo ſehr bemerkt, be- wacht und in Schutz genommen ſind. Die Diener von denen man ſagte: Sie ſehen das Angeſicht des Kö- nigs, oder: Sie ſtehen vor dem Throne des Kö- niges, ſind die Vornehmſten, die Erſten des Reiches die erſten Seher der Gottheit, oder, der ſichtbaren Herr- lichkeit Gottes (der Schechina des Himmels,) intereſ- ſiren ſich für unſchuldige Kinder; Für edle, aber ſchwa- che und leicht verführbare Menſchen — Und dieſe ſoll- ten den Menſchen gleichgültig und unbedeutend ſcheinen? Dieſe von dem Herrn der Menſchen, dem beßten Men- ſchen vernachläßigt werden? Dieſer — Verletzung, Ver- achtung, Vernachläßigung ſollte ungeahndet bleiben? — Lieber! Alles gewagt, alles gemißt, alles aufgeopfert, freygegeben — als ſich unter die Herrſchaft des Laſters, und der Geiſterſtickenden Sinnlichkeit hinſtrecken! — Als durch ſein Beyſpiel leitſame Herzen von der Bahn der Weisheit und Tugend zum Unrecht und Laſter ab- lenken. Aergerniſſe ſind nothwendig, das heißt, Widerſtände, Verſuchungen, Reizungen zum La- ſter ſind unausweichlich. Die Natur der Dinge und der Menſchheit läßt es ſchlechterdings nicht anders zu — aber — unſer Beruf und unſere Beſtimmung iſt, von denſelben unſere Augen und Herzen wegzuwenden — und dem Orakel, der Gottesſtimme in unſrer Bruſt — die im- mer zur Wahrheit und Tugend ruft, zu gehorchen. 141. Sorge
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Matthäus XVIII.
ſeine Schwachheit andere zur Schwachheit verleitet. Be-
ſonders aber der, der die Gutmüthigen, Kindlichgeſinn-
ten, Schwachen verachtet — Sie, die von den vor-
nehmſten, erſten Engeln Gottes ſo ſehr bemerkt, be-
wacht und in Schutz genommen ſind. Die Diener von
denen man ſagte: Sie ſehen das Angeſicht des Kö-
nigs, oder: Sie ſtehen vor dem Throne des Kö-
niges, ſind die Vornehmſten, die Erſten des Reiches
die erſten Seher der Gottheit, oder, der ſichtbaren Herr-
lichkeit Gottes (der Schechina des Himmels,) intereſ-
ſiren ſich für unſchuldige Kinder; Für edle, aber ſchwa-
che und leicht verführbare Menſchen — Und dieſe ſoll-
ten den Menſchen gleichgültig und unbedeutend ſcheinen?
Dieſe von dem Herrn der Menſchen, dem beßten Men-
ſchen vernachläßigt werden? Dieſer — Verletzung, Ver-
achtung, Vernachläßigung ſollte ungeahndet bleiben? —
Lieber! Alles gewagt, alles gemißt, alles aufgeopfert,
freygegeben — als ſich unter die Herrſchaft des Laſters,
und der Geiſterſtickenden Sinnlichkeit hinſtrecken! —
Als durch ſein Beyſpiel leitſame Herzen von der Bahn
der Weisheit und Tugend zum Unrecht und Laſter ab-
lenken. Aergerniſſe ſind nothwendig, das heißt,
Widerſtände, Verſuchungen, Reizungen zum La-
ſter ſind unausweichlich. Die Natur der Dinge und
der Menſchheit läßt es ſchlechterdings nicht anders zu —
aber — unſer Beruf und unſere Beſtimmung iſt, von
denſelben unſere Augen und Herzen wegzuwenden — und
dem Orakel, der Gottesſtimme in unſrer Bruſt — die im-
mer zur Wahrheit und Tugend ruft, zu gehorchen.
141. Sorge
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